Isabelle von Bayern

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II.

Es gibt wohl keinen Romanschreiber oder Historiker, der nicht seine Betrachtungen über große Wirkungen aus geringen Ursachen angestellt hätte, und in der Tat ist es auch unmöglich, die Falten des Herzens oder die Tiefen der Geschichte zu erforschen, ohne darüber zu erschrecken, wenn man sieht, wie leicht ein unbedeutender Umstand, der unbemerkt vorüberging, als er sich zutrug, nach einer gewissen Zeit eine Katastrophe für ein Menschenleben oder für ein ganzes Reich sogar werden kann. Es ist daher auch für den Dichter, wie für den Philosophen vom höchsten Interesse, nach der vollendeten Katastrophe in deren Tiefe hinabzusteigen, wie in den Krater eines ausgebrannten Vulkanes, und sie dann in allen ihren Windungen und Verzweigungen bis zur Quelle zu verfolgen. Wahr ist es, dass die, welche durch ihren Geist zu dergleichen Forschungen getrieben werden, und sich ihnen mit Ausdauer und Leidenschaft hingeben, dabei Gefahr laufen, allmählich ihre älteren Begriffe gegen neuere umzutauschen, und je nachdem sie von der Flamme der Wissenschaft oder dem Sterne des Glaubens sich leiten lassen, werden sie aus gottesfürchtigen Leuten Atheisten, oder aus Irreligösen Gläubige; denn in der Verkettung der Umstände glaubt der Eine die phantastische Laune des Zufalls, der Andere die leitende Hand Gottes zu sehen. Der Eine sagt mit Hugo Foscolo: »Verhängnis«, der Andere mit Sylvio Pellico: »Vorsehung.« Dadurch sprechen sie die beiden Worte aus, welche man auch durch: »Verzweiflung« und »Ergebung« bezeichnen könnte.

Wahrscheinlich durch die Verachtung dieser kleinen Umstände und sorgsamen Nachforschungen haben unsere neuern Historiker uns das Studium unserer Geschichte so trocken und ermüdend gemacht. In der Organisation der menschlichen Maschine sind nicht die Lebensorgane das Interessanteste, sondern die Muskeln, welche durch sie die Kraft erhalten und durch die zahllose Verzweigung der Adern ihnen das Blut zuführen.

Dem oben ausgesprochenen Tadel wollten wir uns entziehen und laden dadurch vielleicht den entgegengesetzten auf uns; aber es ist unsere Überzeugung, dass keine Stufe der Jakobsleiter übersprungen werden darf, dass jedes Ereignis mit einem früheren zusammenhängt, und so viel es in unserer Gewalt steht, werden wir daher nie den Faden zerreißen lassen, der die kleinen Ereignisse mit den großen Katastrophen verknüpft, und unsere Leser dürfen ihm daher nur folgen, um sich durch die Irrgewinde des Labyrinthes zu finden.

Diese Erklärung schien uns nötig beim Anfange eines Kapitels, das man sonst vielleicht als fremd für das betrachten möchte, was wir beschrieben, und ohne Zusammenhang mit dem, was kommen wird. Freilich würde man den Irrtum bald bemerkt haben, aber die Erfahrung macht uns zittern, dass man uns nach einzelnen Teilen beurteilt, ehe man uns ganz hat kennen lernen. Nach dieser Erklärung nun kehren wir zu unserm Gegenstande zurück.

Fürchtet der Leser nicht, sich mit uns in die öden, finstern Straßen von Paris zu wagen, so führen wir ihn an die Ecke der Rue Coquillière und der Rue du Séjour. Kaum dort angelangt, sehen wir durch eine Seitentür des Hôtel de Touraine, welches später das Hôtel Orleans wurde, einen Mann heraustreten, der in einen weiten Mantel gehüllt war, dessen Kappe ihm über das Gesicht fiel, und deren man sich in jener Zeit bediente, wenn man unbekannt bleiben wollte. Nachdem dieser Mensch stehen geblieben war, um die zehn Glockenschläge zu zählen, welche eben von der großen Uhr des Louvre herüber tönten, erinnerte er sich ohne Zweifel, dass diese Stunde gefährlich sei, denn um nicht unvorbereitet zu fein, zog er das Schwert aus der Scheide, stützte die Spitze auf den Boden und bog die Klinge hin und her, als wolle er sich ihrer Tüchtigkeit versichern. Ohne Zweifel zufrieden mit dieser Prüfung, trat er seinen Weg an, in dem er mit dem Schwerte Funken aus den Steinen schlug und halb laut ein Lied vor sich hin summte.

Wir wollen ihm durch die Rue des Etuves folgen, können es aber nur langsam thun, denn an dem Heiligenbilde der Ecke blieb er stehen, ein Gebet zu sprechen; nach dessen Beendigung fuhr er in seinem Gesange fort, wo er stehen geblieben war, verfolgte die Rue Saint Honoré und sang immer leiser, je mehr er sich der rue la Ferronnerie näherte; in dieser angelangt, verstummte er ganz und ging leise an der Mauer des Kirchhofs der Saints Innocens hin; als er ungefähr Dreiviertel derselben zurückgelegt hatte, wendete er sich plötzlich, ging quer über die Straße, blieb vor einer niedrigen Tür stehen und that drei leise Schläge daran. Er schien erwartet worden zu sein, denn man antwortete ihm so gleich:

»Seid Ihr es, Meister Ludwig?«

Auf seine bejahende Antwort öffnete sich behutsam die Tür und schloss sich sogleich hinter ihm.

In dem Hause blieb die Person, die wir hier Meister Ludwig nennen hören, stehen, steckte das Schwert wieder in die Scheide, warf seinen Mantel über der Führerin Arm und erschien in einem einfachen, aber eleganten Kleide. Sein Anzug war der eines Stallmeisters aus gutem Hause, es bestand aus einem Barett von schwarzem Samt und einem Wams von demselben Stoff und gleicher Farbe; die Ärmel waren vom Handgelenke bis zur Schulter aufgeschlitzt und ließen enganliegende grüne Unterärmel sehen; ein enganliegendes Beinkleid von violettem Zeuge vollendete den Anzug. Auf dem einen Schenkel trug er ein Wappen mit drei goldenen Lilien und darüber eine herzogliche Krone.

Als Meister Ludwig sich von dem Mantel befreit sah, widmete er, obgleich er weder Licht noch Spiegel hatte, einige Augenblicke seiner Toilette, und erst, nachdem er sein Collet glatt gezogen und sich die Haare aus der Stirn gestrichen hatte, dass sie glatt und anmutig auf die Schultern herabfielen, sagte er in leichtem Tone:

»Guten Abend, Amme Jehanna; Ihr seid eine gute Wächterin, ich danke. Was macht Eure junge Gebieterin?«

»Sie wartet Eurer!«

»Es ist gut, hier bin ich. In ihrem Kämmerlein, nicht wahr?«

»Ja, Meister.«

»Ihr Vater?«

»Schläft.«

»Gut!«

Die Spitze seines Schnabelschuhes traf in diesem Augenblicke die erste Stufe der Wendeltreppe, welche in die oberen Stockwerke des Hauses führte, und obgleich es ganz dunkel war, stieg er die Treppe mit einer Leichtigkeit hinauf, welche zeigte, dass er hier bekannt sei. Im zweiten Stockwerk angelangt, sah er durch eine angelehnte Tür einen Lichtstrahl fallen; so gleich näherte er sich, drückte sie vollends auf und befand sich in einem Gemache, dessen Geräte den Mittelstand verrieten.

Der unbekannte war auf den Zehen und unbemerkt eingetreten, und konnte so einen Augenblick das anmutige Gemälde betrachten, das sich ihm darbot.

Neben einem Säulenbett mit Gardinen von grünem Seidenzeuge kniete ein junges Mädchen vor einem Betpulte; sie trug ein langes weites Gewand, dessen bis zur Erde herabhängende Ärmel schön gerundete Arme und zarte weiße Hände erblicken ließen, auf denen in diesem Augenblicke ihr Haupt ruhte; ihre langen, blonden Haare fielen in gefälligen Ringeln über die Schultern bis zu dem Boden. In ihrer ganzen Erscheinung lag etwas so Einfaches, so Himmlisches, so Ätherisches, dass man sie für ein Wesen aus einer andern Welt hätte halten können, wenn nicht unterdrücktes Schluchzen die Erdentochter verraten hätte, das Weib, das geboren und erschaffen ist, um zu leiden.

Als der Unbekannte diese Tränen hörte, machte er eine Bewegung, und das junge Mädchen sah sich um. Regungslos blieb er stehen, als er sie so traurig und blass erblickte.

Sie stand auf und näherte sich langsam dem schönen jungen Manne, den sie schweigend und verwundert kommen sah. Einige Schritte vor ihm blieb sie stehen und beugte ein Knie vor ihm.

»Was macht Ihr, Odette zu fügte er; »was bedeutet diese Stellung zu »Es ist die«, erwiderte sie traurig, »welche einem armen Kinde, wie ich bin, einem großen Prinzen, wie Sie, gegenüber, gebührt.«

»Träumt Ihr, Odette?«

»Wollte der Himmel, dass ich träumte, gnädiger Herr, und dass ich beim Erwachen wieder wäre, wie damals, ehe ich Euch sah, ohne Tränen im Auge, ohne Liebe im Herzen.«

»Meiner Treu, Ihr seid nicht gescheit, oder es hat Euch jemand eine Lüge angeheftet, kommt!« Bei diesen Worten umschlang er das junge Mädchen mit seinen Armen und zog es empor; sie aber beugte den Oberkörper zurück und wehrte ihn mit beiden Händen von sich ab, ohne sich jedoch von ihm frei machen zu können.

»Ich bin nicht verrückt, gnädiger Herr!« fuhr sie fort, »und Niemand hat mir eine Lüge gesagt. Ich sah Euch.«

»Und wo?«

Bei dem Zuge, als Ihr mit der Frau Königin spracht, und ich habe Euch wiedererkannt, obgleich Ihr sehr prachtvoll gekleidet war, Monseigneur.«

»Ei, Ihr täuscht Euch, Odette, irgend eine Ähnlichkeit führt Euch irre.«

»Ja, ich habe es auch glauben wollen und hätte es vielleicht auch geglaubt, aber ein anderer Herr kam und sprach mit Euch, und ich erkannte in ihm den, der vorgestern mit Euch hier war, den Ihr Euern Freund nanntet, und von dem Ihr mir sagte, er stände mit Euch im Dienste des Herzogs von Touraine.«

»Peter von Craon?«

»Ja, ich glaube, das ist der Name, den man mir nannte. Nach einer Pause fuhr sie dann traurig fort:

»Ihr habt mich nicht gesehen, Monseigneur, denn Ihr hattet nur Augen für die Königin, Ihr hörtet den Schrei nicht, den ich ausstieß, als ich ohnmächtig wurde und zu sterben glaubte, denn Ihr hörtet nur die Stimme der Königin, und das ist ganz natürlich, denn sie ist so schön! – Ach mein Gott, mein Gott!«

Bei diesen Worten brach das arme Kind abermals in einen Strom von Tränen aus.

»Nun gut, Odette«, sagte der Herzog, »was tut's, wer ich bin, wenn Du mich nur liebst?«

 

»Was das tut, Monseigneur?« sagte Odette, indem sie sich aus seinen Armen befreite. Was das tut, fragen Sie? Ich begreife Sie nicht.«

Wie erschöpft durch diese Anstrengung ließ sie den Kopf auf ihre Brust sinken und betrachtete dabei den Herzog.

»Und was wäre aus mir geworden«, sagte sie, »wenn ich, Euch für meines Gleichen haltend und in der Hoffnung, dass Ihr mich heiraten würdet, Euch nachgegeben hätte, als Ihr mich auf den Knien darum batet? Ihr hättet mich heut Abend tot gefunden. Ach, Ihr würdet mich aber bald vergessen haben: die Königin ist so schön!«

»Nun ja, Odette«, sagte der Herzog, »ich habe Dich getäuscht, indem ich Dir sagte, dass ich nur ein Stallmeister sei. Ich bin der Herzog von Touraine, es ist wahr.«

Odette stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Aber sag' mir«, fuhr der Herzog fort, »liebst Du mich nicht mehr, reich und glänzend, wie Du mich gestern sahst, als einfach, wie Du mich jetzt hier siehst?«

»Ich, gnädiger Herr, ich liebe Sie nicht, liebe Sie gar nicht.«

»Wie! Aber Du hast mir doch zwanzig Mal gesagt? –«

»Ich würde den Stallmeister Ludwig lieben«, fiel Odette ein, ich würde den lieben, der von gleichem Stande mit der armen Odette von Champsdivers ist; ich würde ihn lieben, dass ich lächelnd mein Blut und Leben für ihn hingäbe, und aus Pflicht täte ich dies auch für den Herrn Herzog von Touraine. Aber was machte mit meinem Leben, meinem Blute der edle Gemahl der Madame Valentine von Mailand, der galante Ritter der Königin Isabelle von Bayern?«

Der Herzog wollte etwas antworten, als die Amme ganz bestürzt herein trat. »Ach, mein armes Kind«, sagte sie auf Odette zueilend, »was wollen sie mit Dir anfangen?«

»Wer denn?« fragte der Herzog.

»Ach, Meister Ludwig, man will. Odette holen.«

»Und wohin?«

»An den Hof.«

Der Herzog runzelte die Stirn.

»An den Hof?« Er sah Odette an. – »Und wer lässt sie holen, wenns Euch gefällig ist?« fragte er mit misstrauischem Blicke auf Jehanna.

»Madame Valentine von Mailand.«

»Meine Frau?« rief der Herzog verwundert.

»Seine Frau?« wiederholte Johanna voll Staunen,

»Ja, seine Gemahlin«, sagte Odette, indem sie die Hand auf die Schulter ihrer Amme stützte. »Es ist der Bruder des Königs, den Du siehst. Er hat eine Gemahlin, und lachend wird er ihr gesagt haben: da in der Straße la Ferronnerie, dem Kirchhofe der Saints Innocens gegenüber wohnt ein armes Mädchen, das mich alle Abende bei sich sieht, während ihr alter Vater – o, es ist wunderbar, wie sie mich liebt!« – Odette lachte bitter; »das hat er ihr gewiss gesagt, und jetzt will sie mich sehen.«

»Odette«, fiel der Herzog heftig ein, »ich will sterben, wenn dem so ist! Hunderttausend Livres hätt' ich im Spiel verlieren wollen, wenn das nicht so gekommen wäre! Ich schwöre es Dir, dass ich nicht weiß, wer mein Geheimnis entdeckte, aber wehe Jedem, der mich hintergangen hat!« – Er machte eine Bewegung, sich zu entfernen.

»Wohin wollen. Sie gehen, Monseigneur?« fragte Odette.

»Niemand in meinem Hôtel hat das Recht, Befehle zu erteilen, als ich allein, und ich will den Leuten, die unten sind, gebieten, sich auf der Stelle zu entfernen.«

»Ihr seid Herr, zu tun, was Ihr Monseigneur; aber diese Leute werden Euch erkennen und Madame Valentine sagen, dass Ihr hier seid was sie jetzt vielleicht noch nicht weiß; sie würde mich für strafbarer halten, als ich jetzt noch bin, und dann wär' ich rettungslos verloren.«

»Aber Du gehst nicht nach dem Hôtel Touraine?«

»Im Gegenteil, Monseigneur, ich muss es. Ich werde Madame Valentine sehen, und wenn sie nur noch Verdacht hat, gesteh' ich ihr alles. Dann fall' ich ihr zu Füßen, und sie wird mir verzeihen. Euch, Monseigneur, wird sie auch verzeihen, und Eure Freisprechung wird leichter zu erlangen sein, als die meinige.«

»Thu', was Du willst, Odette«, sagte der Herzog, »Du hast stets Recht und bist ein Engel.«

Odette lächelte traurig und gebot Jehanna durch ein Zeichen, ihr einen Mantel zu geben.

»Und auf welche Weise willst Du nach dem Hôtel kommen?« fragte der Herzog.

»Die Leute haben eine Sänfte bei sich«, erwiderte Johanna, indem sie Odette den Mantel um hing.

»Auf jeden Fall wach' ich über Dich«, sagte der Herzog,

»Gott hat es schon getan, Monseigneur«, erwiderte sie, »und ich hoffe, er wird es auch ferner tun.«

Bei diesen Worten grüßte sie den Herzog mit Ehrfurcht und Würde, und ging die Treppe hin ab. »Hier bin ich, meine Herren«, sagte sie zu den Männern, die ihrer warteten. »Ich stehe zu Euerm Befehl; führt mich, wohin Ihr wollt.«

Der Herzog blieb einen Augenblick schweigend und regungslos an der Stelle, wo Odette ihn verlassen hatte. Dann eilte er aus dem Gemache und die Treppe hinab. An der Haustür blieb er einen Augenblick stehen, zu sehen, welche Richtung die Leute mit der Sänfte eingeschlagen hätten. Er sah fiel zwischen zwei Fackeln der Rue Saint Honoré zuführen und lief hierauf durch die Rue Saint Denis, dann durch die Rue aux Fers und gelangte durch die Kornhalle zeitig genug nach dem Hôtel Touraine, um den Zug am äußersten Ende der Rue des Etuves zu erblicken. Überzeugt, dass er ihr um einige Minuten zuvorgekommen war, kehrte er durch die erwähnte Seitentür in den Palast zurück, erreichte sein Gemach, warf sich hastig in andere Kleider, und eilte in ein Kabinett, das an das Schlafgemach der Madame Valentine grenzte, und von wo aus er alles sehen konnte, was in deren Zimmer vorging. Madame Valentine ging, wie es schien, etwas mit Ungeduld erwartend, im Zimmer auf und nieder; beim geringsten Geräusch wendete sie den Blick der Eingangstür zu, und ihre schönen schwarzen Augenbrauen, die einen regelmäßigen Bogen bildeten, wenn ihr Gesicht ruhig war, zogen sich voll Heftigkeit zusammen. Sie war reich und sehr zu ihrem Vorteil gekleidet; dennoch ging sie von Zeit zu Zeit vor einen Spiegel und zwang ihr Gesicht zu einem Ausdruck der Sanftmut, welche sonst den Hauptcharakter ihrer Züge bildete. Dann ordnete sie etwas an ihrem Kopfputze, denn sie wollte doppelt das Mädchen vernichten, das es wagte, ihre Nebenbuhlerin zu sein: sowohl durch ihre Würde und ihren Rang, als durch den Glanz ihrer Schönheit.

Endlich hörte sie wirklich ein Geräusch in ihrem Vorgemache, blieb horchend stehen, legte eine Hand an die Stirn und suchte mit der andern einen Stützpunkt auf der Lehne eines geschnitzten Sessels; denn ihre Augen verdunkelten sich und sie fühlte ihre Knie zittern. Endlich öffnete sich die Tür und ein Diener meldete, dass das junge Mädchen, welches die Herzogin zu sehen verlangte, draußen warte. Die Herzogin gab ein Zeichen, dass sie zu ihrem Empfang bereit sei.

Odette hatte im Vorzimmer ihren Mantel gelassen und erschien daher in dem einfachen Anzug, den wir bereits beschrieben haben, ihre langen Haare jedoch hatte sie geflochten, und so fielen sie ihr über die Brust bis auf das Knie herab. Sie blieb an der Tür stehen, die sich hinter ihr wieder schloss.

Die Herzogin blieb stumm und regungslos vor dieser weißen und reinen Erscheinung stehen; sie staunte, das junge Mädchen, von dem sie sich ohne Zweifel einen andern Begriff gemacht hatte, so bescheiden und würdig zu sehen. Endlich fühlte sie, dass sie zuerst sprechen müsse und sagte mit zittern der Stimme: »Tritt näher!«

Odette trat mit niedergeschlagenen Augen, doch ruhiger Stirn näher; drei Schritte vor der Herzoginnen ließen sie sich auf ein Knie nieder.

»Du bist es also«, fuhr Madame Valentine fort, »die mir die Liebe Monseigneur's entziehen will, und die nun glaubt, Du dürftest nur vor mir niederknien, um meine Verzeihung zu er langen?«

Odette erhob sich lebhaft, und brennende Röte überzog ihr Gesicht.

»Ich beugte ein Knie, Madam«, sagte sie, »nicht, damit Ihr mir verzeihen solltet, denn, Dank sei es dem Himmel, ich habe mir gegen Euch nichts vorzuwerfen. Ich beugte ein Knie, weil Ihr eine große Prinzess seid und ich nur ein armes Mädchen bin; jetzt aber, da ich Eurem Range die Ehre erzeugt habe, spreche ich aufrecht mit Euch. Eure Hoheit wollen mich befragen, und ich bin bereit zu antworten.«

Madame Valentine war auf diese Ruhe nicht gefasst; sie begriff, dass nur die Unschuld sie zeigen oder die größte Frechheit sie erheucheln konnte. Sie sah die schönen lichtblauen Augen, durch die man bis auf den Grund ihres Herzens blicken zu können schien, und fühlte, dass dieses Herz rein sein müsse, wie das der Heiligen Jungfrau. Die Herzogin von Touraine war gut; das erste Gefühl italienischer Eifersucht, das sie handeln und sprechen ließ, verschwand, sie reichte Odette die Hand und sagte mit unbeschreiblicher Sanftmut der Stimme: »Komm!«

Dieser Wechsel im Ton und Wesen der Herzogin brachte bei dem armen Mädchen eine plötzliche Umwandlung hervor. Sie hatte sich gegen den Zorn, aber nicht gegen die Milde gewaffnet. Sie nahm die Hand der Herzogin und heftete ihre Lippen darauf.

»Ach«, sagte sie schluchzend, »ich schwöre es Euch, es ist nicht meine Schuld. Er kam zu meinem Vater als ein einfacher Stallmeister des Herzogs von Touraine, unter dem Vorwand, Pferde für seinen Gebieter zu kaufen. Ich sah ihn! Er ist so schön! Ich betrachtete ihn ohne Arg, denn ich hielt ihn für Meinesgleichen. Er trat zu mir und redete mich an. Nie hatte ich eine so sanfte Stimme gehört, oder höchstens in meinen Kinderträumen, als noch die Engel zu mir herabstiegen. Ich wusste nichts, weder dass er verheiratet, noch dass er Prinz, noch dass er Herzog sei. Hätt' ich gewusst, dass er Euer Gemahl sei, hätt' ich Euch so schön und prächtig gekannt, als Ihr seid, dann hätt' ich gleich gesehen, dass er sich nur über mich lustig mache, aber jetzt hab' ich alles gesagt: er hat mich nie geliebt – und ich – lieb' ihn nicht mehr!«

»Armes Kind«, sagte Valentine, sie betrachtend, »armes Kind, das Du sagst, ihn geliebt zu haben, und nun glaubt, ihn vergessen zu können!«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn vergessen würde«, erwiderte Odette traurig, »nur dass ich ihn nicht mehr lieben würde; denn man kann nur seines Gleichen lieben, man kann nur einen Mann lieben, dessen Weib man werden kann. Ach, gestern, gestern, als ich ihn bei dem prächtigen Zuge und in der funkelnden Kleidung erblickte; als ich Zug für Zug den Ludwig, den ich für den meinigen hielt, als Ludwig Herzog von Touraine er kannte, der Euch gehört, ach, da glaubt' ich, das schwör' ich Euch zu, dass ein böser Zauber auf mir laste, und dass meine Augen mich täuschten. Er sprach, und ich hörte auf zu atmen und zu leben, um zu hören. Es war eine Stimme. Er sprach mit der Königin. Ach, die Königin!«

Odette zitterte krampfhaft, und die Herzogin erbleichte.

»Hasst Ihr nicht die Königin?« fügte Odette mit einem Schmerz hinzu, der sich unmöglich beschreiben lässt.

Madame Valentine drückte lebhaft ihre Hand auf den Mund des jungen Mädchens.

»Still, Kind«, sagte sie; »Madame Isabelle ist unsere Herrin. Gott hat sie uns zu unserer Gebieterin gegeben, und wir müssen sie lieben.«

»Das sagte mir mein Vater auch«, erwiderte Odette, »als ich gestern sterbend nach Haus kam und ihm gestand, dass ich die Königin nicht liebte.«

Die Augen der Herzogin hefteten sich auf Odette mit dem lebhaftesten Ausdruck der Sanftmut und Güte. In diesem Augenblicke erhob das junge Mädchen schüchtern den Blick; ihre Augen trafen sich, die Herzogin öffnete ihre Arme, Odette sank ihr zu Füßen und küsste ihre Knie.

»Jetzt hab' ich Dir nichts mehr zu sagen«, sagte Madame Valentine. »Versprich mir, ihn nicht mehr zu sehen, das ist alles.«

»Das kann ich Euch leider nicht versprechen, Madame, denn der Herzog ist reich und mächtig, und wenn ich in Paris bleibe, kann er bis zu mir dringen, und wenn ich mich von hier entferne, mich verfolgen; ich darf Euch daher nicht versprechen, ihn nicht wiederzusehen. Aber ich kann Euch schwören, zu sterben, wenn ich ihn gesehen habe.«

»Du bist ein Engel«, sagte die Herzogin, »und ich würde einiges Glück auf dieser Welt hoffen, wenn Du mir verspricht, für mich zu Gott zu beten.«

»Gott für Euch bitten, Madame! Seid Ihr nicht eine jener glücklichen Prinzessinnen, deren Pate eine gütige Fee war? Ihr seid jung, schön, mächtig, und es ist Euch erlaubt, ihn zu lieben.«

»Dann bete zu Gott, dass er mich liebe.«

»Ich werde es versuchen«, sagte Odette.

Die Herzogin nahm eine kleine silberne Pfeife, die auf dem Tische lag, und pfiff. Bei diesem Rufe erschien derselbe Diener, welcher Odette eingelassen hatte, und öffnete die Tür.

 

»Führe dies junge Mädchen nach ihrer Wohnung zurück«, sagte die Herzogin, »und behüte sie vor jedem Unfall. Odette«, fügte sie hinzu, »bedürftest Du jeder Hilfe oder Unterstützung, so komm zu mir.« Dabei reichte sie ihr die Hand, wie einer Schwester.

»Ich werde jetzt nur noch wenig in der Welt bedürfen«, sagte sie, »aber gewiss denk' ich an Euch, auch ohne dass ich Eurer Hilfe bedarf.«

Sie neigte sich vor der Herzogin und ging.

Allein geblieben, setzte sich Madame Valentine, ihr Haupt sank auf die Brust, sie verfiel in tiefes Sinnen. Schon hing sie so ihren Gedanken einige Minuten nach, als die Tür des Kabinettes sich leise öffnete. Der Herzog trat ein, ohne gehört zu werden, näherte sich seiner Gemahlin, ohne dass sie ihn bemerkte, und stützte sich auf die Lehne des Stuhles, auf dem sie saß. Als er nach einigen Augenblicken sah, dass sie ihn noch immer nicht gewahrte, nahm er eine prachtvolle Perlenschnur vom Halse, hielt sie über das Haupt der Herzogin, und ließ sie auf deren Schultern hinabfallen. Valentine stieß einen Schrei aus, erhob das Haupt und sah den Herzog.

Der Blick, den sie auf ihn warf, war ausdrucksvoll und forschend, aber er hatte sich darauf vorbereitet und hielt ihn lächelnd aus, als wüsste er von dem Vorgefallenen nichts; ja noch mehr, als die Herzogin das Haupt senkte, fasste er sie unter das Kinn, hob ihr den Kopf in die Höhe, drückte ihn sanft hinten über, und zwang sie so, ihn noch einmal anzusehen.

»Was wollt Ihr von mir, Monseigneur?« sagte Valentine.

»Es ist wahrlich eine Schande für den Orient« sagte der Herzog, indem er die Perlenschnur, die er seiner Frau geschenkt hatte, nahm und ihr leise damit die Lippen trennte. »Das ist eine Schnur, die mir der König von Ungarn, Sigismund von Luxemburg, wie ein wahres Wunder schickt. Er glaubt mir ein kaiserliches Geschenk zu machen, und ich habe weißer, schönere Perlen, als die seinigen.«

Valentine seufzte, aber der Herzog schien es nicht zu bemerken.

»Wisst Ihr wohl, meine schöne Herzogin«, sagte er, »dass ich nichts gesehen habe, was Euch gleich käme, und dass ich ein glücklicher Mensch bin, einen solchen Schatz von Schönheit zu besitzen. Vor einigen Tagen rühmte mir mein Oheim von Berry so laut, die schönen Augen der Königin, die ich bis dahin noch nicht bemerkt hatte, dass ich gestern die Nähe, in die mein Rang mich zu ihr führte, benutzte, sie zu betrachten.«

»Nun, und?« sagte Valentine.

»Nun, und – ich erinnerte mich, zwei Augen gesehen zu haben – freilich weiß ich nicht mehr genau wo, – welche keck den Vergleich mit denen der Königin aushalten können. Seht mich jetzt an – ja – so. Es war in Mailand, wo ich sie sah, im Palaste des Herzogs Galeas. Sie glänzten unter den schönsten schwarzen Augenbrauen, welche je der Pinsel eines italienischen Malers einem Gesichte verlieh. Sie gehörten einer gewissen Valentine an, welche die Frau eines gewissen Herzogs von Touraine geworden ist, der, wie man eingestehen muss, ein solches Glück nicht verdiente.«

»Und glaubt Ihr, dass dies Glück, ihm sehr groß scheint?« sagte Valentine, indem sie ihn mit einem Ausdruck der Liebe und Traurigkeit ansah. Der Herzog ergriff ihre Hand und legte sie auf sein Herz; Valentine wollte sie ihm entziehen; der Herzog hielt sie zwischen den einigen zurück, zog einen brillanten Ring vom Finger und steckte ihn seiner Gemahlin an.

»Was soll der Ring?« fragte Valentine.

»Er gehört Euch von Rechtswegen, meine schöne Herzogin«, erwiderte der Herzog, »denn Ihr seid es, durch die ich ihn gewann. Ich muss Euch das erzählen.«

Der Herzog verließ hierbei den Platz hinter dem Sessel seiner Gemahlin, den er bis jetzt inne gehabt hatte, nahm ein Tabouret, setzte sich zu ihr und stützte seine Arme auf die ihres Lehnstuhls. »Ja, gewonnen«, wiederholte er, »und zwar von dem armen Coucy.«

»Wie das?«

»Ihr müsst wissen, und ich rate Euch, ihm Euern Zorn zu bewahren, dass er behauptete, ein Paar Hände gesehen zu haben, die fast ebenso schön gewesen wären, wie die Eurigen.«

»Und wo hat er sie gesehen?«

»Als er ein Pferd kaufen wollte in der Rue la Ferronnerie.«

»Und bei wem?«

»Bei der Tochter eines Pferdehändlers.«

Ihr fühlt wohl, dass ich die Möglichkeit leugnete. Er verteidigte, was er aus Eigensinn behauptete, so dass wir zuletzt wetteten, er diesen Ring und ich dies Perlenhalsband.«

Valentine sah den Herzog an, als wolle sie in dem Grunde seiner Seele lesen; er aber fuhr fort:

»Ich verkleidete mich hierauf als Stallmeister, dies Wunder zu sehen; ich ging zu dem alten Champ-Divers, und kaufte für einen wahnsinnigen Preis die beiden schlechtesten Gäule, welche je ein Ritter, der eine Herzogskrone trägt, zur Strafe seiner Sünden bestiegen hatte. Ich sah aber auch die Göttin mit den weißen Armen, wie der göttliche Homer gesagt haben würde. Man muss gestehen, Coucy war kein so großer Narr, wie ich anfangs glaubte; es ist ein Wunder, wie eine so schöne Blume in einem solchen Garten wachsen kann. Indessen, meine schöne Herzogin, erkannte ich mich nicht für besiegt; im Gegenteil verteidigte ich die Ehre der Dame meines Herzens. Coucy blieb bei seiner Behauptung. Kurz, wir gingen zu dem König, diesen um die Erlaubnis zu einem Kampfspiel zur Entscheidung unseres Streites zu bitten, aber es wurde ausgemacht, dass Peter von Graon, ein ausgezeichneter Richter in dieser Sache dieselbe entscheiden solle. Wir gingen, ich glaube es war vor drei Tagen, mit einander zu dem schönen Kinde und bei meiner Ehre, Craon ist ein vor trefflicher Richter, denn Ihr seht den Ring an Eurem Finger. Was sagt Ihr zu dieser Geschichte?«

»Dass ich sie schon kannte«, sagte Valentin, indem sie ihn wieder zweifelnd ansah.

»So?« fragte der Herzog, »wie denn das? Coucy ist ein zu galanter Ritter, als dass er eine solche Mitteilung hätte machen können.«

»Auch erfuhr ich es nicht von ihm.«

»Von wem denn?« sagte Ludwig mit dem Tone erzwungener Gleichgültigkeit.

»Von Eurem Kampfrichter!«

»Von Messire Peter Craon? So!«

Der Herzog zog die Stirn in düstere Falten, seine Zähne schlugen auf einander, aber sogleich sagte er gefasst:

»Ja, Peter weiß, dass ich ihm sehr gewogen bin, und da hat er ohne Zweifel auch Eure Gunst erlangen wollen. Vortrefflich! – Aber findet Ihr nicht, dass es schon sehr spät ist, von solchen eitlen Dingen zu plaudern? Bedenkt, dass der König uns morgen zum Frühstück erwartet, dass dann ein Kampfspiel folgt, in welchem ich mit meiner Lanz beweisen will, dass Ihr die Schönste seid, und da dort Peter von Craon nicht mein Kampfrichter ist. Bei diesen Worten ging der Herzog zur Tür und schob den hölzernen, mit Samt bekleideten und mit goldnen Lilien geschmückten Riegel vor, der bestimmt war, sie von innen zu verschließen. Valentine folgte ihm mit den Augen, und als er zu ihr zurückkehrte, stand sie auf und schlang ihre Arme um seinen Hals.

»Ach, Monseigneur«, sagte sie, »Ihr seid sehr strafbar, wenn Ihr mich täuscht.«