Kitabı oxu: «ZNT - Zeitschrift für Neues Testament 24. Jahrgang, Heft 48 (2021)», səhifə 3

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9 Schlussbetrachtungen und Zukunftsperspektiven

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Erforschung von Kindern und Kindheit in der biblischen Welt stetig zugenommen und sich als ernsthaftes wissenschaftliches Forschungsgebiet etabliert, ähnlich wie andere Bereiche der Bibelwissenschaft und andere Disziplinen. Diese Forschung wird weltweit und in vielen Sprachen betrieben, insbesondere in Nordamerika, England, den skandinavischen Ländern und einigen anderen europäischen Ländern, aber auch in Asien und Afrika.1 Sie formuliert immer neue Forschungsfragen und erschließt immer besser die antiken Quellen. Sie ist auch methodisch gereift und hat ein eigenes Profil und eigene Anliegen entwickelt. Gegenwärtig sind weitere Studien in Arbeit, die einen reichen Ertrag an Aufsätzen, Sammelbänden und Monographien erwarten lassen.2

Wie bereits angedeutet, ist weitere Arbeit an den Quellen erforderlich, und eine Reihe von Fragen muss weiter diskutiert werden. Einige dieser Fragen habe ich bereits angesprochen, sodass hier nur noch einige abschließende Vorschläge für das Studium des NT folgen. Zum Beispiel haben Teile des NT, insbesondere die katholischen Briefe und die Offenbarung, bisher nur begrenzte Aufmerksamkeit erhalten, ebenso wie die neutestamentlichen Apokryphen und andere christliche Werke des 1. bis 3. Jh.s.3 Auch neutestamentliche Schriften, die sich nicht explizit mit Kindern befassen, können von erheblichem Interesse sein, wie z. B. das Johannesevangelium. Frühere Anläufe etwa der feministischen Exegese, sich mit diesen Schriften zu befassen, können orientierend sein. Gegenwärtig wächst auch das Interesse an der Erforschung der Jugend in der antiken Welt, unabhängig davon, ob man sie als eine besondere Phase der Kindheit oder als eine eigene Lebensphase betrachtet. Auch hier eröffnen sich neue Forschungsfelder.4

Üblicherweise tendiert man in der Forschung, auch in der Erforschung des NT dazu, Kinder mit anderen marginalisierten Gruppen wie Frauen, Sklaven und alten Menschen in Verbindung zu bringen und eine Art Gemeinsamkeit oder sogar Harmonie der Interessen dieser Gruppen vorauszusetzen. Gewiss gibt es tatsächlich gemeinsame Anliegen, aber wie man aus einem intersektionalen Ansatz lernen kann, sind auch Konflikte möglich. So wie sich die Perspektiven von Kindern oft stark von denen männlicher Erwachsener unterscheiden, sollten sie sich auch von denen weiblicher Erwachsener unterscheiden. Auch hier ist eine Hermeneutik des Verdachts erforderlich: Die Interessen von Kindern, seien es die von Mädchen und/oder Jungen, sollten als anders als die von Frauen betrachtet werden. In Studien über Eltern-Kind-Beziehungen beispielsweise wird den Anliegen der Erwachsenen oft mehr Aufmerksamkeit geschenkt als denen der Kinder. Man sollte auch auf die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Kategorien von Kindern achten, wobei die jüngsten Arbeiten der disability studies zu Kindern in dieser Hinsicht aufschlussreich sind.5

Ein Thema schließlich, das noch stärker diskutiert werden müsste, ist die Frage nach Kontinuitäten und Veränderungen im Laufe der Zeit, sowohl in der Wahrnehmung der Kindheit als auch in den Lebensbedingungen der Kinder selbst. Dies gilt natürlich für den fast tausendjährigen Zeitraum, den die Schriften des AT abdecken, auf seine Weise aber auch aber auch für das NT. Was kann zum Beispiel über den historischen Jesus gesagt werden: Was war charakteristisch für seine Beziehung zu Kindern, wenn es eine solche denn gab? Hat sich die Einstellung zu und der Umgang mit Kindern von Jesus hin zu den frühen Christen verändert? Und wie unterschied sich das frühe Christentum im Vergleich zu seinem jüdischen und griechisch-römischen Kontext in seinen Vorstellungen über die Kindheit sowie über die Rolle und den Status von Kindern?

Solche Fragen sind gewiss nicht neu und können auch nicht endgültig beantwortet werden. Aber mit vielen neuen Forschungsergebnissen, neuen Erkenntnissen und neuen methodischen Ansätzen können und sollten solche und ähnliche Fragen kontinuierlich untersucht werden. Um der neutestamentlichen Forschung willen. Um der Welt willen, in der wir heute leben. Und um der kleinen Stimmen der Vergangenheit und der Gegenwart willen – der Kinder selbst.

Zum Thema
Kinder als handelnde Subjekte in neutestamentlichen und rabbinischen Gleichnissen

Albertina Oegema und Annette Merz


Dr. Albertina Oegema, geb. 1989, studierte Theologie in Groningen (BA 2010; ReMA 2013 beide mit Auszeichnung) und wurde 2021 in Utrecht mit Auszeichnung promoviert. Derzeit ist sie Postdoktorandin in Judaistik an der Protestantisch Theologischen Universität, Amsterdam/Groningen und Dozentin für Neues Testament und Koine-Griechisch an der Radboud Universität, Nijmegen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind Vater-Sohn Beziehungen, Kindheit, Alter und Männlichkeit im Neuen Testament / frühen Christentum und in der rabbinischen Literatur.


Prof. Dr. Annette Merz, geb. 1965, studierte Theologie in Münster und Heidelberg, wo sie 2001 mit einer Arbeit zur frühchristlichen Pseudepigraphie promoviert wurde und zusammen mit Gerd Theissen ein Lehrbuch zum historischen Jesus verfasste. Seit 2003 forscht und lehrt sie in den Niederlanden, zunächst an der Universität Utrecht, seit 2014 als Ordinaria für Neues Testament an der Protestantisch Theologischen Universität Groningen/Amsterdam. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind historische Jesusforschung (insbesondere Wunder und Parabeln), Paulus in nachpaulinischer Zeit (apokryphe Paulusakten und paulinische Pseudepigraphie), Bibliodrama und Exegese.

1 Einführung

In diesem Artikel untersuchen wir, wie Kinder in ausgewählten ntl. und rabbinischen Gleichnissen als Handelnde dargestellt werden und fragen, was diese Darstellung von Kindern als handelnde Subjekte theologisch bedeutet. Zugrunde liegt dieser Untersuchung das sozialwissenschaftliche Konzept der agency, das sich durch Begriffe wie Handlungsmächtigkeit, Einflussvermögen, Selbstwirksamkeit in Interdependenz umschreiben lässt. Agency als Analyseinstrument hat in verschiedenen Disziplinen breite Akzeptanz gefunden, auch im Studium der Kindheit. Theologisch rührt die Frage nach menschlicher agency immer direkt an die Gott-Mensch-Beziehung, an theologische Debatten um göttliche Vorsehung, Allmacht und die Rolle des menschlichen Willens. Das Faszinierende an Gleichnissen ist, dass sie Geschichten, Beziehungen und Handlungsmuster des täglichen Lebens verwenden, um zum Nachdenken über solche Fragen von transzendenter Tragweite anzuregen.

Ntl. und rabbinische Gleichnisse schöpfen aus demselben Pool frühjüdischer mündlicher Erzähltraditionen, weisen große Übereinstimmungen in der formalen Gestaltung auf und sind auch theologisch oft nah verwandt. Ein Gleichnis hat zwei Gesichter: es handelt sich um eine autonome Erzählung mit eigenständigem Sinnpotential und um ein rhetorisches Element innerhalb eines literarischen Zusammenhangs der die Interpretation (mit-)steuert. Während ntl. Gleichnisse ihren Platz in Dialogen zwischen Jesus, seinen Jüngern, dem Volk oder der jüdischen Führung haben, sind rabbinische Gleichnisse meist Teil eines Midrasch, der rabbinischen Bibelauslegung. Ihre zweiteilige Struktur besteht aus einer Erzählung (mashal proper) und einer Anwendung (nimshal), in der die Verbindung zum biblischen Text explizit gemacht wird und die Interpretation weitergeführt wird. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf Gleichnisse aus dem LkEv und aus zwei rabbinischen Schriften, Sifre Deuteronomium und Mekhilta Deuteronomium. Die letztgenannten Schriften wurden im 3./4. Jh. n. Chr. zusammengestellt und enthalten Midraschim über das biblische Buch Deuteronomium.

Wir skizzieren zunächst den Stand der Forschung zu Kindern im Judentum im Rahmen antiker Kindheitsstudien (2.) und beschreiben dann das Konzept der agency (3.), um danach die agency von Kindern in je zwei ntl. und rabbinischen Gleichnissen zu beleuchten (4.–5.) und theologisch zu bewerten (6.).

2 Zum Stand der Forschung zu Kindern im antiken Judentum

Da die Geschichte der Kinder- und Kindheitsforschung im NT in diesem Band durch den Artikel von Reidar Aasgaard dokumentiert wird,1 konzentrieren wir uns auf den Stand der Forschung zu Kindern im antiken Judentum. Verglichen mit der ntl. Kindheitsforschung steht die Erforschung jüdischer Kinder in der Antike noch in den Anfängen.2 Die erste substanzielle Auseinandersetzung mit der jüdischen Kindheit in der Spätantike legte Leopold Löw in Die Lebensalter in der jüdischen Literatur (1875) vor.3 Weitere Übersichten über die jüdische Kindheit folgten, wobei als bahnbrechende und umfassendste dieser Veröffentlichungen William Feldmans The Jewish Child. Its History, Folklore, Biology, and Sociology (1917) genannt werden sollte.4 Danach erschienen erst ab Mitte der 1970er Jahre neue Publikationen mit verschiedenen Schwerpunkten, stimuliert durch die psychologische und medizinische Erforschung von Kindern, gesellschaftliche Veränderungen in Bezug auf die jüdische Familie in den westlichen Gesellschaften und das neue Studiengebiet historischer Forschung über die Familie als gesellschaftliche Institution im Gefolge der einflussreichen Monographie Lʼenfant et la vie familiale sous lʼancien régime (1960) von Philippe Ariès.5 Hervorhebung verdient Shaye Cohens Sammelband The Jewish Family in Antiquity (1993), in dem drei Artikel den jüdischen Eltern-Kind-Beziehungen gewidmet waren, wobei einerseits Ähnlichkeiten zwischen jüdischen und nichtjüdischen Familienbeziehungen hervortreten und andererseits die Vielfalt von Familienrealitäten in Abhängigkeit von sozialen, wirtschaftlichen und schichtspezifischen Rahmenbedingungen deutlich wird.6

Seit den 2010er Jahren besteht ein anhaltendes wissenschaftliches Interesse an der jüdischen Familie und der jüdischen Kindheit in der Spätantike, den größten theoretischen und methodischen Fortschritt brachte die Veröffentlichung von Hagith Sivans Monographie Jewish Childhood in the Roman World (2018).7 Sivan untersucht rabbinische Konstruktionen jüdischer Kindheit, analysiert die Bildsprache und Epigraphik von Kindern in spätantiken Synagogen und konstruiert auf Grundlage historischer Daten vier fiktive Autobiographien jüdischer Kinder, die an verschiedenen Orten im antiken Mittelmeerraum leben. Mit dieser kreativen Form narrativer Historiographie (faction) bietet sie eine innovative Methode, sich die Erfahrungen von Kindern aus ihrer eigenen Perspektive vorzustellen. Die Hinwendung zur eigenen Perspektive der Kinder wird in Albertina Oegemas „Negotiating Paternal Authority and Filial Agency. Fathers and Sons in Early Rabbinic Parables“ (2021) weiter akzentuiert. Um die Dynamik von Vater-Sohn-Beziehungen in frührabbinischen Gleichnissen zu analysieren, verwendet sie das Konzept der agency und untersucht, auf welche Weisen Söhne mit ihren Vätern interagieren. Ihre Studie zeigt, dass Kinder nicht nur davon beeinflusst werden, wie ihre Väter ihre Männlichkeit, Autorität und Ehre zum Ausdruck bringen, sondern auch selbst Einfluss auf sie ausüben können.

3 Agency1

Aufbauend auf Oegemas Untersuchung will die vorliegende Studie dazu beitragen, das Gebiet der ntl. Kindheitsstudien methodisch und theoretisch zu verfeinern, indem das Konzept kindlicher agency weiterentwickelt wird. Die kürzlich veröffentlichten Bände T&T Clark Handbook of Children in the Bible and the Biblical World (2019) und Children and Methods (2020) zeigen, dass neutestamentliche WissenschaftlerInnen sich zunehmend konzentrieren auf die Perspektive und die agency von Kindern. Im T&T Clark Handbook wird „childist biblical interpretation“ als neue Methode etabliert, die zum Ziel hat, von der agency von Kindern auszugehen und ihre Rolle und Wirkung in biblischen (inkl. apokryphen) Texten neu zu bewerten.2 Children and Methods nennt den eigenen Zugang childist criticism, hier werden die literarischen und soziohistorischen Ansätze der childist biblical interpretation durch neue Methoden erweitert mit dem Ziel, Kindern in literarischen, epigraphischen und anderen materiellen Quellen ihre agency und ihre Stimme (zurück) zu geben.3 Doch reflektieren die AutorInnen beider Bände kaum über das Konzept agency selbst. Sie verwenden das Wort als Synonym für die Handlungsfähigkeit eines Kindes. Etablierte wissenschaftliche Einsichten über agency aus anderen Disziplinen erfordern jedoch, nicht nur zu beschreiben, was Kinder tun, sondern darüber hinaus auch zu erklären, warum sie – in Abhängigkeit von und im Zusammenspiel mit den sozialen Strukturen ihrer Umgebung – tun, was sie tun und wie sie in ihrem Tun die sozialen Strukturen ihrer Umgebung beeinflussen können.

Was also ist agency? Der Begriff wurde in den Sozialwissenschaften und der Philosophie entwickelt und hat inzwischen in verschiedenen Disziplinen breite Akzeptanz gefunden. In diesem Abschnitt konzentrieren wir uns auf zwei Elemente der Konzeptualisierung von agency, die für unsere vergleichende Untersuchung von Kindern in ntl. und frühen rabbinischen Gleichnissen relevant sind.

Zum ersten machen wissenschaftliche Definitionen von agency, wie etwa die der Soziologen Mustafa Emirbayer und Ann Mische, deutlich, dass agency nicht nur in der Handlungsfähigkeit eines Individuums besteht, sondern sich immer auf das Zusammenspiel zwischen den Handlungsmöglichkeiten dieses Individuums und den umgebenden sozialen Strukturen unter bestimmten gegebenen (historisch veränderlichen) Herausforderungen bezieht, wobei die Macht eingeschliffener Gewohnheiten, aber auch die Fähigkeit, sich Handlungsfolgen vorzustellen und Urteilsfähigkeit wichtige Komponenten sind.4 Die zentrale Bedeutung des Zusammenspiels in soziologischen und anthropologischen Definitionen von agency hat dazu geführt, dass Wissenschaftler der modernen Kindheit die aktive Rolle von Kindern in ihren Wachstums- und Lernprozessen und in der Weise, wie sie mit sozialen, kulturellen, rechtlichen, physischen und wirtschaftlichen Strukturen umgehen, betonen.5 Althistoriker wiederum verwendeten das Konzept, um die „schwachen Stimmen“ der Kinder hörbar zu machen und etwas vom Reichtum der alltäglichen Kinderkultur zu erschließen.6

Als zweiter wichtiger Aspekt des Konzepts ist zu benennen, dass agency viele Formen von Handeln umfasst. Agency kann gleichermaßen darauf gerichtet sein, soziale Strukturen zu reproduzieren als auch ihnen Widerstand entgegen zu setzen oder sie zu transformieren. So betonen Wissenschaftlerinnen, die sich mit den Handlungsmöglichkeiten von Frauen in geschlechtertraditionellen Religionen befassen, dass agency nicht nur mit Widerstand und Subversion gleichgesetzt werden sollte.7 Sie beschreiben verschiedene Formen, die von strenger Regelkonformität bis zu aktivem Widerstand reichen.

In unserer Analyse der Agency eines Kindes in neutestamentlichen und frühen rabbinischen Gleichnissen richten wir uns auf die grundlegende soziale Struktur väterlicher Autorität und verwenden die folgende Definition von agency:

Die agency eines Sohnes/einer Tochter besteht aus den verschiedenen Modalitäten von Handeln, Sprechen, Denken und Emotionen, mit denen ein Sohn/eine Tochter mit seinem/ihrem Vater interagiert unter den durch die Ausübung der Autorität des Vaters auferlegten und eröffneten Möglichkeiten und Grenzen.

Während der Verweis auf Handlung, Sprache, Denken und Emotion die vielfältigen Möglichkeiten beschreibt, wie agency von Söhnen und Töchtern in Gleichnissen ausgeübt werden kann, deckt der Bezug auf die Interaktion mit dem Vater das Zusammenspiel zwischen der agency eines Kindes und den sozialen Strukturen in seiner Umgebung ab. Mit dieser Definition können wir analysieren, wie die agency von Kindern diesen Gleichnissen zufolge durch die Ausübung der Autorität ihres Vaters geprägt ist und diese ihrerseits prägt.

In den nächsten beiden Abschnitten wollen wir zwei Aspekte kindlicher agency näher untersuchen. Zunächst richten wir uns auf den vom Vater im Rahmen gesellschaftlicher Strukturen eröffneten Handlungsspielraum. Die Gleichnisse vom bittenden Sohn (Lk 11,11–13) und von den verhungernden Kindern und Sklaven (Sifre Deuteronomium 40) beleuchten zwei unterschiedliche Realisierungen auf Basis einer vergleichbaren Ausgangssituation. Dann widmen wir uns dem Aspekt der Interaktion und wechselseitigen Beeinflussung von Vater und Kindern, wobei die Gleichnisse vom Vater und seinen zwei Söhnen (Lk 15,11–32) und vom König und seiner untreuen Tochter (Mekhilta Deuteronomium 1,11) im Zentrum der Analyse stehen.

4 Agency von Kindern im Rahmen der vom Vater eröffneten Möglichkeiten: Lukas 11,11–13 und Sifre Deuteronomium 40

Das Gleichnis vom bittenden Sohn steht bei Lukas im Kontext eines Abschnitts, in dem Jesus seinen Jüngerinnen und Jünger Anweisungen über das Bitten gibt (Lk 11,1–13). Er lehrt sie ein tägliches Gebet, eine kurze Version des Vaterunsers (11,2–4), und ermutigt sie mit dem Gleichnis vom bittenden Freund, ohne Scheu vor Abweisung zu bitten (11,5–8). Dies unterstreicht er durch ein dreifaches Verheißungswort über Bitten/Empfangen, Suchen/Finden und Anklopfen/Geöffnet werden (11,9–10). Den Höhepunkt dieses Abschnitts formt ein in Frageform gekleidetes kurzes Gleichnis (11,11–13):

„Welchen Vater unter euch wird sein Sohn um einen Fisch bitten und er wird ihm anstelle des Fisches eine Schlange geben? Oder wenn er ihn um ein Ei bitten wird, ihm einen Skorpion geben? Wenn nun ihr, die ihr schlecht seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater aus dem Himmel denen den heiligen Geist geben, die ihn darum bitten.“

Dieses Gleichnis weist mehrere redaktionelle Veränderungen gegenüber der aus dem Vergleich mit der Matthäusvariante zu erschließenden Fassung der Logienquelle auf.1 Während Q von einem Menschen (anthrōpos) spricht und damit den Vergleich Gottes mit Vater und Mutter ermöglicht, hat Lukas den Text auf den Vater zugespitzt und betont damit die patriarchalen Rahmenbedingungen der imperialen römischen Kultur. Dem pater familias stand das Recht zu, über Leben und Tod seiner Kinder zu entscheiden (das ius vitae necisque).2 Allerdings bestand daneben auch das kulturelle Konzept der gegenseitigen pietas, die tyrannischer Ausübung der patria potestas entgegenwirkte.3 Im jüdischen Kontext zeigt die rabbinische Diskussion um die Unterhaltspflicht des Vaters, wie fundamental diese patriarchalische Rolle des Vaters in seinem Haus war. Tannaitische Rabbinen sind sich nicht einig, ob ein Vater rechtlich oder moralisch verpflichtet ist, für seine Kinder zu sorgen (z. B. mKet 4,6.11; tKet 4,8). Erzählungen aus dem Talmud (yKet 4,8, 28d; bKet 49ab) zeigen, dass die Rabbinen von einzelnen Vätern herausgefordert wurden, die sich weigerten, ihre Kinder zu ernähren. Die väterliche Autorität scheint so umfassend gewesen zu sein, dass die Rabbinen Schwierigkeiten hatten, sie im Bereich der Kinderversorgung einzuschränken.4

Unser Gleichnis setzt dieses Recht zwar voraus, betont aber die alltägliche Erfahrung, dass Bitten von Kindern um tägliche Versorgungsgüter kaum auf grausame oder schädigende Weise beantwortet werden. Die theologische Deutung des Gleichnisses in V. 13 geht einen Schritt weiter und setzt als Normalfall voraus, dass die Angesprochen ihren Kindern „gute Gaben“ geben, also die Bitte um Essbares im Allgemeinen positiv beantworten. Die Alltagserfahrung, dass Menschen trotz ihres tief verankerten Potentials zum Schlechten ihren Kindern regelmäßig Gutes tun,5 ermöglicht die Schlussfolgerung a malo ad bonum, dass Gott, der im Wesen gut ist, sicher sich den Bitten von Menschen nicht verschließt.

Der Handlungsspielraum des Sohnes im Gleichnis wird klar definiert durch ein restriktives, potentiell todbringendes Recht des Vaters, Speise zurückzuhalten oder schädigende Güter zu servieren und ist auf das Äußern einer Bitte beschränkt. Mit dieser Bitte honoriert der Sohn die im Rahmen antiker Sozialstrukturen unbestrittene Autoritätsposition seines Vaters. In der Anwendung erkennen Menschen Gottes Macht an, die erbetenen materiellen und nicht-materiellen Güter zu schenken oder zurückzuhalten, zugleich ermutigt die in Aussicht gestellte positive Antwort die Zuhörenden, ihren begrenzten Handlungsspielraum zu benutzen.6

Im rabbinischen Gleichnis von Sifre Deuteronomium 40 wird die Handlungsfähigkeit des Kindes ebenfalls durch die restriktive Autorität des Vaters bezüglich der Versorgung mit Nahrungsmitteln definiert. Das Gleichnis ist Teil eines Midrasch zu Dtn 11,11–12: „Und das Land, das ihr durchquert, um es zu erben, ist … ein Land, um das sich JHWH, dein Gott, kümmert; die Augen JHWHs, deines Gottes, sind immer darauf gerichtet, vom Jahresanfang bis zum Jahresende.“ Nachdem der vorangegangene Midrasch gezeigt hat, dass Gott sich nicht nur um das Land kümmert, sondern es auch verfluchen kann, folgt das Gleichnis:

„R. Shimon ben Yohai sagt: Ein Gleichnis. Es ist wie ein König, der viele Kinder und Sklaven hatte. Sie wurden von seiner Hand erhalten und versorgt und die Schlüssel des Vorratshauses [waren in seiner Hand].7 Wann immer sie seinen Willen taten, öffnete er das Vorratshaus und sie aßen und wurden satt. Aber wenn sie seinen Willen nicht taten, [verschloss]8 er das Vorratshaus und sie starben vor Hunger. Ebenso Israel: Wenn sie den Willen des Ortes9 taten, ,wird JHWH für dich sein gutes Vorratshaus öffnen [den Himmel, um den Regen deines Landes zu seiner Zeit zu geben]ʻ (Dtn 28,12). Aber wenn sie seinen Willen nicht taten, was steht da? ,Und der Zorn JHWHs wird gegen euch entzündet [und er wird die Himmel verschließen, damit kein Regen mehr wird und das Land keinen Ertrag bringt. Und ihr werdet schnell umkommen (und verschwinden) aus dem guten Land, das JHWH euch gegeben hat]ʻ (Dtn 11,17).“

Die Gleichniserzählung beschreibt die absolute Autorität eines Königs, seine zahlreichen Kinder und Sklaven zu ernähren. Er ist derjenige, der die Schlüssel des Vorratshauses in der Hand hat. Wenn die Kinder und Sklaven den Willen des Königs tun, öffnet er das Vorratshaus, sodass sie essen können und satt werden. Wenn sie seinen Willen nicht tun, schließt er das Lagerhaus, sodass sie verhungern. In der Deutung repräsentiert der König Gott, die Kinder und Sklaven stehen für Israel, das Vorratshaus für den Himmel und die Regenversorgung. Auf der Grundlage von zwei Beweistexten (Dtn 11,17 und Dtn 28,12) wird argumentiert, dass Gott Israels Gehorsam belohnt, indem er die himmlischen Lagerhäuser öffnet, während er sie bestraft, indem er keinen Regen vom Himmel spendet. Genau wie für die Kinder und Sklaven in der Erzählung des Gleichnisses ist die Bereitstellung oder das Zurückhalten von Regen für Israel eine Frage von Leben und Tod.

Mehr als das Gleichnis vom bittenden Sohn zeigt das Gleichnis in Sifre Deuteronomium 40, wie die restriktive Ausübung der Autorität eines Vaters tödliche Folgen haben kann. Da die Kinder sterben, wenn der König sein Lager abschließt, werden sie als ausschließlich von der Nahrungsversorgung ihres Vaters abhängig dargestellt. Tatsächlich scheint die Autorität des Königs so umfassend zu sein, dass der Text keinen Raum für die alternative Möglichkeiten lässt, Nahrung zu erhalten, wie etwa durch Betteln (vgl. mKet 13,3) oder Versorgung durch die Gemeinschaft (bKet 49ab). Übertragen auf die theologische Anwendung zeigt diese restriktive Herrschaftsausübung des Königs, wie stark Israel von der Allmacht Gottes abhängig ist. Wenn Gott den Himmel verschließt und der Regen ausbleibt, gibt es keine alternativen Wege, um an Essen zu kommen. Angesichts von regelmäßiger Nahrungsmittelknappheit, von Hungersnöten und endemischem, langfristigen Hunger und Unterernährung in der Antike muss das Gleichnis seine Zuhörer an ihre Verletzlichkeit und Abhängigkeit von Gottes Versorgung erinnert haben.10

Dennoch impliziert das Gleichnis, dass die Kinder und Sklaven in einem anderen Lebensbereich agency haben, nämlich in ihrem Verhalten dem König gegenüber. Der König kann sie nicht zwingen, seinem Willen zu gehorchen, er kann sie nur durch Belohnung und Bestrafung dazu motivieren. Ein ähnlicher Handlungsraum wird in der Anwendung des Gleichnisses angenommen, da es an Israel liegt, Gottes Willen zu tun und seine Tora zu halten oder nicht. Gott kann sie nicht dazu zwingen.

Diese Diskussion zeigt, dass das Gleichnis in Sifre Deuteronomium 40 die Interaktion zwischen der restriktiven Autorität eines Vaters/Gottes und der Handlungsfähigkeit der Kinder/Juden theologisch anders einsetzt als das Gleichnis vom bittenden Sohn. Angesichts der Tatsache, dass das Gleichnis vom bittenden Sohn implizit Väter missbilligt, die ihre Kinder nicht mit essbaren Lebensmitteln versorgen, wirft dies Fragen zur rabbinischen Bewertung der Lebensmittelverweigerung des Königs im Gleichnis von Sifre Deuteronomium auf. Da wie oben erwähnt rabbinische Diskussionen über den Kindesunterhalt deutlich machen, dass die Unterhaltspflicht des Vaters für seine Kinder umstritten war, können auch die Handlungen des Königs kritisiert worden sein. Einige Rabbinen, wie zum Beispiel diejenigen, die für eine moralische oder rechtliche Verpflichtung der Väter zum Unterhalt ihrer Kinder plädieren, mögen die Handlungen des Königs tatsächlich missbilligt haben. Andere mögen die rigorose Bestrafung durch den König positiver bewertet haben, da der Ungehorsam seine Ehre, Autorität und Männlichkeit antastete und damit kulturell wichtige Werte bedrohte. Indirekt mag die Priorisierung von Kinderversorgung oder Männlichkeitsideal im Alltag die Bewertung von Gottes Versorgung mit und das Zurückhalten von Regen im nimshal beeinflusst haben.

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