Kitabı oxu: «Die Verdammte vom Ikenwald»

Şrift:

Vanessa S. Morolt

Die Verdammte vom Ikenwald

Die Wiedergängerin - Band Eins

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Tanz in den Mai

Des Glückes Krönung

Fieber

Unter Räubern

Der erste Morgen

In der Schlucht

Einfache Tage

Energiefunken

Darum ist Veith der Hauptmann

Wie die Herrin so die Katz

Nachtrauschen

Der Pfad durch den Nebel

Ein italienischer Herr

Der rote Engel

Blutsauger

Die Entführung

Die Burg des Fürsten

Ein edler Retter?

Ein erlesener Tropfen

Konsequenzen

Der Ausbruch

Unruhestifter

Impressum neobooks

Vorwort

Die

Wiedergängerin

"Was macht mein Kind? Was macht mein Reh?

Nun komm ich noch zweimal und dann nimmermehr."

Die Kinderfrau antwortete ihr nicht, aber als sie wieder verschwunden war, ging sie zum König und erzählte ihm alles. Sprach der König: "Ach Gott, was ist das! Ich will in der nächsten Nacht bei dem Kinde wachen." Abends ging er in die Kinderstube, aber um Mitternacht erschien die Königin wieder und sprach:

"Was macht mein Kind? Was macht mein Reh?

Nun komm ich noch einmal und dann nimmermehr."

Und pflegte dann des Kindes, wie sie gewöhnlich tat, ehe sie verschwand. Der König getraute sich nicht, sie anzureden, aber er wachte auch in der folgenden Nacht. Sie sprach abermals:

"Was macht mein Kind? Was macht mein Reh?

Nun komm ich noch diesmal und dann nimmermehr. "

Aus: Brüderchen und Schwesterchen

Buch Eins

Die Verdammte vom Ikenwald

„Ein Dutzend Jahre lang war ich das Eheweib des Tischlers Wilm. Eine zufriedene und im gesamten Dorf angesehene Frau. Dann starb ich und wurde in der Schattenwelt die Buhle eines verfluchten Räubers, was für mich mit großer Schande einhergeht und zuletzt soll ich nun die Braut eines Blutsaugers werden.

An Erlösung kann ich nicht mehr glauben. Das Einzige, was mir nun noch am Herzen liegt, ist die Rettung meiner Tochter. Theresia darf nicht in die Klauen dieses Monsters geraten und dafür werde ich alle Kraft, die mir verbleibt, aufbringen, auch wenn das bedeuten sollte, dass mein Geist in Unzählige von glühenden Funken gesprengt und im Dunst verglimmen wird!

Und nun bitte ich dich nach all diesen Jahren, die du heimlich an meiner Seite gewacht hast, – Ja, ich habe es wohl bemerkt! – mir beizustehen und dafür zu sorgen, dass die unschuldigen Seelen dieser Kinder nicht für die Ewigkeit verflucht werden.

Du magst es anders sehen, doch ich sage: Das bist du mir schuldig!“

Tanz in den Mai

Von allen Seiten wabert der Nebel auf mich zu. Der Boden brodelt und blubbert grau und braun wie ein übler Sumpf, der mich verschlucken will. Der sichere Boden auf dem ich mich befinde, ist zu einer kleinen Insel geschrumpft und von Minute zu Minute schluckt das Gewaber Stückchen für Stückchen meiner Sicherheit. Verzweiflung sprudelt in mir hoch. Der Nebel darf mich nicht verschlucken! Ich muss bei ihr bleiben! Sie braucht mich doch und ich brauche sie so sehr…

Dabei ist erst ein Tag vergangen, seit ich noch ein Mensch war. Ich lebte und ich war glücklich und schön…

 

Mein Gesicht spiegelte sich in der blankpolierten Pfanne. Mit beiden Händen raffte ich mein üppiges dunkles Haar zusammen und flocht es zu vier einzelnen Zöpfen, die ich wiederum miteinander verflocht und diese Kreation steckte ich dann am Hinterkopf auf. Die Frisur schmeichelte dem Schwung meiner Kinnlinie und betonte den hellen, zarten Nacken – mein Wilm sagte immer, ich besäße einen Schwanenhals – aber zu viel Hoffart durfte ich mir nicht erlauben, weshalb ich die schwarze Pracht ordentlich unter der hellen Haube versteckte. Das braune Mieder über dem sandbraunen, knöchellangen Rock konnte ich beim besten Willen nicht festschnüren. Ich stand acht Tage vor der Niederkunft und obwohl sich mein Bauch nur zu einer ebenmäßigen Kanonenkugel gerundet hatte und meine Gestalt ansonsten schlank geblieben war, war die Schwangerschaft nun nicht mehr zu verbergen. Wenn ich ehrlich bin, gab ich mir auch nur die wenigste Mühe, meine Umstände zu überspielen. Wilm und ich konnten uns kaum zurückhalten vor Stolz und Freude. Zwölf Jahre hatten wir auf dieses Kind gewartet und schon die Hoffnung aufgegeben. Nach drei Fehlgeburten hatte ich nicht mehr empfangen, bis zum letzten Sommer. Dann begannen die Wochen des Bangens und jeden Morgen fürchtete ich mich, dass ich die Frucht wieder verlieren könnte. Aber nachdem die ersten drei Monate vergangen waren und die Übelkeit nachließ, versicherten mir die erfahreneren Weiber, dass nun die gefährlichste Phase für eine Fehlgeburt hinter mir läge. Wenn sie mich sahen, nahmen sie mir den Wassereimer hilfreich ab. Sie boten mir an, die Wäsche für mich zu walken und obwohl mir diese Aufmerksamkeit ein wenig peinlich war, ließ ich sie doch gewähren und nähte ihnen zum Dank diesen und jenen Rock, bestickte die Säume oder flickte die Hemden ihrer Männer und Söhne.

Wilm trat von hinten an mich heran – ich sah sein dunkles Gesicht in der spiegelnden Pfanne – und umschlang meinen Körper.

„Du willst dir diesen Menschenauflauf wirklich zumuten?“, flüsterte er an meinem Ohr und fuhr mit den Lippen über meinen Hals.

„Den Tanz in den Mai lasse ich mir sicher nicht entgehen. Mir geht es so gut.“ Ich strahlte ihn fröhlich an und schlang die Arme um seinen Nacken. Wilm überragte mich um gut einen Fuß und ich musste mich immer auf die Zehenspitzen stellen, um ihn küssen zu können.

„Nun gut“, er trat einen Schritt zurück und musterte mich mit Wohlwollen, „machen wir uns auf den Weg.“ Aus seinem dunklen Gesicht konnte ich den Besitzerstolz herauslesen. Im Dorf hatte ich immer als das hübscheste Mädchen von allen gegolten und viele hatten Wilm beneidet, als mein Vater Alfons ihm meine Hand und damit die örtliche Tischlerei übergab. Ich galt als guter Fang. Über die Jahre hinweg verloren die Blicke der anderen Frauen an Neid und stattdessen wurden sie immer mitleidiger. Was war schon eine Frau, die kein lebendes Kind zur Welt bringen konnte? Wilm war ein herausragender Tischler und hatte einen gewissen Reichtum angehäuft. Er war ein beliebter und angesehener Mann von schneidigem Aussehen und ruhigem Charakter, immer hilfsbereit und keinem Menschen ein Dorn im Auge. Ich liebte ihn auf eine beständige, liebevolle Art und war sehr dankbar, dass er mir niemals meine Unfähigkeit vorwarf. Denn wie jeder weiß, liegt die Fruchtbarkeit einer Ehe an der Frau und nicht am Mann.

Aber nun sollte sich alles ändern und es gab andere, die ein schlimmeres Los lebten. Meine liebe Freundin Annamaria hatte wie ich das dreißigste Jahr schon überschritten und keinen Mann gefunden. Als alte Jungfer fristete sie ihr Dasein als Haushälterin ihres verwitweten Onkels Anton und seiner beiden halbwüchsigen Söhne, die arge Raufbolde waren. Ich beneidete sie nicht.

 

Hand in Hand durchquerten mein Gatte und ich die Straßen und gingen mit den anderen Nachbarn aus dem Dorf hinaus und zur Anhöhe nahe des Waldes, von dessen Fichten ein betörender harziger Duft zu uns strömte. Hinter den Baumkronen ging eine rotgoldene Sonne unter, deren letzte Strahlen den Himmel in warmes Rot tauchten. Einige junge Burschen stellten ausgehöhlte Baumstümpfe auf, in denen brennende Dochte in Öl schwammen und die Tanzfläche wurde von brennenden Fackeln umsäumt.

Die älteren Frauen verteilten eine dicke Suppe in Tonkrügen und es gab auch Met und Bier. Ich lieferte die beiden Brote ab, die ich als Spende für das Fest gebacken hatte.

Und dann spielten die Musiker endlich auf. Mit Flöte und Fidel.

Manches Mal musste Wilm mich bremsen, weil ich mich beim Tanz so verausgabte. Aber das Kleine schien sich wohl zu fühlen und schwang seine Tanzbeine zum Takt der Musik in meinem Körper.

 

Panisch sah ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch der Nebel war auf allen Seiten gleichmäßig dick und undurchdringlich und es gab nichts, auf das ich hätte klettern können, um mich zu retten …

 

Als der Abend schon fast in die Nacht übergegangen war, fand ich mich plötzlich mutterseelenallein am Waldrand wieder. Der Klang der Musik hallte noch leise an meinem Ohr und ich wusste gar nicht, wie ich mich so weit vom Festplatz hatte entfernen können. Nicht einmal die Geräusche der Liebenden, die sich in jedem Jahr nach und nach absonderten und sich in den Büschen liebkosten, waren zu vernehmen. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht als ich an die Nacht dachte, als Wilm mich zwischen die Bäume und hinunter zur Schlucht gezogen hatte um mich unter Küssen und Versprechungen zu seiner Frau zu machen. Keines seiner Versprechen hatte er jemals gebrochen.

Nun hielt sich niemand in meiner Nähe auf, nicht einmal die Spechte oder die Eichhörnchen, die sich sonst in den Baumkronen tummelten. Die Stille hätte mich stutzig machen können, doch obwohl ich keine berauschenden Getränke genossen hatte, war ich trunken vor Übermut.

Angst verspürte ich nicht. Ich liebte den Wald und hatte mich immer gern ins Gehölz geschlichen. Schon als kleines Mädchen hatte ich Pilze gesammelt und Kräuter und Blumen. Oft hatte ich nicht gewusst, was ich da überhaupt in meinen Korb legte und musste eine Nachbarin nach den Eigenschaften der Pflanzen fragen. Es ging mir auch nicht darum, eine Heilkundige zu werden. Ich genoss es einfach, die Ruhe des Waldes in meinen Geist eindringen zu lassen und das Kräutersammeln war ein Vorwand, um mich fortschleichen zu dürfen. Auch jetzt liebte ich den harzigen Geruch, der in meine Nase stieg. Ich schloss die Augen, breitete die Arme aus und drehte mich langsam im Kreis.

Ist es nicht wunderschön hier, mein Kind?‘ Ich dachte den Satz nur, weil ich mir sicher war, dass es meine Gedanken hören konnte.

Und so drehte und drehte und drehte ich mich, bis ich stolperte und erschrocken die Augen aufriss. Zwei starke, kalte Hände fingen mich auf und ich sah in die blassgrünen Augen eines fremden Mannes. Vor Schreck schrie ich kurz auf, doch der Mann ließ mich sofort los, als meine Füße wieder Halt fanden.

„Ich danke Euch, mein Herr.“

Ich machte einen kleinen Knicks, denn offensichtlich war dieser Mann von edler Herkunft.

Er erwiderte nichts. Sein Blick war traurig und er schüttelte den Kopf wie ein Vater, den die Dummheit seines Kindes wundert. Das Kind in meinem Bauch strampelte aufgeregt und plötzlich schlug mir das Herz bis zum Hals.

Der Mann stand einfach nur da in seinen Kniehosen und dem altmodischen Wams mit dem viereckigen Hemdkragen. Das rötliche Haar war lang und fiel ihm seidig über die Schultern. Er sah aus, als wolle er einen Ball besuchen und die Spangenschuhe waren weder für einen Spaziergang durch den Wald, noch für einen Ausritt geeignet. Zumal sich auch kein Pferd in Sichtweite befand.

„Habt Ihr Euch verlaufen, Herr? Der Hof des Grafen von Blausee liegt 5 Meilen gen Süden.“

Ich zeigte in die entsprechende Richtung und machte einen Schritt auf den jungen Mann – er war sicherlich einige Jahre jünger als ich – zu. Er dagegen machte bei jedem meiner Schritte nach vorn einen zurück. Er sah bleich aus. Nicht nur seine Haut, sondern auch sein Haar und seine Kleidung wirkten wie mit einem Grauschleier überzogen, als stehe er im Nebel.

„Herr, kann ich Euch helfen?“

Da plötzlich näherte er sich mir, trat ganz nah und je näher er kam, desto durchscheinender wirkte er. Als seine Lippen nur eine Spur von meinem Mund entfernt waren, flüsterte er rau und heiser – als habe er seit Jahren nicht mehr gesprochen: „Erlöse mich.“

Und dann spürte ich den Kuss des Todes. Zart und kalt. Mir wurde schwindlig, doch ich genoss dieses Gefühl und drückte meine Lippen fester auf diesen schönen Mund.

Von weitem hörte ich Wilms Stimme, die meinen Namen rief. Der Fremde war verschwunden. Mein Kind hatte sich beruhigt und bewegte sich nur noch wenig in mir.

„Ich komme, Wilm! Ich komme!“

Wilm schalt mich auf seine zaghafte Art, dass es sehr verantwortungslos von mir gewesen sei, bei Nacht in einen Wald zu gehen, in dem es Wildschweine gab und sich durchaus auch einmal eine Räuberbande verbergen könne. ‚Und schöne, junge Männer mit zarten Lippen,‘ dachte ich bei mir und verbarg ein Lächeln. Annamaria dagegen schimpfte laut und unnachgiebig.

Ich ließ alles ruhig über mich ergehen, schon ein wenig gelöst von der Menschenwelt, was ich damals noch nicht ahnte. Alles war unwirklich und fern mit einem Mal. Den leisen Schmerz, der in dieser Nacht in meinen Unterleib kroch, bemerkte ich kaum.

Meine Gedanken weilten bei dem jungen Mann. Er war so wunderschön gewesen, hatte die gleichmäßigen Züge eines Engels gehabt. Das Grün seiner Augen war hell wie Steinkraut und seine kühlen Lippen hatten einen Hauch in meinen Körper geblasen wie der eisige Wind an einem Wintermorgen, wenn sich der Atem in weißen Schwaden mit der eisigen Winterluft zu einem Tanz vermischt.

 

„Du schwitzt, Liebste.“ Wilm wischte mir mit seinen großen dunklen Händen die schweißverklebten Haare aus der Stirn. Verwirrt sah ich ihn an, überrascht, nicht den schmalen, rotblonden Mann aus meinen Gedanken vor mir zu haben. Wilm war riesig, breit und hatte eine solch dunkle Haut, als stamme er aus den Ländern vom Mittelmeer. Er hatte einmal erzählt, dass sein Großvater als Söldner im Dreißigjährigen Krieg in unsere Gegend gekommen war und sich mit einer Frau von hier vermählt habe. Man hatte ihn Jupp genannt, aber sein richtiger Name lautete Guiseppe und er kam von einer Insel, wo gelbe Früchte von der Größe eines Apfels an den Bäumen wuchsen, die furchtbar sauer schmecken sollen. Von diesem Großvater hatte Wilm, eigentlich Wilhelm, seinen dunklen Teint und die tintenschwarzen Locken geerbt. Angeblich auch das dichte Kraushaar auf seiner Brust, in dem ich so gern meine Finger vergrub.

Auch jetzt kuschelte ich mich an seine breite Brust. Wilm fror selten und trug nur in den kältesten Wintermonaten ein Nachthemd. Den Rest des Jahres schlief er nackt unter den Decken und er liebte es, wenn ich es ihm gleichtat, denn er strömte genug Hitze für zwei aus. Natürlich verriet ich niemandem von meinem sündigen Tun. Es gehörte sich nicht, nackt zu schlafen, eigentlich war es nicht einmal recht, wenn mein Gatte mich komplett nackt sah. In Ermangelung einer Mutter hatte meine Tante Alke mir in meiner Brautnacht erklärt, ich müsse das Nachtgewand bis zu den Hüften schürzen und lernen zu ertragen, was dann geschah. Das war eine weitere Sünde, die ich nicht zur Beichte tragen konnte: ich genoss den Beischlaf mit meinem Mann über alle Maßen und oft war ich es, die ihn herausforderte, meine Hüften zu nehmen. Dabei sollte ich doch die Schüchterne, Passive spielen und seine Berührungen nur erdulden. Die nächste Sünde war es, dass ich sogar jetzt noch meine ehelichen Pflichten erfüllte, obwohl ich das Kind schon in mir trug. Dabei wurde uns in der Kirche immer gepredigt, dass der Beischlaf einzig der Vermehrung diene und keinesfalls der Lustbefriedigung. Aber um Sünden hatte ich mich nie groß geschert.

 

Des Glückes Krönung

Nun bin ich tot und die Rauchwolken des Fegefeuers wollen mich verschlingen! Das kann ich nicht zulassen, meine Aufgabe auf Erden ist noch nicht erledigt! Wilm wird über seinen Kummer hinwegkommen, er ist stark … aber meine Kleine, ich kann doch meine Kleine nicht im Stich lassen!

 

Eine kleine Schmerzwelle wanderte durch meinen Körper und ich zuckte ein wenig. Der Morgen graute, aber wir konnten noch ungefähr zwei Stunden ruhen.

„Mir ist ein wenig übel“, murmelte ich und presste die Stirn an seine Brust.

Wilm schob mich von sich weg und sah mir tief in die Augen. „Ist es das Kind? Wird es kommen?“

Eine Geste der Ahnungslosigkeit war die Antwort. Die anderen Frauen hatten gesagt, ich werde es wissen, wenn es so weit sei, doch mein Geist war so verwirrt, dass ich mich kaum auf meinen Körper konzentrieren konnte.

Sanft bettete Wilm mich zurück und strich mit den Händen über meine Brüste, drückte und knetete die Warzen.

Ein Lachen gluckerte in mir. „Was machst du denn da?“

„Bei den Ziegen bildet sich ein Harz am Euter und später beginnt die Milch zu fließen, wenn das Zicklein kommt.“

Ich kicherte. „Bin ich eine Ziege?“

Er verrieb ein wenig gelbe Flüssigkeit zwischen Daumen und Zeigefinger. „Sieh her!“

Dann spreizte er meine Beine und sah auf meine intimste Stelle. Nun schnappte ich laut nach Luft und schubste ihn zurück. „Das gehört sich nicht, Wilm!“

„Pah“, schnaubte er, der zwar ein tiefgläubiger, aber eben auch ein sehr praktischer Mensch war. Seiner Meinung nach hatte Gott den Menschen die Gelüste gegeben, um Freude aneinander zu haben und er glaubte nicht, dass sie Teufelswerk waren, um die Beständigkeit des Menschen zu prüfen. Er fuhr mit seiner Untersuchung fort, dann schnalzte er mit der Zunge und sprang federnd aus dem Bett.

„Ich werde die Hebamme holen.“

„Aber Wilm, ich spüre kaum etwas!“

„Glaub mir, noch heute wird unser Kind geboren werden. Du hast gestern sicherlich ein Tänzchen zu viel genossen.“ Eine leise Andeutung von Missbilligung schwang in seiner Stimme mit, während er in sein Wams und die Hosen schlüpfte. Durch die geöffnete Tür tappte unsere graugetigerte Katze Luise und sprang zu mir ins Bett, wo sie sich wohlig schnurrend an meinem Bauch zusammenrollte.

„Dann bereite ich schon mal das Mittagessen für dich vor, denn vielleicht habe ich nachher nicht mehr die Gelegenheit dazu“, grinste ich meinem Mann zu.

Er zog mich zu einem innigen Kuss an sich und machte sich auf den Weg.

 

Meine Mutter ist im Kindbett gestorben. Zusammen mit meinem kleinen Bruder. Er lebte nur fünf Stunden, sie nur noch zwei Tage nach der Geburt. Der Pfarrer war rechtzeitig da, um meinen Bruder auf den Namen Alfons zu taufen und meiner Mutter die Beichte abzunehmen. Dann starben sie und wurden auf dem Friedhof in einem gemeinsamen Grab beigesetzt. Als mein Tod nahte, nahm mir niemand die Beichte ab und ich verließ diese Welt mit einer Seele, die dunkel und fleckig war von den Sünden, die ich auf mich geladen hatte: Eitelkeit, Ignoranz, Lust, Überheblichkeit und manches mehr …

Nun liegen meine Überreste verscharrt in ungeweihter Erde und der Nebel kommt näher und näher …

 

Gegen Mittag waren die Schmerzen stärker geworden, aber noch gut zu ertragen. Kurz nach dem Mittagsläuten betrat Annamaria unser Haus. Ihr langes, dunkles Haar trug sie wie immer offen, eine Tradition ihrer Jugend, die sie nicht aufgeben wollte. Annamaria war keine unansehnliche Frau. Sie war nur sehr groß, größer als mancher Mann, was einige Burschen abschreckte und sie selbst hatte mir einmal verraten, dass sie keinen Ehemann ernst nehmen könne, dem sie auf den sich lichtenden Scheitel sehen könne. Sie hatte eine helle, fast blasse Gesichtsfarbe, die ihre dunklen Augen unnötig betonte. Ihr Körper war sehr schlank und sie war nahezu flachbrüstig. Sie hätte einen stattlichen, jungen Mann abgegeben, aber leider war sie eine Frau geworden.

Sie zeichnete sich mit Intelligenz und Fleiß aus, geschickt in der Handarbeit und beim Gärtnern und ihr Bruder und die Neffen konnten froh sein sie zu haben, dankten es ihr aber nicht, weil sie ihr Dasein als selbstverständlich hinnahmen.

Zudem war Annamaria mit einer spitzen Zunge geschlagen, die sie oft nicht kontrollieren konnte und sie war so bettelarm, dass sich kein Mann ihrer erbarmen konnte. In den letzten Jahren hatte ich oft verspürt, dass ihre Stimme immer schneidender geworden war und sich ein bitterer Zug in ihren Mundwinkel gegraben hatte, aber kaum war mir dieser Gedanke gekommen, hatte ich ihn auch schon wieder vergessen.

Ich war kein mitfühlender Mensch. Mit Freundlichkeit, Heiterkeit und Leichtlebigkeit eroberte ich meine Mitmenschen, aber ich kümmerte mich nicht besonders um ihre Probleme, wie ich heute zugeben muss. Bezeichnend dafür ist, dass ich mich von einem wildfremden Mann küssen ließ, ohne auch nur ein schlechtes Gewissen zu verspüren.

Wenn ich ehrlich bin, stellte ich mir sogar vor, wie diese kühlen, blassen Hände meine Taille umfingen, wie seine hellen Lippen über meine Schultern und den Ansatz meiner Brüste streiften.

Annamaria griff sich als Erstes den Besen und begann, alle drei Räume, die Bettkammer, den Wohnraum und selbst Wilms Werkstatt auszukehren. Irgendwie fand ich mich innerhalb weniger Minuten mit einem Becher voll Kräutertee auf einen Hocker gedrückt und sah meiner Freundin zu, wie sie das Regiment übernahm.

„Hast du in deinem Haus nicht genug zu putzen?“, fragte ich schwach lächelnd.

Annamaria winkte ab. „Bei den drei Banausen ist alles vergebene Mühe. Spätestens heute Abend hat der Erste sich wieder in die Binsen erbrochen und fast täglich finde ich die Scherben eines zerbrochenen Krugs auf dem Boden …“

Sie klagte ihr Leid in jeder Einzelheit und ich vergaß kurzfristig die immer wiederkehrenden Schmerzen, die mich durchzuckten. Für einen Moment krampfte sich die Haut wie eine Faust über dem Kind zusammen und riss dabei alle meine Gefäße mit sich, bevor eine Welle der Entspannung folgte.

„Geh ein wenig spazieren!“, befahl Annamaria. „Aber nur bis zum Brunnen und komm dann wieder zurück, damit ich nicht nach dir suchen muss.“

Ich nickte. Der Brunnen auf dem Dorfplatz befand sich ungefähr dreihundert Meter von unserem Haus entfernt. Es gelang mir unterwegs, mich mit der alten Hedwig zu unterhalten, ohne dass sie meine Beschwerden erriet. Eine Weile saß ich im Schein des warmen Maitages und bewunderte die bunten Bänder, die ein junger Bursche um einen Maibaum gewunden hatte, der an der Hauswand des Bäckers Gustav lehnte. Gustav hatte zwei halbwüchsige, blonde Töchter, die gerade anfingen, den Männern schöne Augen zu machen.

Ich selbst hatte meine Backfischzeit genossen. Ein tiefer Blick hier, ein aufreizender Wimpernschlag da und ein kokettes Lächeln als besondere Dreingabe. Jedes Jahr hatte ein Maibaum vor unserem Haus auf mich gewartet. Mehr als auffordernde Blicke durfte ich mir natürlich nicht erlauben, wenn ich meinem Ruf nicht schaden wollte und auch so hörte ich von Zeit zu Zeit die gehässige Stimme diverser alter Damen, die meinen Vater darauf hinwiesen, dass ich für ihren Geschmack etwas zu keck sei.

Mein Vater hatte dann nur gelächelt und mir später den Kopf getätschelt mit den Worten:

„Nun tu doch wenigstens so, als seist du ein respektvolles Kind, wenn die Alten in der Umgebung sind.“

„Aber Vater“, ich schlackerte unschuldig mit den Wimpern, „du hast mir nie beigebracht, wie sich ein respektvolles Kind zu verhalten hat.“

Dafür erntete ich einen halbherzigen Klaps. Mein Vater wusste ganz genau, dass er mir mein Lebtag keine Regeln auferlegt hatte und in Wilm bekam ich einen Mann, der ebenso großherzig wie nachlässig war. Ich dankte es ihm mit ergebener Treue und deshalb denke ich nicht, dass Wilm einen Nachteil in der Ehe mit mir hatte.

 

So saß ich in Gedanken versunken am Brunnenrand, als ein Schwall warmen Wassers von einem Moment auf den anderen an meinen Beinen hinabrann und meinen Rock durchnässte. Hatte ich einen gefüllten Eimer übersehen und umgestoßen? Doch das Brunnenwasser war kalt und nicht warm! Mein Bauch fühlte sich plötzlich anders an und es kam mir vor, als sei er von einer Sekunde auf die andere herabgesackt.

Schon umringten mich zwei Bäuerinnen, die auf dem Rückweg vom Markt waren und gerade ihre Esel tränkten und redeten auf mich ein.

„Dein Kind wird bald kommen, … das Wasser ist abgegangen … nach Hause …“

Die Schmerzen überfluteten mich erneut, diesmal stärker und ich war erleichtert, als Wilms erschrockenes Gesicht vor mir auftauchte und er mich auf seinen starken Armen nach Hause trug. Die kleine, alte Frau, die sich bemühte, Schritt mit ihm zu halten, war die Hebamme. Sie wohnte ein paar Dörfer entfernt und musste zu Fuß an die zwei Stunden laufen, bis sie bei uns war. Wilm war schon am frühen Vormittag mit dem Eselskarren aufgebrochen, hatte allerdings warten müssen, wie er mir erzählte, bis sie einem anderen Kind auf die Welt geholfen hatte.

Etta ging schon auf die sechzig zu und hatte mehr Kinder ins Leben gebracht, als es Einwohner im Dorf gab. Sie war ruhig und erfahren, sah sich zufrieden in unserem gepflegten Haus um und lobte Annamarias Vorarbeit, die saubere Tücher bereitgelegt und die Bettstatt abgedeckt hatte.

Ich selbst bekam nicht mehr besonders viel von dem mit, was die Frauen besprachen, spürte nur Wilms festen Kuss und hörte seine aufmunternden Worte ohne ihren Sinn zu erfassen, bevor er hinausgeworfen wurde. Männer galten bei einer Geburt als Störfaktor.

 

Dann folgten die Stunden des Kampfes. Der Tag ging in die Nacht über, der Morgen graute und noch immer war das Kind nicht geboren. Lange hatte ich geschrien vor Schmerz, dann erfasste mich eine tiefe Müdigkeit und die Wehen hörten auf. Nun dämmerte ich vor mich hin, während Etta Annamaria erklärte, dass ich das Kind nicht auf die Welt bringen könne. Mein Becken sei zu schmal, das Kind liege nicht richtig und ich sei ohnehin schon zu sehr geschwächt.

„Du kannst die beiden doch nicht einfach sterben lassen“, empörte Annamaria sich. „Beide leben sie noch. Der Bauch bewegt sich. Lass dir gefälligst etwas einfallen!“

An der Unterlippe nagend sah Etta auf meinen nahezu reglosen Körper und erst jetzt bemerkte ich, dass ich dieses Gezänk nicht vom Bett aus mitbekam – ich hatte mich schon gewundert, warum mein Verstand plötzlich wieder so klar war – sondern, dass ich an der Decke schwebte. Ich sah mich selbst, blass, aber wunderschön auf dem Bett liegen und Annamaria, die wild mit den Händen gestikulierte und mit dem Fuß aufstampfte. Gute, tapfere Annamaria.

„Ich kann sie aufschneiden und das Kind herausheben. Du musst es sofort nehmen und reinigen und ich nähe deine Freundin wieder zu. Es muss ganz schnell gehen, sonst wird sie mir verbluten und wenn ich zu tief schneide, werde ich das Kind treffen …“

„Du musst es versuchen“, bekräftigte Annamaria. „So“, sie wies auf meinen ohnmächtigen Körper, „wird sie es nicht schaffen!“

Sie wollten mich aufschneiden? Nein, nein, das konnten sie doch nicht tun! Die meisten Leute starben schon an winzigen Stichverletzungen, bekamen Wundbrand und Fieber und diese beiden wollten meinen Bauch aufschlitzen?

„Ich werde mit dem Vater sprechen.“

Die Hebamme wollte hinausgehen, doch Annamaria hielt sie fest und sah sie eindringlich an.

„Nein, Etta, du musst es jetzt sofort machen!“

Resigniert nickte die alte Frau. Es war schwierig, Annamaria zu widersprechen, es sei denn, man hörte ihr die halbe Zeit nicht zu, so wie ich es tat. Und dann war ich plötzlich wieder in meinem Körper, spürte einen furchtbaren, schrecklichen, stechenden Schmerz und der Raum um mich wurde schwarz, als ich das Bewusstsein verlor.

 

Auf den Zehenspitzen stehend kann ich dem Nebel noch ein wenig standhalten. Er wird dichter, grauer, der Boden blubbert und wabert. Die ersten Schwaden streichen an meinen Zehen entlang. Ich schreie …

 

Als ich erwachte, spürte ich Wilms wohlbekannte, kurze Locken an meiner Wange. Er saß auf einem Schemel an meinem Bett und hielt meine Hände umschlungen. In dieser Stellung war er eingeschlafen und atmete gegen meine Schulter. Ich wollte mich zu ihm umdrehen, doch bei der winzigsten Bewegung durchfuhr mich ein stechender Schmerz und ließ mich fast wieder ohnmächtig werden. Zudem musste ich wohl einen Klagelaut ausgestoßen haben, denn Wilm erwachte und sah mich mit geröteten Augen an. Hatte er etwa geweint?

„Liebste.“ Er streichelte mein Gesicht. „Da bist du ja.“

„Das Kind?“, krächzte ich.

Ein strahlendes Lächeln war die Antwort. „Wir haben eine gesunde Tochter. Sie ist groß und kräftig.“ Er stand auf und verließ mein Blickfeld, um wenige Momente später mit einem Bündel zurück zu kehren, das er auf meine Brust legte.

Mit einer Hand schlug ich die Decke zur Seite und bewunderte dieses herrlich schöne, kleine Wesen. Dichtes, pechschwarzes Haar bedeckte seinen Kopf, die Haut war warm und rosig und als ich mit den Fingern über die winzige Handfläche fuhr, griff das kleine Mädchen fest zu. Eine heiße Welle der Liebe zu diesem neuen Menschen durchflutete mich, wie ich sie noch nie gekannt hatte. Diese Liebe hüllte mich und meine Tochter vollkommen ein. Sie war nicht zu vergleichen mit der Zuneigung zu Annamaria oder der Verbundenheit mit meinem verstorbenen Vater. Auch die Gefühle für Wilm ließen sich nicht mit den überwältigenden Emotionen vergleichen, die mich in diesem Moment überwältigten.

„Ich liebe sie“, flüsterte ich mit tränenschwerer Stimme.

Wilm lächelte. „Und ich euch. Wie soll sie heißen?“

„Theresia. Annamaria sagt, das bedeutet Geschenk.“

 

Da ahnte ich noch nicht, wie bald mir dieses Geschenk entrissen werden sollte oder eher, dass ich diesem Geschenk genommen werden würde…

 

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