Burn-In statt Burn-Out

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Den Job einfach kündigen, wo das Haus noch nicht abbezahlt ist? Ein Sabbatjahr nehmen, wenn die Geier auf die Position scharf sind, die man sich mühsam erarbeitet hat? Noch nicht. Lieber noch etwas weitermachen wie bisher. Man schiebt die Verantwortung für seinen Zustand nach außen, statt die Lösung bei sich selbst zu suchen, dem einzig wahren Experten. Der Arzt verschreibt dann das Schmerzmittel, die Betablocker oder entfernt die Galle, die jetzt doch zu oft übergelaufen ist. Um das Warum kümmern muss man sich erst einmal nicht; schließlich hat man ja auch viel in die Krankenkasse eingezahlt. Es kann aber niemand jemand anderen gesund machen. Was der Arzt allerdings idealerweise machen kann: seinen Patienten dahingehend zu beeinflussen, dass dieser mit dem Verdrängen aufhört, um dann – eventuell auch gemeinsam mit ihm – die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen gesund zu sein einfach interessanter ist, als sich ständig mit Symptomen herumzuschlagen. Auch wenn dies den Inter­essen einer einflussreichen Pharmaindustrie ganz und gar entgegenliefe.

Im Idealfall ermutigt der Arzt seinen Patienten, sein inneres Kraftpotenzial zu erschließen. Häufig tun das die Mediziner sogar schon – auf der körperlichen Ebene. Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich eine Schnittwunde zugezogen. Es kommt ein Verband auf die Wunde, nach ein paar Tagen nehmen Sie den Verband ab und die Wunde ist geheilt. Der Arzt der Zukunft sollte ein Bewusstheitsmediziner und weiser Wegbegleiter sein. Schließlich käme doch auch keiner auf die absurde Idee, an seinem Auto die Öllampe auszubauen, wenn sie leuchtet, oder ein Pflaster darüber zu kleben, damit er sie nicht mehr sieht.

Der erste Schritt zur Heilung ist das Erkennen und Akzeptieren, dass man selbst der Schöpfer ist – und etwas verändern möchte. Das ist das Entscheidende. Hat man dann den richtigen Weg gefunden, so reicht ein kleiner Anschub, um das Ganze ins Rollen zu bringen. Häufig genügen schon kleine Veränderungen, die dann große nach sich ziehen (fragen Sie einmal einen Homöopathen). Um einen Staudamm zum Einsturz zu bringen, bedarf es keiner Sprengladung, die eventuell noch mehr von dem zerstören würde, das erhalten bleiben kann. Es reicht aus, an der richtigen Stelle ein paar kleine Steine zu entfernen. Dazu braucht es allerdings manchmal Mut.

Das englische Wort courage für Mut ist sehr aufschlussreich. Es leitet sich von der lateinischen Wurzel cor ab, was Herz bedeutet. Mutig sein bedeutet also, vom Herzen her zu leben, was wiederum bedeuten kann, ins Unbekannte zu gehen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und für die Zukunft offen zu sein. Aus dem Herzen zu leben heißt, einen Sinn zu entdecken. Etwas gegen die Stimme seines Herzens zu tun ist Selbstverleugnung und verursacht meist Stress.

Betrachtet man die Entwicklung der psychisch bedingten Krankenstandsraten, so entsteht eine Perspektive, die einem Angst machen kann. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Stress eines der größten Gesundheitsrisiken des 21. Jahrhunderts. Psychische Belastungen sind inzwischen Ursache Nummer eins bei den Frühverrentungen in Deutsch­land. Das Durchschnittsalter liegt hier bei 48 Jahren. 2011 wurde bei 32,6 Prozent aller Diagnosen eine psychische Erkrankung festgestellt. Die Zahl der Menschen, die deswegen stationär im Krankenhaus aufgenommen wurden, hat sich mehr als verdoppelt. Die Zahl der Fehltage ist um 80 Prozent gestiegen. 2011 belief sich die Zahl der Fehltage in Folge von Arbeitsunfähigkeit auf 59 Millionen. In unserem Nachbarland Österreich sieht es nicht besser aus. Seelische Beschwerden verursachten 2009 dort mehr als 2,4 Millionen Krankenstandstage. Bei einem Burn-out rechnet man im Durchschnitt mit einer Ausfallzeit von ca. 90 Tagen. Verglichen mit den Zahlen von 1995 war bei den Frauen ein Anstieg um 155 Prozent und bei den Männern um 88 Prozent zu verzeichnen. Die Krankenhausaufenthalte stiegen um 96 Prozent. Die Pensionen wegen Erwerbsunfähigkeit stiegen laut Angaben des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger seit 1995 um 116 Prozent. Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geht davon aus, dass europaweit rund 60 Prozent aller Fehlzeiten auf beruflichen Stress zurückgehen.

Stress ist die häufigste Ursache für Burn-out, so die WHO. Sie schätzt die Kosten durch stressbedingten Arbeitsausfall auf jährlich 20 Milliarden Euro, allein für Unternehmen in Deutschland. Experten nehmen an, dass etwa 10 - 15 Prozent aller Beschäftigten betroffen sind. 30 Prozent werden nach deren Meinung zukünftig auf jeden Fall erkranken. Die Dunkelziffer liegt inzwischen bereits bei 30 Prozent! Einer weiteren Studie der WHO zufolge soll im Jahre 2020 Burn-out die zweithäufigste Krankheit sein. Weiter heißt es dort, psychische Erkrankungen seien die neuen Seuchen unserer Zeit. Im Jahr 2014 ist die Zahl der psychisch Erkrankten um 12 Prozent gestiegen, die Fehlzeiten wegen Depression seit dem Jahr 2000 um 70 Prozent.

Die Gefahren für Unternehmen, Betroffene und deren Ange­hörige sind zweifellos gravierend. Es besteht nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit einer hundertprozentigen Genesung durch eine gesetzlich finanzierte Therapie nach einem Burn-out. Laut einer Studie der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer (BPtK) erlangen maximal 80 Prozent der Erkrankten ihre Berufsfähigkeit zurück. Das bedeutet: 20 Prozent kehren nie wieder ins Berufsleben zurück und von den Genesenden erreichen lediglich 70 Prozent ihre volle ursprüngliche Leistungsfähigkeit wieder. Hier liegt die Frage auf der Hand, was denn Genesung bedeutet. Vielleicht ist damit auch nur gemeint, jemanden so weit wiederherzustellen, dass er von Neuem in der Tretmühle mitlaufen kann.

Die betrieblichen Belastungen durch Burn-out sind enorm. So müssen Unter­nehmen Abwesenheiten betroffener Mitarbeiter von sechs Wochen bis zu zwölf Monaten kompensieren. Etwa 60 Prozent aller Betroffenen fallen für mindestens sechs Wochen aus. Jeder Neunte, so schätzen Betriebskrankenkassen, leidet an Burn-out. Aus Befragungen geht hervor, dass 30 bis 35 Prozent aller Lehrer in Deutschland, 40 bis 60 Prozent der Pflegekräfte und mehr als 30 Prozent der Ärzte betroffen sind. Die Burn-out-Patienten werden immer jünger – bereits Schüler gehören zum Patientenkreis. Man kann inzwischen von einer Volksseuche sprechen.

Das Zeugnis der Felix Burda Stiftung fällt nicht gut aus: »... Allerdings hat erst eine Minderzahl der Arbeitgeber die Vorsorge als Erfolgsfaktor für sich erkannt. Vom Kleinbetrieb bis zum DAX-Konzern fehlt noch häufig das notwendige Know-how zur Umsetzung betrieblicher Gesundheitsvorsorge. Dass die politischen Rahmenbedingungen betriebliche Vorsorge nur unzureichend unterstützen, macht es Gesundheitsmanagern und Krankenkassen schwer, präventive Maßnahmen im angestrebten Umfang umzusetzen …«

Weitgehend verschont vom Burn-out bleibt, wenn man den Zahlen glauben darf, ausgerechnet die Gruppe der Beschäftigten, in der die höchste Belastung vermutet wird: Top-Manager, das zeigen Erfahrungsberichte, brennen seltener aus. Gründe hierfür könnten die angemessene Anerkennung in Form eines hohen Gehalts, die Liebe zum Beruf oder die in Führungsebenen gebotene Stressresistenz sein. Schwäche zu zeigen ist auf diesen Etagen allerdings ebenfalls immer noch ein Tabu.

Genug der Vorrede – jetzt geht es los. Gewinnen Sie Hoheit über Ihr Leben. Sind Sie glücklich?

Es ist keine große Herausforderung, so zu sein,

wie andere Menschen es sich wünschen,

die große Kunst besteht darin, so zu sein, wie man ist.

Quelle unbekannt

Was geschieht hier eigentlich?

Dinge wahrzunehmen ist der Keim der Intelligenz.

Laotse

Finden Sie es nicht auch auffällig, dass in Ländern, wo Menschen allen Grund hätten, unter Stress zu leiden – weil sie nicht wissen, wie sie an Nahrung kommen oder ob sie in der nächsten Nacht ein Dach über dem Kopf haben werden, geschweige denn, ob sie überhaupt am Leben bleiben –, Burn- out wenig oder gar nicht bekannt ist?

Die Menschen im zwanzigsten Jahrhundert haben zwei Weltkriege mit unglaublichen Belastungen erlebt und noch früher waren Arbeitstage von mehr als 12 Stunden ohne Jahresurlaub keine Seltenheit. Könnte das Phänomen Burn-out vielleicht etwas mit fehlender Sinnhaftigkeit im Leben der Betroffenen zu tun haben oder gar mit dem Verlust von Werten?

Mozart komponierte binnen kurzer Zeit drei große Opern und bekam keinen Burn-out. Paul Cézanne schuf unzählige eindrucksvolle Werke und erlitt keinen Burn-out. Jemand, der wirklich tief begeistert ist von dem, was er tut, kann gar nicht ausbrennen, im Gegenteil: Er bekommt Kraft aus seiner Tätigkeit, auch wenn er zwölf Stunden oder mehr darauf verwendet.

Seit Jahren darf ich beobachten, wie griechische Fischer, die morgens in aller Frühe aufs Meer fahren, vormittags zurück­kommen und bis in den späten Abend in ihrer Taverne arbeiten. Dabei plaudern sie gut gelaunt mit ihren Gästen. Als ich dort von meinem gerade entstehenden Buch über Burn-out erzählte, fragten sie, was das sei – und schüttelten dann nur den Kopf. Sogar der ansässige Arzt, mit dem ich im Zuge meiner Recherchen sprach, kannte Burn-out und dessen Symptome bis vor Kurzem lediglich vom Hörensagen und aus einer Fachzeitschrift. Inzwischen, so sagte er mir, gebe es das Phänomen leider zunehmend auch in den großen Städten auf dem Festland; er bringe das mit dem enormen Druck in Verbindung, der seit der Krise auf dem Land liegt.

Ungezählte Menschen stecken dort tief im Tal der Depression. Es ist sogar so schlimm, dass viele Griechen keinen anderen Ausweg mehr wissen als den Freitod. Die Angst, als Bettler zu enden, lässt viele zum Strick greifen. Täglich nehmen sich dort zwei bis drei Menschen das Leben, 25–30 versuchen es. Die Psychologen der Athener Pantion Universität untersuchen die psychologischen Auswirkungen der Finanzkrise. Früher waren Suizide in der griechischen Gesellschaft sehr selten, zurzeit liegt die Rate bei 12 Prozent und steigt weiter an. Angesichts der großen Not ist sogar die Kirche von ihrer Regel abgewichen, Selbstmörder nicht zu bestatten.

 

Es ist still geworden in Griechenland, weil die Menschen erschöpft sind. Die Zeiten der Massenproteste sind vorbei. 2012 kam es noch zu Straßenschlachten vor dem Parlament. Anlass war der Selbstmord eines 77-jährigen Rentners, der sich aus Protest mitten auf dem Platz erschossen hatte. Laut seines Abschieds­briefes wollte er damit ein Zeichen setzen und die Jugend auffordern, sich zu wehren. Der Kampf ums Überleben nimmt inzwischen den Menschen die Kraft zur Revolte. Das sind typische Merkmale eines Burn-out. Natürlich wird das nicht bekannt gemacht, da es die Erholung der Aktienmärkte stören würde. Die Troika zeigte sich bei ihrem letzten Besuch ›zufrieden‹. Womit? Damit, dass es in Griechenland wieder Malaria-Tote gibt? Oder mit der Verdreifachung der Selbstmordrate, die jahrelang die niedrigste in Europa war?

Ist die Troika zufrieden mit der Arbeitslosenquote von 27 Prozent? Oder mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 70,6 Prozent in der griechischen Region Dykiti Macedonia? 1,3 Millionen von 3,6 Millionen erwerbsfähigen Griechen sind arbeitslos. Ein Drittel der Bevölkerung ist unter die Armutsgrenze gefallen. Bei 7 Millionen Griechen bestimmt Armut den Alltag.

Ist die Troika zufrieden damit, dass weit mehr als 300.000 Griechen ihr Auto abgemeldet haben oder dass Eltern ihre Kinder in SOS-Kinderdörfern abgeben, weil sie sie nicht mehr ernähren können? 150.000 Hochschulabsolventen haben in jüngster Zeit das Land verlassen, 120.000 Firmen sind inzwischen bankrottgegangen. Dieser beispiellose Aderlass ist die traurige Situation in Griechenland. Man darf gespannt sein, was die neue Regierung Griechenlands bewirken wird. Die Troika wollen sie jedenfalls schon einmal des Landes verweisen und zeigen damit diesen menschenverachtenden Robotern der Europä­ischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds die kalte Schulter. Wahrscheinlich hat man nun hierzulande Angst vor einer Annäherung Griechenlands an Russland. Diese Wahl war sicher der demokratische Hilfeschrei eines Volkes, das damit gesagt hat: »So können wir nicht mehr weiter machen.«

Arbeitsüberlastung, Tempodruck, mangelnde Mitsprache bei der Gestaltung der Arbeitsprozesse, Mobbing, autoritäre Führungsstile und fehlende Wertschätzung sind Faktoren, die auch hierzulande den Menschen ein hohes Maß an Belastbar­keit abverlangen. Vor diesem Hintergrund finden viele nicht mehr genügend Muße und Entspannung, um mit den Anforderungen des Alltags fertig zu werden. Dennoch bekommen auch Menschen einen Burn-out, die den eben genannten Verhältnissen nicht ausgesetzt sind. Andere wiederum, die 60 Stunden in der Woche arbeiten, trifft er nicht.

Was geschieht hier eigentlich? Stellt Burn-out vielleicht nur eine Metapher dar, und wenn ja, wofür? Ist es möglicherweise in bestimmten Kontexten völlig normal, einen Burn-out zu erleben, und somit im Umkehrschluss eher krank, keinen zu bekommen? Könnte Burn-out bei Erwachsenen vielleicht gar eine Revolte gegen unser selbst geschaffenes System sein, ähnlich wie ADHS bei Kindern? Falls ja, werden jedenfalls enorme Anstrengungen unternommen, diese Revolution zu verhindern. Die Pharmaindustrie wird es uns sicher danken.

Einerseits sind wir unglaublich stolz auf unsere Freiheit, die wir für das höchste Gut halten, versklaven uns aber selbst immer mehr, indem wir uns von Dingen wie E-Mails, Handys und Smartphones abhängig machen: je mehr wir davon besitzen, desto erfolgreicher meinen wir zu sein. John D. Rockefeller und Enzo Ferrari, um nur zwei erfolgreiche Menschen zu nennen, hatten kein Handy. Wir bilden uns ein, ständig erreichbar sein zu müssen, aber machen uns damit auch in eigenen Prozessen jederzeit unterbrechbar. Sogar während der Unterbrechungen können wir noch unterbrochen werden, wenn zum Beispiel eine neue Nachricht auf dem Display erscheint. Dabei geht es selten um wesentliche Informationen, sondern viel mehr um Ruhestörung. Wir fesseln uns also selbst. Da jedoch nur Dienstboten ständig erreichbar sein müssen, ist derjenige wirklich erfolgreich, der es sich leisten kann, sein Handy auszuschalten.

Benutzen Sie den öffentlichen Personennahverkehr? Dann beobachten Sie folgendes Phänomen sicher auch (falls Sie nicht selbst zu beschäftigt sind): Die Fahrgäste steigen ein, suchen sich eine freie Sitzgelegenheit, lassen sich nieder – und nehmen sofort ihr Smartphone in die Hand. Dann drücken und wischen sie permanent auf dem Display herum.

Aber es geht noch schlimmer: Ich habe an diesem Buch an einem der schönsten Orte geschrieben, die man sich dafür vorstellen kann, auf der Terrasse des Gravia zwischen den Orten Arillas und St. Stefanos im Nordwesten der Insel Korfu. Von dort hat man einen traumhaften Blick auf das Meer und die vorgelagerte Insel gleichen Namens. Eine deutsche Familie kam und besetzte einen der Nachbartische. Kaum hatten sie dort Platz genommen, forderte die vielleicht vierjährige Tochter lautstark von der Mutter ihr Handy und begann sofort darauf herumzuspielen. Wohlgemerkt, sie hatte ein eigenes Smart­phone. Von diesem Moment an hörte man von dem Kind kein Wort mehr. Nur als es an das Bestellen des Essens ging, blickte die Kleine kurz auf und sagte: »Pizza«. Über den weiteren Wortschatz des Kindes konnte ich mir keinen Eindruck verschaffen. Da die Eltern ebenfalls nicht miteinander sprachen, befürchte ich da Schlimmes.

Ich möchte die modernen Errungenschaften keineswegs verteufeln; ohne diese elektronischen Helfer könnte ich nicht das Leben führen, das ich führe. Es muss also – wie bei so vielen Dingen – auch hier um die ausgewogene Balance gehen. Man ist jederzeit mit der ganzen Welt verbunden und daher werden wir mit dem Tausendfachen an Nachrichten und anderen Meldungen dessen überflutet, das unsere Großeltern noch erlebt haben. Dies kann nicht nur ein Segen sein, insbesondere wenn man sich die Frage stellt, ob wir unbedingt wissen müssen, welche Prominente gerade schwanger ist oder wie viele Menschen bei einem Hochhausbrand in China ums Leben gekommen sind.

»Jeder weiß, wie man ein Smartphone bedient, die politische Frage lautet umgekehrt, wie man verhindert, dass man vom Smartphone bedient wird«, so die kluge Anmerkung von Frank Schirrmacher, dem 2014 verstorbenen Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der in diesem Zusammenhang an anderer Stelle auch von Sozialstress sprach, den wir früher nur gekannt hätten, wenn wir vergessen hatten, Onkel oder Tante eine Karte aus dem Urlaub zu schreiben.

Problematisch wird es dann, wenn man diese Techniken wie ein Junkie nutzt. Der dadurch erzeugte negative Stress kann sich aufstauen und zu Störungen führen, die Seele, Geist und Körper gleichermaßen schwächen. Dies hat oft Nervosität, Schlaflosigkeit, emotionale Labilität oder Angstzustände zur Folge. Inwieweit Computer bereits den Menschen bedienen, haben weltweite Studien am Arbeitsplatz gezeigt. In dem Moment, in dem die SMS erscheint oder die E-Mail ankommt, werden wir bedient und verlieren die Kontrolle. Es dauert dann durchschnittlich 25 Minuten bis wir nach einer Unterbrechung wieder zu unseren ursprünglichen Tätigkeiten zurückkehren, weil wir einfach vergessen haben, was wir überhaupt getan haben und das so entstandene Vakuum mit noch zwei Projekten füllen, beschreibt Frank Schirrmacher in seinem Buch Payback.

»In vierzig Prozent der Fälle«, schreibt die New York Times, »wandern die Arbeitenden sogar in eine ganz andere Richtung, sie werden magisch angezogen von der technologischen Version eines schlimmeren Gegenstands. Die wirkliche Gefahr ist gar nicht die Unterbrechung, sondern das Chaos, das sie mit unserem Kurzzeitgedächtnis veranstalten: ›Was zum Teufel habe ich gerade getan?‹

»Der moderne Mensch wird in einem Tätigkeitstaumel gehalten, damit er nicht zum Nachdenken über den Sinn seines Lebens und der Welt kommt«, bemerkte bereits Albert Schweitzer – lange bevor es Smartphones gab. In jedem Fall haben Smartphone und Co. unsere Kommuni­kation verändert und Computer übernehmen für uns mehr und mehr das Denken. Sie stellen uns auf Basis von Antworten, die wir einmal gegeben haben, neue Fragen. Sie glauben das nicht?

Dann nehmen Sie einmal an, sie hätten irgendwann an einer Internetbefragung teilgenommen und dort erklärt, dass Sie für Ökostrom auch etwas mehr bezahlen würden. Später haben Sie online ein Buch über Gartenbau gekauft und außerdem bei Autoscout nach Elektroautos gesucht. Bei Facebook haben Sie den Segeltörn eines Freundes begeistert kommentiert ... Es wird nicht lange dauern, bis Sie gefragt werden, ob Sie nicht Ihren nächsten Urlaub in einer idyllischen Anlage auf einer autofreien Ostseeinsel verbringen möchten, mit der Möglichkeit, Ihren Segelschein zu machen – oder Ähnliches. Der Computer kommt lange vor uns auf solche Ideen.

Der Potsdamer Kinder- und Jugendpsychiater Ulrich Preuß hat beobachtet, dass sich der Druck im Alltag durch das Smartphone erheblich erhöht hat. Viele Jugendliche befinden sich in einem ständigen Stand-by-Modus, weil sie jederzeit erreichbar sein wollen. Er spricht in diesem Zusammenhang von Abhängigkeitsfollowern, wenn die Jugendlichen durch die Benutzung der Social Media nicht eben mal abschalten können, sondern immer in einer Erklärungsnot seien, was sie gerade unternehmen und wo sie gerade sind. Das macht Stress und führt vor allem zu Konzentrationsstörungen, weil man durch die häufigen Unterbrechungen gar nicht mehr gewohnt ist, länger an einer Sache dranzubleiben. Eine große Heraus­forderung dieses Jahrhunderts wird es sicherlich sein, die Menschen an den stressfreien Umgang mit all diesen Wunderwerken zu gewöhnen.

Stress alleine und für sich betrachtet ist zunächst einmal wertfrei. Es ist die körperliche und geistige Reaktion des Organismus auf Anforderungen aus der Umgebung. Stress ist nicht gefährlich, im Gegenteil. Sind wir nicht zu Stressreaktionen wie Flucht oder Kampf in der Lage, wird es schlimm. Wenn es eine Disposition für Stresserkrankungen wie Depression, Burn-out oder Schlafstörung gibt, dann wird eine Wiederholung von Stresssituationen oder gar Dauerstress zum Risikofaktor.