Isabelle von Bayern

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V.

Als alle diese Feste und Turniere beendigt waren, dachte der König an die Regierung und Verwaltung seines Reiches. Nach außen herrschte vollkommener Friede, und Frankreich konnte einen Augenblick in der Mitte seiner Verbündeten ausruhen. Im Westen war dies der Herzog Galeas Visconti, den die Vermählung der Madame Valentine durch den Herzog von Touraine mit dem Hause der Lilien vereinigte; im Süden war es der König von Arragonien, dem König von Frankreich durch seine Gemahlin, Madame Jolande von Bar, verwandt; im Osten war es der Herzog von Bretagne, ein unruhiger, ungehorsamer Vasall, der sich aber noch nicht zum Gegner erklärt hatte; im Norden endlich war es England, der älteste und tödlichste Feind Frankreichs, welches aber in seinem Busen die Keime des Bürgerkrieges fühlte, und deshalb seinen Hass schlummern ließ, indem es zugleich wie eine Gunst den dreijährigen Waffenstillstand gewährte, den es selbst als eine Gnade hätte erbitten sollen. Die Provinzen allein forderten also jetzt die Aufmerksamkeit des Königs, nahmen diese aber auch dringend in Anspruch. Languedoc und Guyenne waren allmählich durch die Verwaltungen der Herzöge von Anjou und von Berry an Gold und Blut erschöpft und streckten ihrem jungen Monarchen die abgemagerten Hände flehend entgegen. Messire Johann Lemercier und der Sire Wilhelm von La Rvière, die vertrautesten Räte des Königs, ermahnten diesen seit längerer Zeit, die fernen Provinzen seines Reiches zu besuchen. Er bestimmte sich endlich dazu, und der Aufbruch wurde für das nächste Michaelisfest (29. September 1389) festgesetzt. Die Reise sollte über Dijon und Avignon gehen, und es wurden daher der Herzog von Burgund und der Papst Clemens von der nahen Ankunft des Königs unterrichtet.

Am festgesetzten Tage brach Karl von Paris auf, begleitet von dem Herzoge Ludwig von Touraine, dann Sire von Coucy und noch vielen andern Rittern. In Chatillon-sur-Seine traf er mit dem Herzoge von Burgund und dem Grafen von Nevers zusammen, welche ihm entgegen gekommen waren, ihm eine Ehre zu erzeigen. In Dijon fand er die Herzogin von Burgund, welche sich aus den Frauen und Fräuleins einen Hofstaat gebildet hatte, von denen sie wusste, dass sie dem König angenehm seien. Es waren die Frau von Sully, Fräulein von Nevers, die Dame von Vergy und noch andere Knospen, an den Stämmen der edelsten Familien Frankreichs erblüht. Es fanden hier zehn Tage lang Festlichkeiten statt, worauf der König sich nach lebhaftem Danke an seine Tante und nach reichen Geschenken an die Damen seines Hofes beurlaubte. Der Herzog bestieg eine große Barke, fuhr die Rhone hinab, und traf fast zu gleicher Zeit mit dem König in Avignon ein.

Kennt ihr Avignon, die Heilige Stadt, die jetzt so traurig und öde ist, wie eine gestürzte Macht, und sich ewig in der Rhone spiegelt, um auf ihrer Stirn die päpstliche Tiara zu suchen? Es war damals die Courtisane Clemens des Siebenten.

Ein Großmeister des Maltheser-Ordens hatte ihre Taille mit einem Gürtel neuer Wälle umgeben7, Johann XXII, Benno XII, Clemens VI., Urban V. beschenkten die Stadt mit dem päpstlichen Palaste, und der heilige Benezent mit ihrer Wunderbrücke. Sie hatte einen vergoldeten Hof ausschweifender Kardinäle und weltgesinnter Äbtissinnen, welche am Tage in einer Atmosphäre lebten, die durch den Weihrauch der Zeremonien und kirchlichen Feste gewürzt war, und Abends unter Wollustgefühlen bei den Gesängen Petrarca's und dem leisen Gemurmel des Springbrunnen von Vauclaufe einschliefen.

Philipp der Schöne war es, welcher die päpstliche Krone, die dem Haupte Bonifaz VIII. durch die Maulschelle Calonne's entfiel, aufhob und sie auf die Stirn Clemens VI. setzte. Um in seiner Hand und der seiner Nachfolger die geistliche Obergewalt mit der weltlichen zu vereinigen, fasste er den Riesenplan, Rom seiner katholischen Königs würde zu berauben, und Frankreich damit zu begaben. Avignon empfing den heiligen Gast vom Vatikan; die Rhone sah die Stellvertreter Christi die Hand ausstrecken, die bindet und löst, und die Franzosen hörten zum ersten Male den allgemeinen Segen urbi et orbi sprechen.

Aber ein großes Schisma hatte sich erhoben in der Kirche. Das im ersten Augenblicke erschreckte Rom hatte neuen Mut gefasst und hatte dem Altare den Altar gegenüber gestellt. Die christliche Welt hatte sich in zwei Parteien gespalten; die eine erkannte den Papst von Avignon als den rechtmäßigen, die andere leugnete, dass es einen anderen päpstlichen Stuhl geben könne als den, welchen Sankt Peter in Rom gestiftet. Die beiden Päpste, ihrerseits weit entfernt, in einem Kampfe müßig zu bleiben, der für sie von so mächtiger Bedeutung war, hatten sich zu Häuptern der großen zweifachen christlichen Streitmacht aufgeworfen, und sich gegenseitig in den Bann erklärend, richteten sie ihre Macht durch diese selbst zugrunde, und löschten unklugerweise das Feuer ihrer Bannstrahle aus, indem sie diese sich selbst gegenseitig ins Antlitz schleuderten.

In dieser großen Zwistigkeit, und je nachdem der Verbündete oder Feinde Frankreichs waren, haben die Völker wechselweise den Papst von Avignon und den von Rom anerkannt. Die Einzigen, welche jetzt das Knie vor Clemens VII. beugten, waren der König von Spanien, der König von Schottland, und der König von Aragonien; da sie dies indessen nur aus Rücksicht für den König von Frankreich taten, so war es den ein großes Fest für Clemens VI. den Monarchen bei sich zu sehen, der allein noch gegen die Ansprüche seines Nebenbuhlers verteidigte, und wenn er bei den Mahlzeiten und Festen, die er gab, sich an einer besonderer Tafel bedienen ließ und den Vortritt vor ihm nahm, so suchte er dieses Übergewicht des Altars über den Thron bald dadurch vergessen zu machen, dass er dem König die Ernennung zu 750 Pfründen für arme Priester seines Königreichs gewährte, und ihm das Recht zugestand, die Bischofssitze von Chartres und Auxerre zu besetzen, und endlich, indem er zum Erzbischof von Rheims den weiten Ferry-Cassinel ernannte, den der König seines besondern Schutzes würdigte und der einen Monat nach seiner Ernennung, vergiftet durch die Dominikaner, starb.

Der König von Frankreich verpflichtete sich, zum Danke für diese Gunst, ihm Hilfe und Beistand gegen den Antipapst zu gewähren, und sich nach der Rückkehr nach Frankreich tätig, und selbst durch die Gewalt der Waffen, damit zu beschäftigen, das bestehende Schisma zu zerstören.

Nachdem der König acht Tage in Avignon gewesen war, nahm er Abschied von Clemens und ging nach Villeneuve.

Dort dankte er seinen Oheimen, den Herzögen von Berry und Burgund, zu ihrem großen Erstaunen, für ihre gute Gesellschaft, und erklärte noch seinen Wunsch, der Eine möchte nach Dijon, der Andere nach Paris zurückkehren, während er selbst seinen Weg nach Toulouse fortsetzte, begleitet von den Herzögen von Touraine und von Bourbon.

Die beiden Oheime des Königs sahen nun erst ein, welches der wahre Zweck dieser Reise gewesen, und dass der König, indem er sie unternahm, nichts Andres beabsichtigte, als die eigenmächtige Verwaltung zu untersuchen, durch welche Languedoc ausgesogen war. Sie ließen bei ihm Messire von La Rivière und Lemercier, Montagne und Le Bégue de Villaine zurück, die sie als erfahrene strenge Männer kannten, die der Herzog für seine persönlichen Feinde hielt, und die doch in der Tat seinen Eigenmächtigkeiten feindlich gesinnt waren. Die beiden Herzöge verließen daher Villeneuve in sehr trüber Stimmung.

»Was denkt Ihr davon, mein Bruder?« sagte der Herzog von Berry zu dem Herzoge von Burgund, als sie die Stadt verließen.

»Ich denke«, sagte dieser, »dass unser Neffe jung ist, und dass es ihm Unglück bringen wird, auf jugendlichen Rat zu hören; für den Augenblick, aber müssen wir dulden. Es wird ein Tag erscheinen, an dem die, welche noch seinen jetzigen Weg leiten, es bereuen, und der König auch. Was uns betrifft, mein Bruder, so lasst uns in unser Vaterland zurückkehren. So lange wir vereint sind, kann uns Niemand etwas anhaben, denn nach dem König sind wir die Größten des Reiches.«

Den folgenden Tag kam der König durch Nismes, und ohne sich in dieser alten römischen Stadt aufzuhalten, nahm er sein Nachtquartier in Lunel. Am nächsten Tage blieb er zu Mittag in Montpellier, und hier begann er die Seufzer und Klagen zu vernehmen; man sagte ihm jedoch, je weiter er kommen würde, desto mehr würde er auch die Provinz zu Grunde gerichtet finden, und seine beiden Oheime, die Herzöge von Anjou und von Berry, die sie nach einander verwalteten, hätten sie so arm gemacht, dass die reichsten und mächtigsten Bewohner derselben kaum noch im Stande wären, ihre Weinberge und Felder bebauen zu lassen.

»Es wäre für Euch, Sire, ein großer Schmerz, zu sehen, wie Eure Kinder den Dritten, Vierten, Zwölften entrichten müssen und stets mit neuen Abgaben belastet werden, ehe sie noch die alten getilgt haben; denn die beiden Herren, Eure Oheime, haben zwischen der Rhone und Garonne eigenmächtig mehr als 30.000 Livre Abgaben erhoben. Herzog von Anjou hielt sich doch nur an die Reichen und Mächtigen, aber als der Herzog Berry ihm folgte, verschonte er weder Arme Reiche.«

Man fügte hinzu, dass alle diese Abgaben durch die Hände seines Schatzmeisters gingen, der von Béziers gebürtig war und Bétisac hieß; dass dieser noch da die Nachlese hielt, wo Herr geerntet hatte, und dem Volke selbst das ließ, was der Landmann den Vögeln des Himmels gewährt: die Ähre, welche vom Erntewagen herabfällt.

Auf diese Mitteilungen antwortete der König wenn Gott ihm seinen Beistand verleihe, so werden alle diese Bedrückungen enden; er würde gegen die Herzöge, seine Oheime, nicht mehr Rücksicht nehmen, als ob sie nicht die Brüder seines Vaters wären, und was ihre bösen Ratgeber und Helfershelfer beträfe, so würde er gegen dieselben parteiische und strenge Untersuchungen anstellen lassen.

 

Mitten unter Verwünschungen gegen seine Statthalter betrat der König die Stadt Béziers wo Bétisac war; er befahl jedoch Stillschweigen über die an ihn eingegangenen Klagen, und bemerkte öffentlich die drei oder vier ersten Tage seiner Ankunft den Festen, während er ins geheim sich nach Allem genau erkundigen ließ. Am vierten Tage berichteten ihm seine Bevollmächtigten, gegen den Schatzmeister seines Oheims befänden solche Anklagen, dass sie nicht zu verzeihen wären, da er die Todesstrafe verwirkt hätte.

Der Rat des Königs versammelte sich, und als er beisammen war, wurde Bétisac in seiner Wohnung verhaftet und vor seine Richter geführt. Diese zeigten ihm auf dem Tische eine Menge Papiere und Beweise für seine Vergehen und sagten: »Bétisac, hört und antwortet. Was habt Ihr gegen diese Beschuldigungen vorzubringen?«

Bei diesen Worten nahm ein Schreiber diese Papiere und las sie ihm einzeln vor; auf keines blieb er die Antwort schuldig. Die einen, nämlich die mit seiner Unterschrift versehenen, erkannte er wohl an, sagte aber, er habe nur nach den Befehlen des Herzogs von Berry gehandelt, und man solle deshalb seinen Gebieter befragen. Die andern leugnete er ab, indem er sagte:

»Ich habe keine Kenntnis davon; sprecht dar über mit dem Seneschals von Beauceire und von Carcasonne, oder mit dem Kanzler von Berry.«

Die Richter waren in großer Verlegenheit, in Erwartung neuer Beweise schickten sie ihn in das Gefängnis. Sobald er dahin abgeführt war, begaben sie sich in feine Wohnung, nahmen Papiere in Beschlag und untersuchten sie mit Muße. Man fand, dass solche Gewalttaten begangen worden, solche Summen erhoben waren, dass die, welche hörten, glaubten, die Andern läsen nicht richtig. Man ließ ihn hierauf neuerdings kommen, und er erkannte die Richtigkeit aller Rechnungen an, dass die Summen wahr wären, fügte aber hinzu, sie wären nur durch seine Hände gegangen und den Herzog von Berry abgeliefert worden, und zeichnete einen Ort seines Hauses, an welchem sich die richtigen Quittungen für alle Gelder finden würde. In der Tat wurden sie den Räten bracht, mit den Einnahmen verglichen und sie übereinstimmend gefunden. Sie betrafen eine Summe von beinahe drei Millionen.

Die Richter erstarrten vor Staunen über die Beweise von der Habgier des Herzogs von Berry.

Man fragte Bétisac, was sein Herr mit solchen ungeheuren Summen angefangen hätte.

»Meine Herren«, erwiderte er, »das kann ich nicht wissen; ich glaube jedoch, dass ein großer Teil zu Ankäufen von Burgen, Schlössern und Dörfern für die Herren Grafen von Boulogne und Etampe angewendet wurden; überdies hält er, wie Euch bekannt ist, glänzend Haus und schenkte so viel an Thibaut und Morinot, seine Diener, dass sie jetzt reich sind.«

»Und Ihr, Bétiac«, sagte ihm der Sire von La Rivière, »habt wohl auch 100 000 Franks als Euren Anteil an der Plünderung bekommen?«

»Messire«, erwiderte Bétiac, »der Herzog von Berry hatte seine Macht von dem König, ich die meinige von dem Herzog von Berry; ich war daher so gut wie vom König selbst beauftragt, und alle Abgaben, die ich erhob, sind rechtmäßig. Was da von mir blieb, geschah mit Bewilligung des Herzogs von Berry; dieser liebt es, dass seine Leute reich sind, und mein Reichtum ist daher gut und rechtlich, da er mir von ihm kommt.«

»Das ist töricht gesprochen«, erwiderte Messire Johann von Lemercier; kein Reichtum ist gut und rechtlich, wenn er durch schlechte Mittel erworben wurde. Kehrt in das Gefängnis zurück, während wir abwägen, was Ihr uns gesagt habt. Wir werden dem Könige Eure Verteidigungsgründe hinterbringen, und es wird geschehen, wie er es befiehlt.«

»Gott wolle ihn erleuchten!« sagte Bétisac, grüßte seine Richter, und wurde in das Gefängnis abgeführt.

Sobald die Nachricht sich im Lande verbreitete, dass Bétisac durch den König in den Kerker geworfen sei und gerichtet werden sollte, strömte das ganze Volk vom benachbarten Lande in die Stadt. Die Unglücklichen, die er ausgeplündert hatte, drangen mit Gewalt in den Palast des Königs, um Gerechtigkeit von ihm zu fordern. Verließ er denselben, so knieten sie an seinem Wege nieder und überreichten ihm Bittschriften und Klagen. Die einen waren Kinder, die er zu Waisen gemacht, die andern Witwen, die er ihrer Männer beraubt; noch andere endlich waren Mädchen, die er zu Müttern gemacht, und bei denen Gewalt angewendet wurde, wo Überredung nichts half. Alles hatte dieser Mann unter Taxe gesetzt: die Schätze, das Blut und die Ehre. Der König sah wohl, dass das Blut des armen Volkes laut um Rache gegen die Bedrücker schrie, und befahl, dass der Rat ein Urteil über ihn fällen sollte. Aber in dem Augenblicke, als die Richter versammelt waren, traten zwei Ritter ein; es waren die Sire von Nantouillet und von Mespin. Sie kamen im Namen des Herzogs von Berry, alles das zu billigen, was Bétisac unternommen hatte, und den König und dessen Räte aufzufordern, diesen Menschen in ihre Hände zu liefern, die Untersuchung aber, wenn es ihr Wille sei, gegen den Herzog zu richten.

Der Rat befand sich jetzt in großer Verlegenheit. Der Herzog von Berry konnte früher oder später die Herrschaft über den König wiedergewinnen, und in dieser Vermutung fürchtete Jeder, ihn unzufrieden zu machen. Auf der andern Seite waren die Bedrückungen und Verbrechen Bétisac's so unleugbar und schreiend, dass es Gott beleidigen hieß, wollte man ihn ungestraft aus dem Gefängnisse entlassen. Man machte zwar den Vorschlag, sein ganzes Vermögen einzuziehen und zum Vorteil der Armen zu verkaufen, wodurch er wieder so arm geworden wäre, wie er zu dem Herzoge von Berry kam; aber der König wollte keine halbe Gerechtigkeit. Er sagte, durch eine solche Wiedererstattung würden nur die befriedigt, die er beraubt hätte; für die Familien aber auf die er Tod und Schande gebracht, sei auch sein Tod und seine Schande zur Sühne nötig.

Während dieser Verhandlungen erschien ein Greis bei den Räten. Er hatte erfahren, worüber sie sich besprochen, und kam nur, dem König und den Untersuchungsrichtern den Vorschlag zu machen, Bétisac zu dem Geständnisse eines Verbrechens zu bringen, das nur ihn persönlich betreffe, so dass es der Herzog von Berry nicht auf seine Rechnung bringen könnte. Man fragte ihn, was dazu nötig sei, und er erwiderte: »mich in dasselbe Gefängnis zu bringen, in welchem Bétisac sitzt.«

Andere Erklärungen wollte er nicht geben, indem er behauptete, dass die Sache nur ihn anginge. Es geschah daher, wie er es verlangte. Wachen führten ihn öffentlich in das Gefängnis, der Schließer empfing feine Weisung, stieß den Neugekommenen zu Bétisac und schloss die Tür hinter ihm. Der Greis schien nicht zu wissen, dass das Gefängnis bereits einen Inhaber besitze, er tappte mit den Händen vor sich her, wie Jemand, der, plötzlich in Dunkelheit gestoßen, nicht sehen kann. Als er die Mauer des Kerkers erreicht hatte, setzte er sich nieder, den Rücken gegen die Wand gelehnt, zog die Knie an die Brust, stützte die Ellenbogen darauf, und legte den Kopf in die Hände.

Bétisac, dessen Augen sich seit acht Tagen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah den neuen Ankömmling mit der ganzen Neugier eines Menschen an, der sich in ähnlicher Lage befindet. Er machte eine Bewegung, dessen Aufmerksamkeit zu erwecken, aber der Greis blieb regungslos und wie in Träumerei versunken sitzen. Er richtete daher die Frage an ihn, ob er von außerhalb in das Gefängnis gekommen sei.

Der Greis erhob die Augen und erblickte in einer Ecke den, welcher fragte. Er lag auf den Knien in der Stellung eines Betenden. Dieser Mensch wagte zu beten. Der Greis schauderte, indem er sich so nahe bei dem erblickte, den zu verderben er versprochen hatte. Bétisac wiederholte seine Frage.

»Ja«, erwiderte der Greis kurz.

»Und womit beschäftigte man sich in der Stadt?« fragte Bétisac weiter, indem er sich gleichgültig stellte.

»Mit einem gewissen Bétisac«, erwiderte der Greis.

»Und was sagte man von ihm?« fragte der Schüchterne weiter, für den die Antwort so wichtig war.

»Man sagte, dass endlich Gerechtigkeit geübt und er gehängt werden sollte.«

»Mein Herr Jesus!« rief Bétisac, indem er aufsprang.

Der Greis ließ den Kopf wieder in die Hände sinken, und das Schweigen wurde nur durch den heftigen Atem dessen gestört, der die verhängnisvolle Nachricht empfangen hatte. Er blieb einen Augenblick regungslos stehen, aber bald versagten ihm die Beine den Dienst, er musste sich gegen die Mauer stützen, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nach einem kurzen Schweigen fuhr er mit gebrochener Stimme, und ohne seine Stellung zu verändern, fort:

»Heilige Maria ist denn keine Hoffnung für ihn?«

Der Greis blieb schweigend und regungslos, als hätte er die Frage nicht gehört.

»Ich frage Euch, ob keine Hoffnung mehr für ihn ist?« wiederholte Bétisac, indem er heftig auf den Greis zuschritt und ihn am Arme schüttelte.

»O ja«, sagte dieser ruhig, »ihm bleibt noch eine; dass der Strick reißt.«

»O mein Gott, mein Gott!« rief Bétisac, in dem er die Hände rang, »was soll ich tun? wer gibt mir einen Rat?«

»Ach«, sagte der Greis, indem er ihn mit finsterem Ausdrucke ansah, als wollte er sich keine Äußerung seiner Verzweiflung entgehen lassen, »so seid Ihr also der Mensch, den ein ganzes Volk verwünscht? Nicht wahr, die letzten Stunden eines solchen Lebens sind schwer zu ertragen?«

»Ach«, sagte Bétisac, »man nehme alles, mein Geld, mein Haus, meine Güter. Man werfe sie dem schreienden Volke hin, und lasse mir nur das Leben! Müsste ich es auch in diesem Kerker zubringen, gefesselt an Händen und Füßen, und ohne je das Tageslicht wieder zu erblicken. Aber das Leben, das Leben! Ich will leben!«

Der Unglückliche wälzte sich auf dem Boden wie ein Wahnsinniger. Der Greis sah ihm zu, und als er dann erschöpft war, sagte er: »und wer Euch nun einen Rat erteilte, der Euch aus Eurer Lage befreite?«

Bétisac erhob sich auf die Knie und sah den Greis an, als hätte er in dem Grunde seines Herzens lesen wollen.

»Was sagt Ihr?«

»Ich sage, dass Ihr mir Mitleid einflößet, und dass alles gut gehen wird, wenn Ihr meinem Rat folgen wollt.«

»O, sprecht! Ich bin reich – mein ganzes Vermögen –«

Der Greis lachte laut auf.

»So glaubst Du Dein Leben durch das zu erkaufen, was den Verlust desselben herbeizieht? Du wirst dann denken, Deine Schuld gegen die Menschen und gegen Gott abgetragen zu haben.«

»Nein, nein, ich werde noch immer ein großer Sünder sein. Ich weiß es, und bereue in der Bitterkeit meiner Seele. – Aber Ihr sagtet mir, dass Ihr ein Mittel wüsstet, – welches ist es?«

»Wenn ich an Eurer Stelle wäre, wovor mich Gott bewahre, so würde ich, wenn ich wieder vor dem Rat des Königs erschiene, fortfahren, alles zu leugnen.«

»Ja, ja«, sagte Bétisac,

»Aber ich würde sagen, dass ich ergriffen von Reue über ein anderes Verbrechen, zum Heile meiner Seele es zu gestehen wünschte. Ich würde sagen, dass ich lange Zeit gegen den Glauben mich verging, dass ich ein Manichäer und ein Ketzer wäre.«

»Aber das ist nicht wahr«, fiel Bétisac ein. »Ich bin ein guter Christ, und glaube an Jesus und die Jungfrau Maria.«

Der Greis fuhr fort, als hätte Bétisac nichts gesagt:

»Ich würde sagen, dass ich ein Manichäer und Keber wäre und noch immer auf meinem Glauben beharrte. Dann würde mich der Bischof von Béssieres vor sich fordern, denn ich verfiele dadurch dem geistlichen Gerichte; er würde mich zu dem Papste nach Avignon schicken, und da unser Heiliger Vater Clemens ein großer Freund des Herzogs von Berry ist –«

»Ich verstehe«, unterbrach ihn Bétisac. »Ja, ja, unser Herr von Berry wird nicht dulden, dass mir irgendein Leid zugefügt werde. Ha, Ihr seid mein Retter!«

Er wollte sich in die Arme des Greises stürzen, aber dieser stieß ihn zurück. In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür, und man kam, Bétisac abzuholen, um ihn wieder vor seine Richter zu stellen. Er glaubte, dass jetzt die paffende Zeit gekommen sei, die ihm geratene List anzuwenden. Er kniete nieder, bat um die Erlaubnis, zu sprechen, und als ihm dies gewährt worden war, sagte er:

»Edle Herren, ich habe mich mit meinem Gewissen beraten, und fürchte, Gott sehr beleidigt zu haben; nicht dadurch, dass ich das arme Volk aus plünderte, denn Gott sei Dank, ist es erwiesen, dass ich nur auf Befehl meines Gebieters handelte; – aber dadurch, dass ich mich gegen den Glauben verging.«

Die Richter sahen einander verwundert an.

 

»Ja«, fuhr Bétisac fort, »ja, ihr Herren, denn mein Verstand weigert sich, an die Dreieinigkeit zu glauben, so wie daran, dass der Sohn Gottes herabstieg auf die Erde, durch ein Weib geboren zu werden; von meiner Seele, glaub' ich, bleibt nach meinem Tode nichts übrig.«

Ein Murmeln des Staunens flog durch die ganze Versammlung. Der Sire Lemercier, welcher übrigens sein tödlichster Feind war, stand jetzt auf und sagte:

»Bétisac, denkt an das, was Ihr sprecht, denn Eure Worte beleidigen die heilige Kirche unsrer Mutter und verlangen Feuer. Überlegt daher, was Ihr sagt.«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Bétisac, »ob meine Worte Feuer verlangen oder Wasser; aber diese Meinung war die meinige, seit ich meiner selbst bewusst bin, und wird bis zum Tode mein eigen bleiben.«

Die Richter bekreuzigten sich hierauf, fürchteten für ihr eigenes Heil, wenn sie ihn noch länger anhörten, und ließen ihn in sein Gefängnis zurückführen. Als er dies betrat, ersuchte er den Greis, ihm zu sagen, was ihm begegnet sei, aber er war nicht mehr hier.

Was in der Seele dieses Menschen bis zum folgenden Tage vorging, ist nur Gott bekannt, doch hätte er am nächsten Tage leugnen können, dass er der Mensch des vergangenen sei. Gott hatte seine Stunden in Jahre verwandelt, denn in einer einzigen Nacht waren seine Haare erbleicht. Als der König die Aussage Bétisac's erfuhr, staunte er sehr über dessen Geständnis.

»Ha!« sagte er, »das ist ein schändlicher Mensch, Wir glaubten, er sei nur ein Dieb, und nun ist er gar ein Ketzer; Wir glaubten, er verdiene nur den Strick, und nun fordert er gar noch dazu den Scheiterhaufen. Gut, es sei, er soll verbrannt und gehängt werden. Und nun mag mein Oheim von Berry kommen, um seine Missetaten auf sich zu laden. Wir wollen sehen, ob er auch diese auf sich nimmt.«

Bald verbreitete sich das Gerücht von dem Geständnisse, das Bétisac abgelegt hatte, in der Stadt; überall sah man auf den Straßen Gruppen des Volkes, die laut ihre Freude äußerten, denn er wurde überall gehasst und verwünscht. Aber niemand staunte mehr über die unerwartete Nachricht, als die beiden Ritter, welche von dem Herzoge von Berry abgesendet worden waren, Bétisac zu reklamieren. Sie sahen, dass er verloren sei, und glaubten, dass er ein solches Geständnis nur auf den Rat eines Feindes abgelegt hätte, genug, es war aber geschehen, und der König hatte das Urteil gesprochen. Es blieb nur noch die Hoffnung, ihm am folgenden Tage leugnen zu machen, was er an diesem ausgesagt.

Sie eilten daher nach seinem Gefängnis, um mit ihm zu sprechen, aber der Schließer sagte, dass es ihm, so wie vier bewaffneten Bütteln, die zu diesem Zwecke her gesandt wären, im Namen des Königs und bei Verlust ihres Kopfes verboten sei, irgend Jemand mit dem Gefangenen sprechen zu lassen. Darauf kehrten die Ritter in ihr Gasthaus zurück, bestiegen ihre Pferde, und ritten wieder zu dem Herzoge von Berry, der sie abgesendet hatte.

Am folgenden Tage gegen zehn Uhr morgens holte man Bétisac aus seinem Gefängnisse ab. Als er sah, dass man ihn nicht vor den Rat des Königs führte, sondern zu dem bischöflichen Palaste, begann er neue Hoffnung zu schöpfen. Er fand die Inquisitoren des Königs und die Mitglieder der heiligen Kirche dort versammelt, und dies bewies ihm aufs Neue, dass die weltliche Gerechtigkeit mit der geistlichen in Konflikt gekommen sei. Der Bailli von Béssieres, der ihn bisher im Gefängnis gehalten hatte, sagte zu den Leuten der Kirche:

»Ehrwürdige Herren, hier ist Bétisac, dem wir Euch als Ketzer und Beleidiger des heiligen Glaubens überliefern. Fiele die Bestrafung seines Verbrechens der königlichen Gerechtigkeit anheim, so würde sie bereits erfolgt sein, aber durch seine Ketzerei gehört er dem geistlichen Gerichte an; tut daher mit ihm, was seine Werke verdienen.

Bétisac glaubte sich gerettet.

Der Official des Bischofs fragte ihn hierauf ob er ein so großer Sünder sei, wie man sagte; er sah, dass die Angelegenheit jetzt die Wendung nahm, die man ihm als günstig vorausgesagt hatte, und antwortete daher mit Ja. Hierauf ließ man das Volk eintreten und gebot Bétisac, dass er sein Geständnis vor demselben wiederhole; er tat dies drei Mal, so sehr hatte der Greis ihn berückt, und drei Mal empfing das Volk dies Geständnis mit dem Gebrüll, in welches der Löwe bei dem Geruche des Blutes ausbricht.

Der Official machte ein Zeichen, und Bétisac wurde den Händen der bewaffneten Büttel wieder überliefert, die ihn in die Mitte nahmen und ihm geboten, ihnen zu folgen, Das Volk eilte neben und hinter ihm die Stufen des Palastes herab, umgab und presste ihn, als fürchte es, dass er ihm noch entschlüpfen möchte. Bétisac glaubte, man führe ihn aus der Stadt, um ihn nach Avignon zu bringen. Am Fuße der Treppe fand er den Greis auf einem Steine sitzend; sein Gesicht zeigte den Ausdruck der Freude, den Bétisac günstig für sich auslegte. Er nickte ihm zu.

»Ja, ja, alles geht gut, nicht wahr?« sagte der Greis.

Er lachte, stieg auf seinen Stein, von welchem er die ganze Menschenmenge überragte, und rief Bétisac zu:

»Bétisac, vergiss nicht, wem du den Rat verdankst; ich bin es.«

Sogleich sprang er von dem Steine herab, und eilte mit einer Schnelligkeit, die sein Alter ihm zuließ, durch eine Seitenstraße nach dem Palast.

Bétisac wurde dahin durch die Hauptstraße gebracht, stets umgeben von der Menge, welche von Zeit zu Zeit in jenes wilde Gemurmel ausbrach, das man in unserer Zeit hinlänglich kennen gelernt hat. Der Schuldige erblickte hierin nur den Zornausdruck des Volkes, das sich seine Beute entschlüpfen sah, und er staunte, dass es ihn so ruhig aus den Mauern von Béssieres fortließ. Auf dem Platze vor dem Palaste angelangt, ertönte von dorther ein lautes Geschrei, dem die antworteten, die ihn begleiteten. Die Menge öffnete sich und drängte sich um die Mitte des Platzes; hier stand ein Scheiterhaufen, und auf demselben erhob sich ein Galgen, welcher gegen die große Straße seinen nackten Arm ausstreckte, an dessen Ende eine Kette mit einem eisernen Ringe herabhing. Bétisac sah sich plötzlich allein von seinen vier Wachen, umringt; denn jeder war bemüht gewesen, den besten Platz rings um den Holzstoß zu gewinnen.

Jetzt zeigte sich die nackte Wahrheit diesem Menschen, und sie trug die Gestalt des Todes.

»Ach, Herr Herzog von Berry!« rief er aus, »es ist um mich geschehen! zu Hilfe! zu Hilfe!«

Die Menge antwortete hierauf durch Geschrei der Verwünschung gegen den Herzog von Berry und seinen Schatzmeister. Der Verbrecher weigerte sich, weiter zu gehen; die vier Wachen nahmen ihn da her auf die Arme und trugen ihn vorwärts. Er sträubte sich, dass er kein Ketzer sei, dass er an den Mensch gewordenen Christus und die heilige Maria glaube. Er flehte Gott an, die Wahrheit seiner Worte zu bekräftigen; er bat das Volk um Gnade, aber nur lautes Gelächter antwortete ihm. Er bat den Herzog von Berry um Beistand, und jedes Mal antwortete bei einem solchen Rufe das Geschrei: zum Tode! zum Tode!

Endlich setzten die Kerkerknechte ihn am Fuße des Scheiterhaufens nieder, gegen einen der Pfeiler, welche die Barriere trugen. Der Greis lehnte dagegen.

»Ha, verwünscht!« rief Bétisac, indem er ihn erblickte, »du bist es, der mich hierher brachte. Meine Herren, meine Herren, ich bin nicht strafbar; da ist der Schändliche, der mich verlockt hat. Zu mir, meine Herren, zu mir!«

Der Greis lachte.

»Ei, du hast ein gutes Gedächtnis«, sagte er, »du vergisst die Freunde nicht, die dir einen guten Rat erteilen. Empfange noch einen letzten, Bétisac.«