Licht über weißen Felsen

Mesaj mə
0
Rəylər
Fraqment oxumaq
Oxunmuşu qeyd etmək
Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

»Byron Bighorn! Was habe ich gefragt?« Miss Gish sprach ärgerlich und streng.

Wakiyas Gesicht wirkte völlig abwesend.

»Byron Bighorn! Weißt du nicht, was ich gefragt habe?«

Wakiya blieb stumm; er schien nicht da zu sein.

Die anderen Kinder schauten auf ihre Tische. Sie schämten sich für Wakiya, er tat vielen leid; einige unterdrückten ein Kichern. Alle fürchteten, dass wieder einmal ein Strafgericht hereinbrechen würde.

»Byron Bighorn! Woran denkst du überhaupt? Antworte mir.«

Wakiya war es schwindlig zumute, wie in Nebeln auf einem schmalen Grat. Er hatte nichts begriffen als die letzte Frage, und er antwortete, weil seine Gedanken ihn sehr bedrängten und weil er auch schon wieder vergessen hatte, dass es Miss Gish war, die ihn fragte: »Womit kann man Blut abwischen?«

Miss Gish glaubte, nicht recht gehört zu haben.

»Byron Bighorn! Woran denkst du überhaupt?«

»Gibt es das, verdammt sein? Es ist doch immer einer schuld.«

»Byron Bighorn, setze dich hin und pass von nun an besser auf. Ich werde mit deinem Pfarrer sprechen. Die Wege, auf denen deine Gedanken gehen, sind ja nicht mehr normal.«

Wakiya gehörte wie alle Kinder auf der Reservation einer Kirche an. Die Mutter hatte ihn aber nur sehr selten mitgenommen, denn auch der Weg dorthin war weit.

An einem der nächsten Tage kam ein alter Pfarrer in die Schule. Er holte sich Wakiya nach der letzten Stunde, als die anderen Kinder zum Schulbus eilten, und setzte sich mit ihm in den Schulgarten hinter das Haus. Das Gras wuchs hier als dichter Teppich. Die Blumen waren längst abgeblüht. Die schmalen Wege waren mit Sand aus roter und gelber Erde bestreut. Eine einzige Bank stand da und auf diese setzte sich der alte Mann mit dem Kind.

Wakiya hatte den Alten schon vorsichtig gemustert. Er war weißhaarig, hatte blaue Augen, und seine welke Haut war hell, wie sie bei einem Geist sein sollte. Er war groß, wenn auch nicht so groß wie der alte Geheimnismann, den Wakiya noch gekannt hatte.

»Byron Bighorn, du möchtest Blut abwischen. Das ist freilich eine schwere Sache. Das kann nur Gott allein, den du Wakantanka nennst.«

»Kann er es wirklich?«

Der alte Mann erschrak. »Er kann alles.«

»Aber wenn das Haus verdammt ist?«

»Niemand kann verdammen außer Wakantanka selbst.«

»Und wenn er verdammt hat?«

»So vermögen wir nichts dagegen zu tun, außer zu beten.«

»Aber er selbst?«

»Er kann verdammen, und er kann Gnade schenken.«

»Was ist das?«

»Er kann das Blut abwischen.«

»Es ist ein großes Geheimnis. Warum verdammt er?«

»Wenn einer eine ganz böse Tat getan und böse Gedanken gehegt hat.«

Wakiya schüttelte den Kopf.

»Das willst du nicht glauben?«

Wakiya schüttelte wieder den Kopf.

»Kannst du mir erklären, Byron Bighorn, warum das so schwer zu verstehen ist?«

»Ich habe nicht immer die Worte, die ich sagen will. Aber vielleicht kann ich es dir sagen, wenn du genau zuhörst. Ich weiß nicht, ob Wakantanka euer Gott ist. Vielleicht ist er es geworden. Gegen uns ist er nicht mehr gerecht. Ihr dürft uns alles nehmen, und er verdammt euch nicht.«

»Wir versuchen, Buße zu tun und euch vieles wiederzugeben. Wir geben euch den Glauben und wir geben euch Wissen und wir geben euch Straßen und wir geben euch Häuser.«

»Aber wenn ein Mensch verdammt ist, ist er erst verdammt und dann tut er das Böse.«

»Aber nein, Byron Bighorn, das ist heidnischer Aberglaube.«

»Ich habe es bei euch gelernt, und die Mutter hat es auch bei euch gelernt. Euer Gott straft den Vater, den Sohn und dessen Sohn und wieder dessen Sohn. So steht es bei euch geschrieben.«

»Wenn der Vorfahr eine böse Tat getan hat.«

»Aber der Sohn hat sie nicht getan.«

»Das ist der Fluch.«

»Wie kann man einen Fluch aufheben?«

»Das kann nur Gott, den ihr Wakantanka nennt.«

Der Kreis war geschlossen.

»Du musst beten, Byron Bighorn.«

»Der Alte hat gebetet. Hast du viel Kraft?«

»Ich habe keine Kraft. Die Kraft ist bei Gott.«

Wakiya gab es auf. Er betrachtete den gelben und den roten Sand. »Wessen Blut willst du abwischen, Byron Bighorn?«

Nun wurde dieser alte Geist auch noch neugierig! »Die Mutter hat einen Hund geschlachtet.«

»Hast du den Hund so gern gehabt?«

»Wir haben ihn aufgegessen.«

»Ja, du willst nun nach Hause gehen, Byron Bighorn, nicht wahr?«

»Ja.«

Wakiya lief los. Er blieb wieder allein mit seinem Traumbild, mit seinen Rätseln und seinem Grübeln, mit seiner Liebe und mit seinem Hass. Er sprach mit niemandem mehr über das, was ihn Tag und Nacht verfolgte. Inya-he-yukan war verloren! Die Geister waren daran schuld. Es gab keinen Gott gegen sie.

Der Winter brach herein. Es wurde ein harter Winter. Viel Schnee fiel. Wakiya musste wieder lange Zeit der Schule fernbleiben. Die Mutter hatte noch Vorräte ins Haus geschafft, so dass sie mit Wakiya und der kleinen Schwester nicht zu verhungern brauchte, wenn auch alle darbten.

An Tagen, an denen der Schnee fest genug lag und die Straße nicht verweht war, nahm sie die Schneereifen und wagte sich bis zum Laden der Agentursiedlung.

Einmal hatte sie dort Inya-he-yukan gesehen, der ebenfalls eingekauft hatte.

»Er hat lange Bretter an den Füßen; damit fliegt er über den Schnee wie ein Vogel. Er hat immer das Neueste. Einen Brunnen hat er jetzt auch. Ein Indianer einen Brunnen! Das Wasser fließt. Sie haben Geld, die Kings. Inya-he-yukan hat zwei Geister gefunden, die verlorengegangen waren. Dafür hat er viel Geld bekommen. Er wird noch so reich werden wie die Wirbelwinds.«

Die Mutter packte ihren Sack aus.

Ob Geld und Wasser Blut abwischen konnten? Wakiya dachte über neue Fragen nach.

Die Schule wurde ihm immer gleichgültiger, weil er keine Hoffnung mehr hatte, das Klassenziel zu erreichen. Lehrer und Schüler wussten, Wakiya selbst wusste, dass er sitzenbleiben würde.

Wakiya graute es davor, weil er dann wieder unter fremde Kinder kam, vor denen er sich scheute, und weil er ein Jahr länger in die Schule gehen musste. Die Mutter war nur drei Jahre in die Schule gegangen. Wie gut hatte sie es gehabt – trotz des großen Stocks. Wakiya interessierte sich nicht mehr für die Schule. Auf seine Fragen konnte sie ihm keine Antwort geben. Er gewöhnte sich in den langen Schneeferien daran, auf der Schlafstatt zu liegen, zu denken oder auch gar nichts mehr zu denken und nur nach der gelben Decke im Innern des hellblauen Bretterhäuschens zu starren. Es war nicht so kalt in dem Hause, wie die Mutter gefürchtet hatte; die doppelten Wände schützten fast so gut wie Balken.

Die kleine Schwester spielte mit einer Puppe, die die Mutter ihr gemacht hatte.

Als der Schnee zu schmelzen begann, musste Wakiya wieder in die Schule gehen. Er konnte dem Unterricht kaum mehr folgen, auch wenn er es sich vornahm. Seine schriftlichen Arbeiten waren ungenügend. Er schämte sich vor den anderen Schülern. Still und verzweifelt saß er an seinem kleinen Tisch in der ersten Reihe, rechts außen.

In dieser Zeit der Nässe und des Schneematsches sah er Tashina wieder einmal. Sie wurde auf einer Bahre in das Krankenzimmer getragen. Matt und blutleer sah sie aus; ihre Hände waren weiß wie weißer Stein. Wakiya hörte die Stimme der Rektorin.

»Wir müssen Mr King verständigen. Ein Herzanfall.«

Wakiya trieb sich nach Schulschluss noch umher. Er wollte sehen, ob Inya-he-yukan zu Tashina kam, ehe sie vielleicht starb.

Es ging gegen Abend, als ein Sportcabriolet mit großer Geschwindigkeit die letzte Kurve nahm und vor dem Schulgebäude stoppte. Joe King sprang heraus und schlug hinter sich die Tür klappend zu. Er eilte in das Haus.

Wakiya sah den Wagen stehen und schaute dem Mann nach, der hinter der großen Eingangstür verschwunden war. Joe trug nach seiner Gewohnheit den schwarzen Cowboyhut und jetzt im Winter über dem dunklen Hemd die Jacke. Es war noch die gleiche Jacke, in die er Wakiya gebettet hatte, als dieser von der Flucht und dem Anfall in der Sandkuhle völlig erschöpft gewesen war.

Wakiya ging nicht zu dem schnellen Wagen hin, wie wohl jeder andere Junge es getan hätte. Er wollte Inya-he-yukan nicht in den Weg laufen. Sicher hätte ihn dieser ein Stück im Wagen mitgenommen. Aber der Mann musste sich nun um seine Frau kümmern, und Wakiya war scheu. Der Junge beobachtete noch, wie Inya-he-yukan Tashina aus der Schule führte und fürsorglich in den Wagen setzte. Der Motor sprang leise an, und das Cabriolet fuhr weg. Wakiya blickte hinterher, bis es nicht mehr zu sehen war. Dann lief er heim und kam noch viel später als sonst bei der Hütte an.

Inya-he-yukan besaß einen Brunnen, Ski, Pferde, einen Wagen und Geld.

Die Mutter hatte gesagt, dass ihm niemand helfen könne. Wer hatte ihm geholfen? War der Fluch gelöst? Oder galten Brunnen, Ski, Pferde, ein Wagen und Geld nichts vor der Verdammnis? Wakiya vertraute seine Fragen niemandem mehr an. Er lief täglich zur Schule, blieb ein schlechter Schüler und war abends todmüde. Margot Crazy Eagle kam noch in jedem Monat einmal zu der Schule und sah auch nach Wakiya. Sein Leiden hatte sich im Krankenhaus gebessert. Schwere Anfälle waren nicht mehr eingetreten. Leichte kamen jetzt wieder öfter. Aus einem Gespräch der Rektorin mit Margot erfuhr Wakiya, dass Tashina wieder gesund war und dass sie bald ein Kind erwartete.

Inya-he-yukan würde einen eigenen Sohn haben. Irgendein letztes Band zerriss in Wakiya; er wusste selbst nicht, woraus es gewebt gewesen war.

 

Am Ende des Schuljahres erfuhr er, dass er sitzenbleiben würde und die dritte Klasse wiederholen müsste. Er nahm es äußerlich ruhig hin. Aber sein Herz klopfte vor Aufregung und Scham, und als er heimgekommen war, schlich er sich wieder einmal an seinen alten Platz, wo alle Erinnerungen verbrannt waren. Der alte Hund, der zu zäh war, um aufgegessen zu werden, kam zu ihm und legte sich auf seine nackten Füße.

Wakiya weinte bitterlich.

Zwei Tage später kam der Bruder aus dem Schulinternat in die Ferien heim. Er war rund, hatte ein gutes Zeugnis und war zu Streichen aufgelegt. Doch erklärte er entschlossen, dass er nie mehr in das Schulheim zurückkehren werde. Lieber wollte er täglich mit Wakiya den langen Weg laufen.

Die Mutter war einverstanden.

Da der Junge ständig drängte und die Mutter seinen Wunsch selbst vernünftig fand, machte sie wieder einmal den langen Weg zur Agentursiedlung und zum Stammesrat. Sie nahm die beiden Brüder mit.

Der Stammesrat hatte seinen Amtssitz in einem der Holzhäuser an der Agenturstraße; ein kleiner Garten lag davor. Das Haus war einmal weiß gestrichen worden. Eliza wartete mit ihren Kindern, dann wurde sie zu dem Ratsmitglied für Schulwesen, Bill Temple, eingelassen. Sie brachte ihr Anliegen vor.

»Damit wird es nichts werden, Eliza. Es sollen möglichst viele Kinder in das Internat, damit sie auch nach dem Unterricht immer englisch sprechen und die Lebensweise der weißen Männer leichter lernen. Sie haben dort genug Wasser, um ihren Durst zu löschen und sich zu waschen. Es ist ein wunderschönes neues Schulinternat, in das sie deinen Sohn Hanska aufgenommen haben.«

»Aber Wakiya ist krank, und der Bruder könnte auf dem Weg immer bei ihm sein, wenn er mit ihm hier in die gleiche Schule ginge.«

»Miss Bilkins wird nicht zustimmen. Das ist aussichtslos. Aber wenn du anders denkst, kannst du mit den beiden Kindern zu ihr gehen.«

»Komm du mit, Bill Temple.«

»Es ist besser, du gehst allein. Ich muss die Grundsätze beachten und kann nicht dagegen sprechen. Aber du kennst die Grundsätze eben nicht.«

Eliza erhob sich, nahm die Kinder an die Hand und ging hinüber in das blank-weiß gestrichene Bürohaus der halbmächtigen Geister. Miss Bilkins empfing sie. Ein Dolmetscher machte verständlich, was Eliza wollte.

»Das kommt nicht in Frage.« Miss Bilkins vertrat die Grundsätze aufs eifrigste. »Ihr älterer Sohn, Mrs Bighorn, ist ein schlechter Schüler und Sitzenbleiber, weil er nicht von Anfang an ins Internat kam. Ihr jüngerer Sohn ist ein guter Schüler. Ich opfere nicht einen guten Schüler einem schlechten Schüler. Ihr jüngerer Sohn bleibt im Internat und macht die zwölf Klassen. Erledigt. Der Schulwechsel von Queenie King hat mir Ärger genug verursacht. Das darf keinesfalls so weitergehen.«

Was ein Indianerkind zu tun und zu lassen hatte, bestimmten nicht seine Eltern, noch weniger des Kindes eigene Wünsche. Das bestimmten vielmehr der allmächtige Vater Superintendent und die halbmächtige Geisterfrau des Schulwesens.

Als Hanska das verstanden hatte, blitzten seine Augen böse auf.

Mutter und Kinder verließen das Bürohaus.

Um die Anstrengung des langen Weges auszunutzen und den Weg nicht ganz vergeblich gemacht zu haben, brachte die Mutter ihre beiden Jungen noch zu dem braunhäutigen Mann mit der Schere.

Wie immer saßen einige wartende Kunden auf den Stühlen an der Wand; die Stühle waren in den vergangenen vier Jahren nicht neuer und nicht fester geworden.

Die da saßen und warteten, waren alles Indianer. Die Geister ließen sich ihre Haare andernorts pflegen.

Das Warten gab Gelegenheit zu einem leise und mit vielen Unterbrechungen geführten Gespräch, zum Austausch von Meinungen und zum Verbreiten der wichtigsten Nachrichten.

»Er hat den ersten Preis gemacht in Calgary für ›Bronc sattellos‹ Habt ihr es gehört?«

»Aber ja!«

»Ein Indianer! Ist das schon dagewesen?«

»Es steht in den New City News.«

»Jetzt brüsten die sich damit, weil er aus unserem Staat ist. Er ist aber ein Indianer. Das schreiben sie nicht. Das haben sie nur geschrieben, als er noch ein Gangster war.«

»Wer weiß denn, ob er es nicht mehr ist?«

»Sie haben ein Bild gebracht.«

»Das alte vom Rodeo in New City?«

»Nein, ein neues.«

Einer der Männer zog umständlich einen Zeitungsausschnitt aus seiner Brieftasche.

Das Blatt ging von Hand zu Hand.

Auch Wakiya und sein Bruder bekamen es zu sehen.

»Wakiya! Schau dir das an! Ich will auch bucking horses reiten!«

Die Männer lächelten.

»Joe King züchtet sie. Musst dich anmelden bei ihm als Cowboy und Rodeoreiter.«

»Mutter, lass mir die Haare wachsen. Ich will nicht mehr fort von euch und in das Schulgefängnis. Ich will gar nicht mehr in die Schule gehen. Ich will Cowboy werden.«

Wakiya zog die Mundwinkel ein wenig herunter. »Das will David auch.«

»David kann das nicht. David wird studieren. Aber ich will ein Cowboy werden, Mutter!«

Die Männer lächelten noch offener.

»Das fängt aber nicht mit Calgary an, Hanska! Das fängt mit Üben an – und damit, dass du mit dem blauen Hintern mehr im Gras sitzt als auf dem Pferderücken.«

»Mutter, kaufst du mir ein Pferd?«

»Du musst zu Mrs Carson gehen und fragen, ob sie dir das Geld gibt.«

Wakiya mischte sich ein.

»Sie schenkt dir einen roten Radiergummi, aber keinen Mustang.«

»Dann laufe ich zu Joe King und frage ihn.«

»Das sieht dir ähnlich.«

Die Männer lachten herzlich.

Aber Wakiyas Bruder ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Joe King ist auch ein Indianer. Wie hat er es gemacht?«

»Mit dem Teufel wahrscheinlich.«

Das sagte einer. Die anderen wurden wieder ernst.

»Er ist ein verdammter Bursche.«

Wakiya fasste die Stuhlkanten fester. Seine Füße reichten erst knapp zum Boden. Der Mann hatte »verdammt« gesagt. Dieses Wort hatte er aus der Geistersprache entnommen. Verdammt war Joe King! Wussten denn das schon alle?

»Es ist gut für uns, dass er den Preis gemacht hat.«

»Gut, ja. Aber was wird er sonst noch alles machen? Mit den Kings gibt es niemals Ruhe.«

»Der Alte, den er sich von seiner Mutter Seite aus Kanada geholt hat, hat geschossen, als einer von uns eine Flasche Brandy trinken wollte.«

»So sind sie. Saufen und schießen. Das sind die Kings und ihre Frauen.«

»Aber reiten kann er.«

»Und wenn er es mit dem Teufel macht?«

»So sind die Cowboys alle.«

»Er bringt den ganzen Stamm durcheinander. Auto und Calgary und ein Brunnen! Er ist kein Indianer mehr. Passt auf, wenn er jetzt den Preis in der Hand hat, läuft er wieder fort.«

»Er wird durch den Sonnentanz gehen.«

»Der?«

»Hüte deine Zunge. Das Sonnenopfer reinigt jeden Mann.«

Wakiyas Augen wurden groß.

»Lässt der Medizinmann ihn zu?«

»Er ist schon angenommen.«

»Noch hat er nicht bestanden. Vielleicht ist er des Teufels.«

Im Kopf der Männer mischte sich alte und neue Religion, wie es für sie zusammenpasste. Manches schien einander nicht fremd.

»Verdammt!«

Das war das letzte Wort, das einer der Männer zu der Sache Inya-he-yukan sprach. Wakiya ahnte nicht, wie leichtfertig die Geister dieses Wort gebrauchten und überall verbreiteten. Für ihn lag darin ein unbestimmtes, darum um so drohenderes Grauen.

Der Reihe nach ging nun jeder zu dem frei im Raum stehenden Stuhl, und bei einem nach dem anderen fielen die abgeschnittenen schwarzen Haare auf das weiße Tuch. Als letzter kam Wakiyas jüngerer Bruder an die Reihe. Er hielt still.

Eine Woche später sollte das Fest des Sonnentanzes gefeiert werden. Drei junge Männer hatten sich bereitgefunden, das Opfer zu bringen und die Qualen auf sich zu nehmen. Einer von ihnen war Inya-he-yukan.

Eliza Bighorn wusste nicht, was sie tun sollte. Mit ihrem Mann zusammen war sie immer zu den großen Kulttänzen gegangen, nach seinem Tode auch noch hin und wieder. Aber der Weg war weit, und Wakiya hatte wieder einen stärkeren Anfall gehabt. Sie mochte ihn nicht mitnehmen, da er das Fest stören könnte. Und sie mochte ihn nicht allein zu Hause lassen, auch nicht allein mit der kleinen Schwester, und sie wollte die heißen Bitten des jüngeren Bruders, ihn mitzunehmen, nicht abschlagen.

Es war schwierig, das Rechte zu finden.

Endlich wusste sie, was sie tun musste. Sie schickte den jüngeren Bruder zum weit entfernten Nachbarn. Man sah sich selten, aber der Nachbar würde das Kind zu der Feier mitnehmen. Die Mutter blieb mit Wakiya und der kleinen Schwester zu Hause.

Wakiya sagte nichts zu der Entscheidung. Er hatte nicht mit einem einzigen Wort gebeten, zu dem Sonnentanz gehen zu dürfen.

Als der Tag der Opferfeier begann, lief er vor Sonnenaufgang hinaus in die Prärie, und die Mutter sah ihn bis zum Abend nicht mehr. Er suchte seinen alten zerstörten Platz auf. Die Erde hatte das Feuer nicht fressen können; den Himmel hatten die Flammen nicht erreicht. Erde und Himmel waren geblieben. Die Prärie dehnte sich gelb und dürstend aus, wie in jedem späten Sommer und jetzt weithin ohne irgendeinen Baum und Strauch. Die Einsamkeit war nur stärker geworden durch das Feuer.

Wakiya blieb Stunde um Stunde an seinem Platz. Die Sonne zog mit rotgolden glänzender Macht herauf, als wisse sie, dass dies der Tag sei, an dem sie geehrt wurde. Sie konnte das Gras aus der Erde locken und Tieren und Menschen die Nahrung geben. Sie konnte das Gras verbrennen und das Wasser austrocknen und Tiere und Menschen sterben lassen. Seit den ältesten Zeiten hatte sie das Opfer der braunhäutigen Männer empfangen.

Wakiya wusste genau, wie der Tag verlief. Die Mutter hatte es ihm gesagt. Jetzt, um diese Stunde, waren die Opfernden noch im Gebet, ohne Speise und Trank, vom Duft des heiligen Tabaks gestärkt, den an solchem Tag zu rauchen einen Gruß an die mächtige Sonne bedeutete.

Wakiya hatte vom Vater gelernt, wie man denkt, ohne mit den Gedanken abzuirren. Er saß regungslos an seinem Platz und blickte nach Osten.

Er war bei denen, die an diesem Tag der Sonne ihr Leben weihten und es wieder empfangen konnten. Es war aber auch schon geschehen, dass die Sonne ein Leben festhielt und es nicht wieder herausgab. Die Strahlen konnten töten oder neues Leben schenken.

Inya-he-yukan wollte heute um sein neues Leben ringen. Sein Blut würde fließen und altes Blut von der Erde wischen. So wusste es Wakiya.

Die Sonne hatte das Blutrot ihrer morgendlichen Geburt abgelegt und strahlte in dem Glanz, vor dem der Mensch seine Augen senken muss. Wakiya erblickte, was fern von ihm auf dem Kultplatz bei dem großen belaubten Baum und um die geheimnisvolle Hütte des Sonnenopfers vor sich ging. Der Baum war heilig. Im Innern seines Markes war die dunkle Stelle zu sehen, deren Form dem fünfzackigen Morgenstern glich. Schon kamen sie alle, und wer die alten Gewänder seiner Vorfahren noch besaß, der trug sie heute. Wer sie nicht mehr besaß, aber geschickte Hände hatte und die Alten ehren wollte, der trug neue Gewänder, die nach alter Art gefertigt waren. Bunt und schön war die Menge der braunhäutigen, schwarzhaarigen Menschen auf der sich gelb färbenden Wiese am Sonnentag.

Die Geheimnismänner gingen zu der Hütte, um miteinander das Opfer vorzubereiten. Die drei jungen Männer, die es bringen wollten, hatten sich im Schwitzzelt gereinigt. Sie hatten nicht gegessen und nicht getrunken, sondern nur die Blätter des Tabaks für die Sonne geraucht. Ihre Gedanken irrten nicht ab, sie waren ganz auf das Kommende gerichtet.

Wakiya war bei Inya-he-yukan. Noch trug »Stein hat Hörner« die hirschlederne Kleidung seiner Vorfahren. Einem jungen Häuptling gleich stand er auf der roten, gelben, grauen Erde, und seine Füße gingen über das Gras, das die Büffel und die Mustangs gern geweidet hatten. Er war groß gewachsen und kräftig. Das Gewicht des Ledergewands spürte er kaum auf seinen Schultern. Gelb, rot und blau gestickt leuchteten darauf Tipi und Sterne.

Inya-he-yukan war der Sohn der Prärie an einem großen Festtag. Aber seine schwarzen Haare waren kurz; auch er war den Geistern unterlegen wie sein ganzer stolzer Stamm. Die hellhäutige Faust lag auch ihm im Nacken. Aber gebeugt hatte sich sein Sinn noch nie.

Die Stunde kam, in der die drei Opfernden die Kleider ablegten und in die Hütte gingen. Die große Trommel wirbelte schon unaufhörlich, dumpf, mächtig, noch immer die Stimme dieses Landes und derer, die es zuerst besessen hatten. Die Sänger sangen die alten, heiligen Lieder des Sonnentags. Schrill, vom Ohr nicht abzuwehren, packten sie jeden.

 

Wakiya hörte sie. Er hatte zweierlei Ohren, äußere und innere, wie er auch zweierlei Augen besaß. Doch öffneten sich ihm die inneren Augen und die inneren Ohren nur dann, wenn er allein war und ganz bei dem, was er sehen und was er hören wollte. Heute störte ihn niemand.

Die anderen, die vielen in den alten, buntbestickten Gewändern, die jetzt um die Hütte aus Laub herumsaßen, durften nicht mit den Opfernden hineingehen. Wakiya aber ging mit.

Er ging mit Inya-he-yukan und dessen beiden Gefährten.

Der älteste und angesehenste der Geheimnismänner durchstach jedem der drei Opfernden die Brusthaut an zwei Stellen. Noch kam kein Blut hervor; das war die Kunst der Geheimnismänner. Jedem der drei Opfernden wurde an den durchstochenen Stellen je ein Stück eines kräftigen biegsamen Zweiges vom heiligen Laubbaum durchgezogen; die Enden waren an Lederriemen befestigt.

Die Riemen waren die Strahlen der Sonne, die den Opfernden gepackt hielten. Er musste sich unter Qualen davon losreißen.

Jetzt floss das Blut.

Das eigene Blut.

Niemand durfte den Opfernden helfen, niemand sie berühren, ehe nicht der heilige Zweig ihr Fleisch durchgerissen hatte.

Manche blieben lange von der Sonne gefangen.

Wakiya war bei Inya-he-yukan. Er fühlte die Schmerzen. Sein eigener Körper zuckte. Er war ganz dabei. Kein anderer konnte Inya-he-yukan jetzt so nahe sein wie Wakiya, das einsame Kind in der einsamen Prärie.

Die Schlegel wirbelten auf die Trommel, die Stimmen der Sänger schrillten.

Große Sonne! Gib deine Opfer wieder frei!

Inya-he-yukan stürzte, blutbesudelt von der Brust bis über die Knie, fahl, fast ohnmächtig. Sein Fleisch war durchgerissen.

Auch seine beiden Gefährten wurden frei und sanken auf dem Boden zusammen.

Das Opfer war vollzogen.

Die Trommeln wirbelten, die Stimmen der Sänger schrillten. Es ging dem Abend zu.

Selbst ihr Blut im roten Licht verströmend, ging die Sonne zu der Unterwelt, wo sie ihre Macht verlor. Aber das Opferblut gab ihr die Kraft zurück, so dass sie des Morgens in neuem Glanze aufzutauchen vermochte.

Das hatten die Ahnen vor langer, langer Zeit gesagt. Jetzt sprachen die Geheimnismänner anders. Das Blut entsühne den Menschen. Die Geister aber lehrten, dass die Sonne ihren Weg gehe und der Hilfe der Menschen nicht bedürfe.

Wakiya schüttelte die Wirrnis der Gedanken ab und blieb bei dem, was er aus dem Mund der Mutter gehört hatte.

Die Sonne hatte ihren großen Tag gesehen. Die Opfernden waren frei geworden.

Erschöpft, mit den schmerzenden Wunden, wurden sie den Ihren zurückgegeben.

Nun konnte Tashina ihren Mann pflegen und heilen. Wakiya aber war bei ihm in der Hütte gewesen, in der er seine Qual durchstand und alles Blut mit dem eigenen abwusch.

Es gab keinen Fluch mehr und keine Verdammnis, wenn die Sonne ihr Opfer freigegeben hatte.

So dachte Wakiya.

Als ob alle Krankheit, alle Schwäche, alle Sorge und aller Kleinmut von ihm gewichen seien, erhob er sich und schaute über das dürre, grenzenlose Land. Schritt um Schritt, im Ohr noch den Laut der verklingenden Trommelschläge und des hell gellenden Gesangs, ging Wakiya mit seinen bloßen Füßen über Gras, über harte Erde und Staub zurück zu der Hütte. Fremd schien sie ihm, armselig in ihrem verblichenen Hellblau. Er wandte ihr den Rücken und blickte nach dem Himmel, der Farben von überwältigender Kraft zaubern konnte, bis sie alle in die Nacht dahinschwanden und im sanft auszehrenden Licht des Mondes zur Ruhe gingen.

Die Mutter sprach Wakiya nicht an. Sie kannte ihn und wusste, dass er allein sein wollte. Spät gingen Mutter und Kinder schlafen.

Am nächsten Tag kam der jüngere Bruder zurück. Er erzählte wenig. Der Eindruck war zu mächtig gewesen.

Die Ferientage der beiden Brüder rollten wieder abwärts wie Steine, die in immer schnelleres Rollen geraten und endlich den Hang in großem Bogen hinabspringen.

Die beiden Jungen kamen sich näher als je. Sie hatten beide Angst vor der Schule. Wakiya fürchtete die Schande, mit der er nun als Sitzenbleiber noch einmal die dritte Klasse beginnen würde. Er würde sich in dieser Klasse schämen und langweilen und noch verstockter werden als zuvor. Er kannte sich selbst gut genug, um das schon zu fühlen. Es gab jedes Jahr viele Sitzenbleiber, denn die Kinder mochten nicht die Sprache der Sieger lernen, nur sehr wenige Eltern konnten ihren Kindern helfen, und die meisten Schüler wussten nicht, wofür sie lernten. Draußen vor dem Schulhaus standen oft die schulentlassenen Burschen, die Hände in den Hosentaschen, und zeigten auf diese Weise, was ein Schulabgänger in der Welt der Reservation zu tun hatte.

Es gab viele Sitzenbleiber. Aber unter ihnen keinen zweiten Wakiya.

Den jüngeren Bruder schüttelte eine andere Angst. Es war die Angst vor dem Heimweh. Er war noch ein kleiner Junge und sollte nun wieder ein ganzes Jahr fort von daheim. In eine Schule, wo er niemals reiten lernen konnte. Seine Mutter, seinen Bruder, seine Schwester, die Prärie und ihre Pferde sollte er drei Jahre lang nicht wiedersehen, wenn er nicht seinen Trotz ablegen und sich nicht alle seine heißen Wünsche abgewöhnen würde. So hatte Miss Bilkins entschieden, wie sie selbst glaubte, endgültig. Die Geister herrschten über Hanska. Aber alles in ihm bäumte sich auf, wie ein bockendes Pferd sich bäumt.

Er sagte nichts mehr davon. Die Mutter konnte es ja nicht ändern.

Als sie ihn zwei Tage vor Beginn des neuen Schuljahres an die Hand nahm, um ihn zu der Agentursiedlung zu bringen und zu dem Überlandbus, der dort wartete, da lief er mit gesenktem Kopf neben ihr her; er hatte den Kopf so tief gesenkt, dass sein Nacken bloßlag wie der eines Mannes, der ihn unter dem Henkerbeil beugen muss.

Er hasste die Geister und träumte von dem Kriegspfad, den er beschreiten würde.

Für Wakiya blieben nach dem Abschied von Hanska noch zwei Tage Zeit. Er nutzte sie, um der Mutter Wasser zu holen. Als er am letzten Tag von diesem Gang zurückkam, fand er die Mutter verändert. Sie sah ihren Wakiya misstrauisch von der Seite an.

Der Junge, bis zum achten Lebensjahr kleiner als die anderen Kinder seines Alters, war im Krankenhaus und in der Zeit danach stark gewachsen. Lang aufgeschossen, schmal und mager stand er neben der Mutter. Aber es blieb bei Elizas verwundertem, fragendem, nicht eben freundlichem Blick.

Erst beim Schlafengehen sagte die Mutter etwas von dem, was sie zu betrüben schien.

Sie sagte es in ihrem mürrischen Ton: »Was hast du wieder mit Inya-he-yukan gehabt?«

Wakiya fuhr zusammen und dachte an seine Wachträume am Sonnentag. Konnten sie unrecht gewesen sein? Er schaute fragend und bittend auf die Mutter.

»Nun, er war da.«

Wakiya wartete wieder.

»Mach, was du willst. Aber das Geschlecht der Inya-he-yukan wird von bösen Geistern verfolgt.«

Mehr sagte die Mutter nicht, und Wakiya war zu aufgeregt und zu verschüchtert, um noch etwas zu fragen. Inya-he-yukan war in das Haus der Bighorns gekommen, Wakiya aber hatte ihn nicht gesehen!

Am nächsten Morgen hatte der Junge seinen Weg zur Schule angetreten. Es war ihm schlecht, und er erbrach das Brot, das die Mutter ihm zu essen gegeben hatte. Die Zeit wurde knapp, und Wakiya lief fast den ganzen Weg im Dauerlauf. In der Seite fühlte er Stiche. Er wollte in der neuen Klasse nicht gleich zu spät kommen. Darum gab er nicht nach.

Seine Lunge lechzte nach Luft. Er öffnete den Mund und rannte, aber nun klopfte das Herz noch schneller.

Endlich kam das Schulhaus in Sicht. Der Schulbus war schon leer; die Kinder waren bereits ausgestiegen und in die Schule geströmt. Wakiya lief ganz allein über den großen Platz auf die große Tür zu, und er war sehr klein. Er hätte hören können, dass ein Pferd stampfte, und sehen können, dass Inya-he-yukan den Schecken an einem Baum festmachte. Doch sah Wakiya das nicht, denn seine Augen waren ganz auf seinen Weg über den großen, freien Platz zu der großen, drohenden Tür gerichtet, die sich wundern mochte, wer hier noch so spät und so allein herbeirannte.

Pulsuz fraqment bitdi. Davamını oxumaq istəyirsiniz?