Bullseye - Bull & Tiger

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Seriyadan: Dark Revenge Dilogie #1
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Bullseye - Bull & Tiger
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BULLSEYE - BULL & TIGER 1

Monsters Within Dilogie

Monica James


© 2021 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Übersetzung Sylvia Pranga

© Covergestaltung Andrea Gunschera

© Originalausgabe Monica James 2020

ISBN Taschenbuch: 9783864439711

ISBN eBook-mobi: 9783864439728

ISBN eBook-epub: 9783864439735

www.sieben-verlag.de

Elle Kennedy, ich liebe dich.

Lass uns nie wieder eine Bootstour machen.

P.S.: Ich hoffe, dass unsere Hunde nie gekidnappt werden.

Und von Babymöhren bekomme ich Blähungen.

Contents

Kapitel 1 Bull

Kapitel 2 Bull

Kapitel 3 Lily

Kapitel 4 Cody

Kapitel 5 Bull

Kapitel 6 Lily

Kapitel 7 Bull

Kapitel 8 Bull

Kapitel 9 Lily

Kapitel 10 Bull

Kapitel 11 Lily

Kapitel 12 Bull

Kapitel 13 Lily

Kapitel 14 Bull

Kapitel 15 Bull

Kapitel 16 Lily

Kapitel 17 Bull

Danksagungen

Die Autorin

Kapitel 1
Bull

„Ein Paar Motorradstiefel, Größe 47. Ein Harley-Davidson T-Shirt. Eine Jeans, an beiden Knien aufgerissen. Ein schwarzer Kapuzenpulli. Ein Portemonnaie aus Leder mit fünfundachtzig Dollar. Eine silberne Halskette mit einem Sankt Christophorus Anhänger. Und hier sind hundertfünfzig Dollar, eine Straßenkarte und drei Kondome. Holt dich jemand ab?“

Ich schüttele den Kopf und nehme meine Habseligkeiten, die auf dem langen Holztresen vor mir ausgebreitet liegen.

„Die nächste Bushaltestelle ist eine halbe Meile in die Richtung.“ Er zeigt über seine Schulter.

„Ich laufe“, erwidere ich ausdruckslos, streife die weißen Halbschuhe ab und befreie mich von der Uniform, die zwölf lange Jahre wie eine zweite Haut für mich gewesen ist. Es ist mir egal, dass eine Großmutter ein paar Meter entfernt keucht, als sie meine weiße Feinripp-Unterhose sieht. Ich muss das Zeug von mir runterkriegen.

„Wohin willst du gehen? Die Dinge haben sich geändert, seit du eingebuchtet worden bist. Die Leute sind nicht mehr wie früher.“

„Das finde ich schon raus.“ Meine Jeans sitzt etwas locker, was keine Überraschung ist. Man würde nicht einmal einen Hund mit dem Scheiß füttern, den ich da drin essen musste. Das T-Shirt sitzt jedoch eng um meinen Brustkorb und die Oberarme. Die Stiefel und der Kapuzenpulli passen noch. Die Kette lege ich als Letztes an.

Pederson hebt ungläubig eine Braue und zuckt mit den Schultern. „Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Viel Glück, Bull. Du wirst es brauchen.“

Ich nicke ihm dankend zu. Er war der einzige Wärter in diesem Höllenloch, den es überhaupt interessiert hat, ob ich lebe oder sterbe.

Ich werfe keinen letzten Blick mehr auf den Ort, der über ein Jahrzehnt mein Zuhause gewesen ist, denn jede Ecke und Kante dieses Dreckslochs hat sich für immer in mein Gedächtnis eingegraben. Man vergisst die Kinkora-Correctional Facility nicht, und sie vergisst dich ganz sicher auch nicht. Die Hälfte der entlassenen Kriminellen wird innerhalb von sechs Monaten wieder dort inhaftiert, weil es einfacher ist, mit der Politik im Knast klarzukommen, als mit der außerhalb.

Die Regeln sind einfach:

1. Vertrau niemandem.

2. Zeig keine Gefühle.

3. Verpfeif niemanden.

Wenn man diese drei einfachen Regeln befolgt, ist alles in Ordnung.

Doch die Regeln draußen sind mir und meinen Brüdern vollkommen fremd. Ich habe die gesellschaftlichen Regeln fast vergessen, denn wenn man sitzt, folgt man einem ganz anderen Gesetz. Im Knast überlebt der Stärkere und im Gegensatz zum realen Leben kann dich Unterlegenheit das Leben kosten.

Pederson drückt einen Knopf hinter dem Tresen und entlässt mich in die Freiheit. Ich drücke die Glastür mit der Schulter auf und schlendere auf das Stahltor zu, das langsam aufschwingt. Die Wachen beobachten mich aufmerksam. Ich rieche ihre Angst. Sie waren in der Nacht, als ich in meiner Zelle niedergestochen wurde, nicht so wachsam, sondern taten, als bemerkten sie nichts. Das hatte ich ein paar weißen Rassisten-Arschlöchern zu verdanken, die es nicht ertrugen, dass ich Hitler ein Muttersöhnchen nannte.

Aber das ist jetzt Vergangenheit, denn im Gegensatz zu meinen Vorgängern will ich kein Rückkehrer werden. Ich würde mich eher umbringen, als wieder in einer winzigen Zelle gefangen zu sein.

Als das Tor sich geöffnet hat, mache ich meine ersten Schritte als freier Mann. Ich sehe nach rechts und links und stelle fest, dass Detroit sich kein bisschen verändert hat. Es ist immer noch eine scheiß Einöde, in der Träume sterben.

Ich werfe die Karte und die Kondome weg und beschließe, mich nach Norden zu wenden. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es ein paar Meilen entfernt ein billiges Motel. Die verlassene Straße hat für mich so lange für meine Freiheit gestanden, dass ich denke, dass ich etwas fühlen sollte, irgendetwas, als ich sie entlanggehe. Aber ich bin innerlich tot und fühle überhaupt nichts.

Das liegt wohl an der Gefängnisregel Nummer Zwei.

Je weiter ich gehe, desto isolierter wird alles. Ich bin dreißig Jahre alt und habe keine Ahnung, wohin ich will. Nicht nur buchstäblich, sondern auch im übertragenen Sinn. Ich habe keine Kenntnisse, keine Berufsausbildung und keine besonderen Talente. Als Kind war ich ein kleiner Dreckskerl, der in der Schule mehr hätte lernen sollen.

Wäre ich mehr wie mein älterer Bruder Damian gewesen, könnte ich jetzt ein verdammter Astronaut sein. Ich werfe meinen Eltern nicht vor, wo ich gelandet bin, denn es war nicht ihre Schuld. Es war meine. Ich war faul und geriet auf die schiefe Bahn.

Blut.

So viel Blut.

Ich verdränge die Erinnerung, die mich jedes Mal quält, wenn ich die Augen schließe. Wenn ich das hier überlebe, dann muss ich lernen, mit offenen und geschlossenen Augen zu leben. Nur so ende ich nicht wieder im Knast.

Es weht eine kühle Brise, und ich ziehe die Kapuze über meinen rasierten Kopf, denn die dunklen Sturmwolken vor mir sehen bedrohlich aus. Kurz darauf öffnet der Himmel seine Schleusen und die blöden Engel pissen mich voll. Ich beschleunige mein Tempo, bis ich renne. Endlich sehe ich das rot leuchtende Schild des Hudson Hotels ein paar Blocks vor mir.

Auch wenn sich der Name geändert hat, ist es immer noch dasselbe heruntergekommene Drecksloch, das es vor zwölf Jahren war. Auch noch so viel Farbe kann dieses Scheißding nicht aufpolieren. Aber dieses Drecksloch wird mein Zuhause sein, bis ich meinen Plan in die Tat umsetzen kann. Also wird es mein trautes Heim.

Die Glocke über der Tür klingelt schwächlich, als ich die Holztür aufdrücke und glücklich bin, der Sintflut draußen zu entkommen. Hinter dem weißen Empfangstresen sitzt eine Frau mittleren Alters, die in einem Magazin blättert und eine dünne Zigarre raucht.

Ihre blauen Augen richten sich auf mich. „Hey, Süßer. Du bist ja ganz nass. Bist du im Regen hergelaufen?“

Ich nicke, streife die Kapuze vom Kopf und streiche über die kurzen, dunklen Stoppeln auf meinem Schädel. Dann lange ich in meine Gesäßtasche und ziehe einen Hundertdollarschein heraus. Das Totenschädel-Tattoo auf meinem Handrücken erregt ihre Aufmerksamkeit. „Wie viele Nächte kann ich dafür hierbleiben?“

Ihre roten Fingernägel sind wie Krallen, als sie den zerfledderten Geldschein zu sich zieht. Sie befühlt den Schein und sieht mich aufmerksam an. „Bist du gerade rausgekommen?“

Ich nicke nur. Sie muss den Verbrecher an mir riechen. „Für dich, Süßer, reicht das für eine Woche.“

„Danke.“

„Kein Problem.“ Sie fasst in ihren tiefen Ausschnitt und holt eine zerknitterte weiße Visitenkarte hervor. „Wenn du etwas brauchst, ruf mich an.“

Sie beugt sich über den Tresen und hält mir die Karte zwischen zwei Fingern hin. Ich nehme sie und lese den Namen.

Venus Bisset – Managerin

„Vielen Dank“, sage ich und halte die Karte hoch.

 

„Oh, Süßer“, schnurrt sie. „Jemand mit so schönen Augen wie du darf mich immer anrufen. Tag und Nacht.“ Sie zwinkert mit ihren lächerlich langen falschen Wimpern, die aussehen, als wären Raupen auf ihren Lidern mutiert.

„Danke, Venus.“

„Ich danke dir. Ich habe noch nie zuvor jemanden mit zwei verschiedenen Augenfarben gesehen. Es ist, als ob Himmel und Hölle einen persönlichen Krieg führen und die andere Seite erobern wollen“, sagt sie mit scheinbarer Ehrfurcht vor meiner genetischen Anomalität.

Ihr Blick schießt von meinem linken Auge, das hellblau ist, zu meinem rechten, das je nach Lichtverhältnissen grün oder fast bernsteinfarben ist. Ihre Aufmerksamkeit kehrt zum linken zurück. Das Blau scheint immer zu gewinnen.

„Welche Seite gewinnt?“, fragt sie, während ich mir wieder die Kapuze über den Kopf ziehe.

„Frag mich das nächste Woche.“

Sie lächelt spöttisch, leckt sich über die rot geschminkten Lippen und wühlt dann in einer Schublade herum, in der sich ein Stapel weiße Schlüsselkarten befindet. „Ich checke dich ein. Wie heißt du?“

Ich trete von einem Bein aufs andere und nenne ihr den Namen, unter dem ich seit jener Nacht bekannt bin. Aber dieser Name passt auch zu dem, zu dem ich geworden bin. „Bullseye. Aber nenn mich Bull.“

„Du redest nicht viel, was?“

Ich nicke kurz, denn sie hat recht. Ich fülle die Leere nicht mit Unsinn. Ich rede nur, wenn es nötig ist.

„Ich sorge dafür, dass du keine Probleme kriegst. Ich will keinen Ärger.“ Sie schiebt mir den Schlüssel zu und fragt nicht nach meinem Spitznamen.

„Ich auch nicht.“ Ich greife nach der Schlüsselkarte, doch Venus legt ihre Hand über meine. Ich balle die Hand sofort zur Faust, und mein ganzer Körper geht in Kampfbereitschaft. Doch ich atme kurz durch und zügle den Drang, Schmerz zuzufügen.

„Die Eismaschine ist gleich um die Ecke. Das Rauchen ist in allen Zimmern verboten.“ Man würde ja auch nicht wagen, diese reinliche Einrichtung zu verschmutzen.

Sie lässt meine Hand los und lächelt. „Genieß deinen Aufenthalt. Du hast Zimmer vierzehn. Wenn du mich brauchst, hast du meine Nummer.“

Ich ziehe meine Hand sofort zurück und lockere die Faust. Venus scheint von meinem merkwürdigen Verhalten unbeeindruckt.

Mit der Schlüsselkarte in der Hand bedanke ich mich bei Venus und gehe aus der Tür. Sobald ich draußen bin, atme ich ein paar Mal tief durch, um die wilden Dämonen in mir unter Kontrolle zu bringen. Berührt zu werden, überschreitet eine meiner Grenzen. Wenn man mich nicht berührt, gibt es keine Probleme.

Ich mag es nicht, wenn Menschen mir auf die Pelle rücken. Wenn man so lange im Knast war, vergisst man die Berührungen anderer Menschen und lernt, damit zu leben. Und nach einer Weile begann es, mir zu gefallen. Ich mochte die Einsamkeit, denn Berührungen schaffen Verbindungen zu anderen Menschen, und daran bin ich nicht interessiert. Ich reiße mich zusammen und gehe den betonierten Fußweg hinunter. Mein Zimmer ist die vorletzte Tür auf der linken Seite. Ich ziehe die Karte über den Sensor und warte auf das Piepen, das mir Einlass gewährt. Als ich die Tür aufschiebe, quietscht die Vier in meiner Zimmernummer plötzlich und verrutscht. Auf dem Kopf hängend schwingt sie hin und her. Ihr verfallener Zustand offenbart, auf was ich mich beim Eintreten gefasst machen muss.

Ohne weiteres Zögern betrete ich mein Zimmer. Es ist genauso, wie ich es erwartet habe – klein, einfach möbliert, mit angrenzendem Bad. Ich mache die Tür zu und verschließe sie. Dann streife ich die Stiefel ab und schalte die Wandheizung ein. Der rote Teppich ist schmutzig und die Brandflecken zeigen mir, dass den Mietern vor mir das Rauchverbot scheißegal war.

Ich gehe durchs Zimmer und ins Bad. Dort schalte ich das schwache Licht an und sehe, dass ich ein Duschbad, ein Waschbecken, einen Spiegel und eine Toilette habe. Ein paar billige Pflegeartikel sind ordentlich auf dem gerissenen Marmor der Abstellfläche arrangiert worden. Ich sehe die kleine Dusche an und weiß, dass ich sie am meisten genießen werde. Warm zu duschen, ohne ständig über die Schulter schauen zu müssen aus Angst, dass man wegen seiner Seife abgestochen oder gefickt wird, wird schön sein.

Ich ziehe mich aus, hänge meine Sachen an dem silberfarbenen Haken auf, und stelle das Wasser auf Heiß. Es ist mir egal, dass mir die Hitze auf der Haut brennt. Ich trete unter den Wasserstrahl, und das ständige Kältegefühl verschwindet langsam aus meinen Knochen, während ich mich von Seite zu Seite drehe.

Dass mir die einfachsten Freuden des Lebens genommen wurden, scheint unfair zu sein, aber ich habe es verdient. Ich habe alles verdient.

Als ich daran denke, wie ich jemandem die einfachsten, alltäglichen Annehmlichkeiten geraubt habe, habe ich plötzlich das Gefühl, dass ich dieses kleine Stück Glück nicht verdient habe. Ich verdiene kein Glück. Dieses Recht habe ich verwirkt, als ich den größten Fehler meines Lebens machte.

Ich kneife die Augen zusammen, während die Erinnerung über mich hereinbricht, und drehe den Wasserhahn auf Kalt. Ich lege die Handflächen an die geflieste Wand und lasse den Kopf zwischen meine ausgebreiteten Arme sinken. Die Silberkette baumelt wie ein Pendel um meinen Hals. Ich bete, dass das kalte Wasser meine Sünden wegwäscht, doch das tut es niemals. Es betont nur, dass ich, egal ob hinter Gittern oder in Freiheit, immer ein Sklave der Vergangenheit sein werde, und dass ich meine inneren Dämonen füttere.

Ich werde immer ein Gefangener des Tages sein, an dem ich eine Waffe nahm und kaltblütig einen Mann erschoss. Doch das Einzige, was ich bedauere, ist … dass ich erwischt wurde.

Dank meiner Reise ins Unglücksland bin ich ruhelos und habe den Kopf nicht frei. Vielleicht könnte ich eine Pussy aufreißen, um etwas Druck loszuwerden. Aber ich hatte so lange keine Frau mehr, dass ich mich wahrscheinlich in dem Moment blamieren würde, in dem sie sich auszieht. Und dafür bin ich auch nicht hier. Ich muss einen Job erledigen.

Mich in Selbstmitleid zu suhlen, tut mir nicht gut, also nehme ich meine Schlüsselkarte und schiebe sie in die Gesäßtasche meiner immer noch feuchten Jeans. Ein paar Blocks weiter habe ich einen Goodwill Laden gesehen. Ich hoffe, dass Laufen gegen meine Niedergeschlagenheit hilft und das Gefühl von Verzweiflung verschwindet.

Nicht, dass es jemals so ist. Aber vielleicht ist es heute anders.

Draußen ist es dunkel, und der Starkregen hat sich in ein Nieseln verwandelt. Mit gesenktem Kopf gehe ich zu dem Geschäft. Ich habe kein Interesse an irgendwelchem Ärger. Ich habe vor, mich in den Schatten zu halten, denn ich will auf keinen Fall zurück in den Knast.

Man sagt, dass das Gefängnis einen Mann verändert. Und das stimmt. Ich habe das schnell gelernt, als mein achtzehnjähriges Ich in eine Jauchegrube von Verkommenheit geworfen wurde und für sich selbst kämpfen musste.

Ich dachte, dass ich ein Gangster wäre und ich mit meinem großen Mundwerk durchkommen würde, aber das brachte mir nur drei gebrochene Rippen, zwei blaue Augen und eine andere Verwendung für meinen Mund ein. Von dem Tag an verrohte die Verbindung zu meiner Vergangenheit, und ich war nicht länger Cody Bishop. Ich war Bullseye. Diesen Spitznamen gaben mir die brutalen Kerle, die meine Mitbewohner waren, als sie von meiner Geschichte erfuhren.

Danach wurde aus dem naiven Möchtegern-Gangster das gefühllose Arschloch, das ich heute bin. Im Gefängnis lernte ich Lügen, Betrügen und Stehlen. Ich wollte nicht für jeden die Schlampe sein, also verwandelte ich mich von einem schlaksigen Teenager in eine einsdreiundneunzig große und zweihundert Pfund schwere Kampfmaschine. Ich trainierte, wenn wir in den Hof durften, und wenn wir wieder in unsere Zellen getrieben wurden, tat ich in dem winzigen Raum, was ich konnte.

Das Training erhielt mir meinen Verstand. Und es war das Einzige, was mir Sicherheit garantierte. Aber egal, wie stark man ist, irgendjemand ist immer stärker und bösartiger. Und mein großer Böser kam in Form eines Neonazis namens Snow White. Er verdankte seinen Namen den Drogen, mit denen er dealte, bis er erwischt wurde.

Ich reibe geistesabwesend über die fünfzehn Zentimeter lange Narbe, die von meinen Nieren bis zur Milz verläuft. Mir wurde gesagt, dass es ein Wunder war, dass ich siebzehn Messerstiche überlebte, aber dem stimme ich nicht zu. Sterben wäre der einfache Ausweg gewesen. Aber zwischen Snow und anderen Schlägern zu überleben, hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Und das ist jemand, den man nicht provozieren sollte.

Ich schiebe die Glastür des kleinen, überfüllten Goodwill Geschäfts auf und gehe zur Abteilung für Männerbekleidung. Ich brauche nicht viel, greife mir schnell das Wichtigste. Nachdem die gelangweilte Teenagerin die Beträge eingegeben hat, bezahle ich und stopfe meine neuen Habseligkeiten in einen Seesack, den ich ebenfalls gekauft habe.

„Einen schönen Tag noch“, sagt sie automatisch, obwohl es draußen stockdunkel ist. Das macht Detroit mit den Menschen. Nach einer Weile verschwimmen alle Tage miteinander und werden zu einem einzigen langen, ermüdenden, monotonen Tag.

Das Interesse der Angestellten ist plötzlich geweckt, als ich meinen dünnen Kapuzenpulli ausziehe und die schwarze Lederjacke überstreife, die ich gerade gekauft habe.

Sie kann nicht viel älter als achtzehn sein, und ich überdenke die Idee, eine Pussy aufzureißen, um ein bisschen Dampf abzulassen. Aber die Idee wird durchkreuzt, als ein älterer Mann mit den Armen voller Ware den Laden betritt. Als er mich sieht, bleibt er abrupt stehen.

„Brandy, ist alles in Ordnung?“ Sein Blick wandert zwischen uns hin und her.

„Ja, Dad, alles gut“, antwortet sie, räuspert sich und scheint verlegen zu sein, weil sie beim Starren erwischt wurde.

„Okay.“ Er geht an mir vorbei und nickt mir zu. „Haben Sie alles, was Sie brauchen?“

Ihm gelingt es nicht, seinen Widerwillen zu verbergen, dass ich seiner geliebten Brandy so nahe bin. Aber ich mache ihm keinen Vorwurf. Ich muss mich an diese Seitenblicke gewöhnen und daran, dass ich wie der tätowierte Kriminelle behandelt werde, der ich bin.

Ich schultere schnell den Seesack, nicke und verlasse das Geschäft. Dabei fühle ich mich sogar schlimmer als beim Betreten des Ladens.

Ein flackerndes pinkfarbenes Licht ein Stück vor mir erregt meine Aufmerksamkeit. Wenn ich an Gott glauben würde, wäre das für mich ein Zeichen. Als ich das schwarz gestrichene Gebäude erreiche, blicke ich hoch und sehe ein blinkendes Licht, das drinnen Girls, Girls, Girls verspricht. Es ist leicht zu erraten, was für ein Etablissement es mit dem Namen The Pink Oyster nur sein kann.

Das schäbige Äußere lässt mich hoffen, dass ich hier vielleicht die Person finde, nach der ich suche. Es scheint, dass ich meinen Plan früher als beabsichtigt verwirklichen kann. Ich öffne die schwere schwarze Tür und gehe hinein.

Rote und gelbe Blitze und hartes, flackerndes Stroboskoplicht schneiden durch den dunstigen Nebel. Die spiegelnde Discokugel über der Bühne wirft Lichtblitze über die schwarzen Wände. Die halbnackte Blondine, die sich um die silberne Stange auf der Bühne windet, bestätigt meine Vermutung.

Ich gehe an einer Gruppe Männer vorbei, die vor der Bühne anerkennend pfeifen und dem jetzt nackten Mädchen Dollarscheine zuwerfen. Sie ist für meinen Geschmack zu mager, also gehe ich zum Tresen.

„Budweiser“, rufe ich der Barkeeperin zu, um trotz des Rocksongs, der aus den Lautsprechern dröhnt, gehört zu werden.

Sie nickt und mir entgeht nicht, dass sie mich interessiert mustert, als sie die Bierflasche öffnet. „Zwei Dollar.“ Sie stellt meine Flasche auf den Tresen, und ich gebe ihr fünf. „Bist du neu hier?“

Ich nicke und greife nach meinem Bier.

Ich sehe mich um und hoffe, ein vertrautes Gesicht zu finden. Kein Erfolg.

„Wie heißt du?“, fragt sie und gibt mir mein Wechselgeld.

„Bull“, antworte ich und stecke die Scheine in die Trinkgelddose, die wie eine Venusmuschel geformt ist.

„Willkommen in The Pink Oyster, Bull. Ich bin Lotus. Wenn du etwas brauchst, ruf mich, okay? Mir gehört dieses schöne Etablissement und Herren wie dich haben wir gern als Stammgäste.“

„Danke. Das merke ich mir.“ Lotus ist eine hübsche Blondine in den Vierzigern. In ihren grünen Augen sehe ich nichts als Freundlichkeit. So einen Blick habe ich schon lange nicht mehr gesehen.

„Suchst du nach Gesellschaft?“

„Gesellschaft?“ Ich hebe eine Braue und trinke einen großen Schluck Bier. Verdammt, schmeckt das gut. Auch wenn ich noch nicht legal trinken durfte, als ich eingebuchtet wurde, hat mich das nicht davon abgehalten, mich jede Nacht zu betrinken, seit …

 

Ich verdränge die Erinnerungen und konzentriere mich auf Lotus, weil ich einen klaren Kopf brauche, um das hier zu tun.

„Ja. Meine Mädchen sind nicht nur hervorragende Tänzerinnen, sondern auch angenehme Gesellschaft.“

Lotus sieht, dass ich verwirrt bin und lächelt. „Keine Sorge. Das hier ist ein legales Unternehmen. Wir bieten ein paar Extras in unseren VIP-Räumen im hinteren Bereich an. Allerdings nichts Illegales. Nur ein bisschen Zeit allein mit den Mädchen.“

„Danke, aber ich bin sicher, dass ich mir so hübsche Mädchen wie deine nicht leisten kann.“

„Kein Problem. Wenn du deine Meinung änderst, lass es mich wissen.“

Bevor ich antworten kann, wird das bereits schummrige Licht noch mehr heruntergedreht, und die Leute drehen durch.

„Wisst ihr, was jetzt kommt?“, fragt der als Cowboy verkleidete Showmaster. Die Menge brüllt als Antwort begeistert. „Sie ist unvergleichlich, die Crème de la Crème … Tigerlily!“ Er eilt hinter die Bühne, während die meisten Männer zur vordersten Reihe drängen, den Plätzen, die der Bühne am nächsten sind.

Ich frage mich, warum sie so sabbern. Ich drehe mich auf dem wackeligen Barhocker um, lehne mich gegen den Tresen, verschränke die Arme vor der Brust und beobachte alles interessiert, während ‚Closer‘ von Nine Inch Nails aus den Lautsprechern dröhnt.

Die Musik hat sich verändert, während ich gesessen habe, aber diesen Song kenne ich. Ich bin mit ihm aufgewachsen. Die Bühne ist schwarz verhüllt, und die Musikauswahl trägt zur Mystik bei. Doch als der rote Vorhang am Ende der Bühne sich teilt und eine schlanke Brünette auftaucht, beuge ich mich vor. Das Stroboskoplicht verzerrt ihre Form, aber was ich sehe, erweckt mein Interesse.

Sie bewegt sich wie eine echte Tänzerin, statt die Stange nur dazu zu nutzen, ihren Kunden eine effekthascherische Show zu bieten. Dieses Mädchen hat Übung, denn sie kann tanzen. Sie bewegt sich synchron zum Rhythmus, und jede ihrer geschmeidigen Bewegungen betont den Song. Der knappe String und das Bikini-Oberteil lassen mich ihren trainierten, starken Körper sehen.

Als der Refrain des Songs einsetzt, hängt sie sich an die Stange, offenbart ihre Kraft, indem sie sich herumschwingt und dabei nur ihre Beine nutzt, um sich aufrechtzuhalten. Sie windet sich mit der Kraft und Schnelligkeit einer olympischen Turnerin an der Stange, und als sie abspringt, landet sie auf dem vorderen Teil der Bühne auf den Füßen und geht tief in die Hocke. Sie wirft ihr langes Haar zurück, richtet den Blick auf die Menge, und ich könnte schwören, dass alle Kerle einen Ständer haben. Ein sündiges Lächeln spielt um ihre vollen Lippen. Sie weiß, was sie für eine Wirkung auf diese wandelnden Ständer hat. Sie lässt die Hüften verführerisch kreisen und kommt langsam zum Stehen.

Obwohl ich in einer dunklen Ecke im hinteren Bereich des Raums verborgen bin, habe ich das Gefühl, als ob sie mich direkt anstarrt. Aber genau das tut eine gute Performerin – sie vermittelt jedem den Eindruck, nur für ihn zu tanzen.

Sie lässt das rot glitzernde Bikini-Oberteil herabgleiten, legt die Hände auf die vollen, natürlichen Brüste und nimmt sie erst am Ende des Songs weg. Bevor es auf der Bühne dunkel wird, erhasche ich einen Blick auf ihre festen, pinkfarbenen Nippel. Heilige Scheiße.

Grüne Scheine bedecken die Bühne, und Tigerlily beugt sich diskret herunter und sammelt ihren Verdienst ein. Ich sehe, wie sie unauffällig den ausgestreckten Händen der Perversen direkt vor der Bühne ausweicht. Sie lächelt und kontert ihre anzüglichen Bemerkungen, aber es stört sie offensichtlich, dass sie nur als ein Stück Fleisch gesehen wird.

„Hast du deine Meinung geändert?“, fragt Lotus, als ich mein Bier trinke und dabei Tigerlily beobachte.

„Vielleicht. Wie viel?“ Ich wische mir mit dem Handrücken über die Lippen.

„Sie kostet zu viel, Hübscher“, sagt eine Stimme links neben mir. „Genau wie ich. Aber für dich würde ich eine Ausnahme machen.“

Die Blondine, die vor Tigerlily auf der Bühne getanzt hat, tritt vor mich. Sie trägt ein kurzes blaues Kleid mit sehr tiefem V-Ausschnitt, der ihre falschen Titten zeigt. Sie ist keinesfalls unattraktiv, aber ich suche hier nicht nach einer Pussy, auch wenn die Umgebung etwas anderes vermuten lässt.

„Hi, ich bin Tawny. Ich bin Lotus‘ Nummer Eins bei den Mädchen, nicht wahr?“, sagt sie und sieht über meine Schulter hinweg Lotus an.

Lotus sieht sie als Reaktion gespielt spöttisch an, während sie weiterhin durstige Gäste bedient.

Tawny lächelt mich an und versucht nicht einmal zu verbergen, dass sie mich abcheckt. „Also, Hübscher, was meinst du?“

„Danke, aber …“ Ich komme nicht dazu, meinen Satz zu beenden, denn in diesem Moment kehrt Tigerlily in den Raum zurück. Sie trägt ein rotes Kleid, das wie eine zweite Haut an ihrem wohlgeformten Körper sitzt. Jetzt, wo das Licht etwas heller ist, sehe ich sie besser. Ihr braunes Haar ist lang und wellig. Ihre unglaublich hohen Absätze lassen sie größer wirken, aber ohne sie ist sie klein.

Tawny dreht sich um, um zu sehen, was meine Aufmerksamkeit erregt hat und verdreht die Augen. „Vergiss es. Sie nimmt keine neuen Kunden an. Außerdem denke ich, dass sie alle Hände voll mit Thumper zu tun hat.“

Als ich sehe, wen sie meint, frage ich mich, ob Thumper sich auf dem Weg zu seiner Studentenverbindung verlaufen hat. Er trägt eine Uni-Jacke und sieht wie ein reicher College-Junge aus, dessen Mom ihn immer noch Süßer nennt.

Thumper ist kurz davor, einen Finger zu verlieren, denn Tigerlily will von seinem Schoß aufstehen. Sein schwachsinniges Gefolge lacht, als er sie festhält und scheinbar glaubt, dass ihr offensichtliches Unbehagen lustig ist. Als er eine Hand unter ihr Kleid schiebt, löst sie sich angewidert von ihm und knallt ihm eine – hart. Gut für sie. Der Blödmann wird rot und hält sie noch fester.

Obwohl sie sich selbst behaupten kann, springe ich ohne nachzudenken auf. Ich schiebe mich an Tawny vorbei und stürme auf das Arschloch zu. Ich habe Kerle dieser Art zu oft gesehen. Aber jemanden wie Tigerlily habe ich noch nie gesehen.

Ich erreiche den Tisch, greife nach ihrem Oberarm und ziehe sie hoch, bevor Thumper die Chance hat, irgendetwas zu sagen. Sie quietscht protestierend, hat aber keine Wahl, denn ich schiebe sie hinter mich. Thumper starrt wütend zu mir hoch. Dieser Hund ist nicht glücklich darüber, dass ich ihm sein Spielzeug weggenommen habe.

„Entschuldige bitte. Tigerlily und ich haben uns unterhalten.“ Seine Freunde schweigen und warten auf ein Zeichen, dass sie eingreifen sollen.

„Dann seid ihr jetzt fertig mit Reden“, antworte ich ruhig.

Er drückt zornig die Zunge in die Wange. „Wir sind erst fertig, wenn ich es sage“, blafft er, steht abrupt auf und tritt seinen Stuhl zur Seite.

Er ist einige Zentimeter kleiner als ich und versucht das wettzumachen, indem er den Brustkorb aufbläht. Ich muss lachen.

„Willst du ihm noch etwas sagen?“, frage ich Tigerlily, wobei ich den Blick auf Thumper gerichtet halte.

„Nein“, sagt sie mit bitterer Überzeugung.

Mir gefällt, dass sie sich nicht vor Angst zusammenkauert. Sie hatte keine Skrupel, Thumper zu schlagen, obwohl ich ziemlich sicher bin, dass sie Ärger kriegt, wenn sie Kunden verschreckt. Ihr Name bekommt eine neue Bedeutung für mich und ich beschließe, dass Tiger ein besserer Spitzname für sie ist.

„Du hast die Dame gehört“, spotte ich. „Ihr seid fertig.“

„Was glaubst du, wer du bist, zum Teufel?“, knurrt er, geht um den Tisch herum und bleibt vor mir stehen.

Solange er mich nicht berührt, muss das nicht schlimm enden … für ihn. „Ich bin jemand, der Frauen nicht schlecht behandelt. Jetzt hast du zwei Möglichkeiten.“ Ich hebe einen Finger. „Erstens könntest du dich wieder hinsetzen und die Show genießen.“ Ich hebe einen zweiten Finger. „Und zweitens könntest du die Fahrt in einem Rettungswagen genießen. Du hast die Wahl.“

Seine Nasenflügel blähen sich, als er wütend ausatmet und den Kiefer anspannt. Er schätzt ab, ob er mit mir fertigwerden kann, doch ich weiche nicht zurück, bin von seinem Blendwerk nicht im Mindesten eingeschüchtert.

„Scheiß drauf!“, sagt er schließlich, wischt kindisch mit der Hand über den Tisch und wirft alle Gläser und Bierkrüge zu Boden.

Ein Glas steht noch auf dem Tisch, und als er es herunterschleudern will, greife ich nach seinem Arm und drücke fest zu. Er sieht auf meine linke Hand hinunter und scheint das Wort zu lesen, das auf meinen Knöcheln tätowiert ist. Dort steht Wolf. Auf der anderen Hand steht Einsamer.

„Fass das Glas an, und ich zertrümmere es auf deinem Kopf.“ Das ist keine leere Drohung.

Als er spürt, dass ich es ernst meine, reißt er sich los und funkelt mich wütend an. „Kommt, Jungs. Lasst uns gehen. Das hier ist sowieso ein Scheißladen. Und das Bier schmeckt wie Pisse.“

Thumper und seine Freunde drängen sich an mir vorbei, aber ich weiche nicht zurück und schütze Tiger, bis der Letzte von ihnen verschwunden ist.

Ich atme tief durch und bücke mich, um die zerbrochenen Gläser aufzuheben. Ich habe keine Ahnung, was über mich gekommen ist. Das war’s wohl mit in Deckung bleiben. Das Bedürfnis, Tiger zu beschützen, war instinktiv, und ich weiß nicht, warum. Mir ist jedoch klar, dass sie gefährlich ist und ich mich von ihr fernhalten sollte.