Neue Gedichte

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LUNATA

Neue Gedichte

Neue Gedichte

© 1907 by Rainer Maria Rilke

Umschlagbild Jan Brueghel

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Früher Apollo

Mädchenklage

Liebeslied

Ernannt an Sappho

Sappho an Eranna

Sappho an Alkaïos

Grabmal eines jungen Mädchens

Opfer

Östliches Taglied

Abisag

David singt vor Saul

Josuas Landtag

Der Auszug des verlorenen Sohnes

Der Ölbaumgarten

Pietà

Gesang der Frauen an den Dichter

Der Tod des Dichters

Buddha

L'Ange du Méridien

Die Kathedrale

Das Portal

Die Fensterrose

Das Kapitäl

Gott im Mittelalter

Morgue

Der Gefangene

Der Panther

Die Gazelle

Das Einhorn

Sankt Sebastian

Der Stifte

Der Engel

Römische Sarkophage

Der Schwan

Kindheit

Der Dichter

Die Spitze

Ein Frauenschicksal

Die Genesende

Die Erwachsene

Tanagra

Die Erblindende

In einem fremden Park

Abschied

Todeserfahrung

Blaue Hortensie

Vor dem Sommerregen

Im Saal

Letzter Abend

Jugendbildnis meines Vaters

Selbstbildnis aus dem Jahre 1906

Der König

Auferstehung

Der Fahnenträger

Der letzte Graf von Brederode entzieht sich türkischer Gefangenschaft

Die Kurtisane

Die Treppe der Orangerie

Der Marmorkarren

Buddha

Römische Fontäne

Das Karussell

Spanische Tänzerin

Der Turm

Der Platz

Quai du Rosaire

Béguinage

Die Marienprozession

Die Insel

Hetärengräber

Orpheus. Eurydike. Hermes

Alkestis

Geburt der Venus

Die Rosenschale

KARL UND ELISABETH VON DER HEYDT

IN FREUNDSCHAFT

Früher Apollo

Wie manches Mal durch das noch unbelaubte

Gezweig ein Morgen durchsieht, der schon ganz

im Frühling ist: so ist in seinem Haupte

nichts, was verhindern könnte, daß der Glanz

aller Gedichte uns fast tödlich träfe;

denn noch kein Schatten ist in seinem Schaun,

zu kühl für Lorbeer sind noch seine Schläfe,

und später erst wird aus den Augenbraun

hochstämmig sich der Rosengarten heben,

aus welchem Blätter, einzeln, ausgelöst

hintreiben werden auf des Mundes Beben,

der jetzt noch still ist, niegebraucht und blinkend

und nur mit seinem Lächeln etwas trinkend,

als würde ihm sein Singen eingeflößt.

Mädchenklage

Diese Neigung, in den Jahren,

da wir alle Kinder waren,

viel allein zu sein, war mild;

andern ging die Zeit im Streite,

und man hatte seine Seite,

seine Nähe, seine Weite,

einen Weg, ein Tier, ein Bild.

Und ich dachte noch, das Leben

hörte niemals auf zu geben,

daß man sich in sich besinnt.

Bin ich in mir nicht im Größten?

Will mich meines nicht mehr trösten

und verstehen wie als Kind?

Plötzlich bin ich wie verstoßen,

und zu einem Übergroßen

wird mir diese Einsamkeit,

wenn, auf meiner Brüste Hügeln

stehend, mein Gefühl nach Flügeln

oder einem Ende schreit.

Liebeslied

Wie soll ich meine Seele halten, daß

sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie

hinheben über dich zu andern Dingen?

Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas

Verlorenem im Dunkel unterbringen

an einer fremden stillen Stelle, die

nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.

Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,

nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,

der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.

Auf welches Instrument sind wir gespannt?

Und welcher Spieler hat uns in der Hand?

O süßes Lied.

Ernannt an Sappho

O du wilde weite Werferin:

Wie ein Speer bei andern Dingen

lag ich bei den Meinen. Dein Erklingen

warf mich weit. Ich weiß nicht, wo ich bin.

Mich kann keiner wiederbringen.

Meine Schwestern denken mich und weben,

und das Haus ist voll vertrauter Schritte.

Ich allein bin fern und fortgegeben,

 

und ich zittere wie eine Bitte;

denn die schöne Göttin in der Mitte

ihrer Mythen glüht und lebt mein Leben.

Sappho an Eranna

Unruh will ich über dich bringen,

schwingen will ich dich, umrankter Stab.

Wie das Sterben will ich dich durchdringen

und dich weitergeben wie das Grab

an das Alles: allen diesen Dingen.

Sappho an Alkaïos
Fragment

Und was hättest du mir denn zu sagen,

und was gehst du meine Seele an,

wenn sich deine Augen niederschlagen

vor dem nahen Nichtgesagten? Mann,

sieh, uns hat das Sagen dieser Dinge

hingerissen und bis in den Ruhm.

Wenn ich denke: unter euch verginge

dürftig unser süßes Mädchentum,

welches wir, ich Wissende und jene

mit mir Wissenden, vom Gott bewacht,

trugen unberührt, daß Mytilene

wie ein Apfelgarten in der Nacht

duftete vom Wachsen unsrer Brüste—.

Ja, auch dieser Brüste, die du nicht

wähltest wie zu Fruchtgewinden, Freier

mit dem weggesenkten Angesicht.

Geh und laß mich, daß zu meiner Leier

komme, was du abhältst: alles steht.

Dieser Gott ist nicht der Beistand zweier,

aber wenn er durch den einen geht

Grabmal eines jungen Mädchens

Wir gedenkens noch. Das ist, als müßte

alles dieses einmal wieder sein.

Wie ein Baum an der Limonenküste

trugst du deine kleinen leichten Brüste

in das Rauschen seines Bluts hinein:

—jenes Gottes.

Und es war der schlanke

Flüchtling, der Verwöhnende der Fraun.

Süß und glühend, warm wie dein Gedanke,

überschattend deine frühe Flanke

und geneigt wie deine Augenbraun.

Opfer

O wie blüht mein Leib aus jeder Ader

duftender, seitdem ich dich erkenn;

sieh, ich gehe schlanker und gerader,

und du wartest nur—: wer bist du denn?

Sieh: ich fühle, wie ich mich entferne,

wie ich Altes, Blatt um Blatt, verlier.

Nur dein Lächeln steht wie lauter Sterne

über dir und bald auch über mir.

Alles was durch meine Kinderjahre

namenlos noch und wie Wasser glänzt,

will ich nach dir nennen am Altäre,

der entzündet ist von deinem Haare

und mit deinen Brüsten leicht bekränzt.

Östliches Taglied

Ist dieses Bette nicht wie eine Küste,

ein Küstenstreifen nur, darauf wir liegen?

Nichts ist gewiß als deine hohen Brüste,

die mein Gefühl in Schwindeln überstiegen.

Denn diese Nacht, in der so vieles schrie,

in der sich Tiere rufen und zerreißen,

ist sie uns nicht entsetzlich fremd? Und wie:

was draußen langsam anhebt, Tag geheißen,

ist das uns denn verständlicher als sie?

Man müßte so sich ineinanderlegen

wie Blütenblätter um die Staubgefäße:

so sehr ist überall das Ungemäße

und häuft sich an und stürzt sich uns entgegen.

Doch während wir uns aneinanderdrücken,

um nicht zu sehen, wie es ringsum naht,

kann es aus dir, kann es aus mir sich zücken:

denn unsre Seelen leben von Verrat.

Abisag
I

Sie lag. Und ihre Kinderarme waren

von Dienern um den Welkenden gebunden,

auf dem sie lag die süßen langen Stunden,

ein wenig bang vor seinen vielen Jahren.

Und manchmal wandte sie in seinem Barte

ihr Angesicht, wenn eine Eule schrie;

und alles, was die Nacht war, kam und scharte

mit Bangen und Verlangen sich um sie.

Die Sterne zitterten wie ihresgleichen,

der Duft ging suchend durch das Schlafgemach,

der Vorhang rührte sich und gab ein Zeichen,

und leise ging ihr Blick dem Zeichen nach.

Aber sie hielt sich an dem dunkeln Alten,

und, von der Nacht der Nächte nicht erreicht,

lag sie auf seinem fürstlichen Erkalten

jungfräulich und wie eine Seele leicht.