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Der blaurote Methusalem

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»Man möchte allerdings seinen Augen nicht trauen,« antwortete der Methusalem. »Turnerstick war es; es ist kein Zweifel möglich. Wie aber ist er in diese lächerliche Lage gekommen? Pyramidale Blamage!«

»Dat is richtig. So eine Palankin-Spinde zu bezahlen und dennoch laufen, dieser Jedanke ist jrad so bodenlos wie die Sänfte selber. Ich habe mal einen Elefanten jesehen, welcher in ähnlicher Weise transportiert wurde. Bei so einem Tiere hat das seine Jründer, bei einem Menschen aber ist es jrundlos zu nennen.«

»Wer weiß, welche Dummheit er begangen hat. Wir werden es ja hören. Wollen uns beeilen, damit er nicht etwa im Zorne noch ärgeres unternimmt.«

Sie schritten schneller aus als bisher und nahmen sich nicht Zeit, auf die Aufmerksamkeit, welche sie erregten, zu achten. Glücklicherweise lag das Hotel in ziemlicher Nähe.

Hongkong hat keine guten Gasthäuser. Das Einkehrhaus gleichen Namens ist das einzige, welches einigermaßen die Bezeichnung Hotel verdient; aber es ist doch nur ein riesiger Kasten, in welchem man sich nicht wohl zu fühlen vermag. Die Zimmer sind ohne allen Komfort; alles andere läßt ebenso zu wünschen übrig, und dennoch hat man ganz außerordentliche Preise zu bezahlen.

Hongkong heißt bei den Chinesen Hiang-Kiang und ist eine bergige Insel, welche rechts vor dem Eingange des Mündungsgolfes des Tschu-kiang liegt. Es besitzt einen der besten Hafen des chinesischen Reiches und kann als das englische Gibraltar des Ostens angesehen werden. Die Hauptstadt ist Viktoria. Sie ist fast ganz europäisch gebaut, hat breite Straßen, schöne große Häuser, großartige Warenspeicher und elegante Villen. Derjenige, welcher chinesisches Leben kennen lernen will, wird sich hier nicht verweilen, sondern die erste Gelegenheit benutzen, nach Kanton zu gehen, was ja auch die Absicht des »blauroten Methusalem« war.

Als dieser mit seinen Begleitern das Hotel erreichte, hörten sie aus dem Innern die laute, zornige Stimme Turnersticks erschallen. Sie traten in die Restaurationsstube und sahen da den Kapitän, umgeben von dem Wirte, dessen in langen, blauen Gewändern steckenden Kellnern und mehreren Polizisten. Diese letzteren stammen meist aus Vorderindien, tragen dunkelblaue Uniformen und rote Turbane und sind mit kurzen Keulenstäben bewaffnet.

Diese Leute hörten die Erzählung des Seemannes an, konnten aber nichts verstehen, da er nicht dazu zu bringen war, englisch zu sprechen. Er war nun einmal darauf versessen, sein Chinesisch hören zu lassen, und da keiner von ihnen deutsch verstand, so konnten sie sich unmöglich in den vorgebrachten Unsinn finden. Darum war er froh, als er die drei Ankömmlinge erblickte. Er stieß die ihm im Wege stehenden beiseite, eilte auf den Methusalem zu und sagte:

»Es ist unerhört, wirklich unerhört! Erst zwingt man mich, in der wohlbezahlten Sänfte zu laufen, und dann, als ich mich darüber beschweren will, kann kein einziger dieser Eingeborenen chinesisch verstehen. Es ist geradezu zum Verzweifeln!«

»Sie irren sich, Kapitän, wenn Sie diese Leute für Eingeborene halten,« belehrte ihn der Angeredete. »Sprechen Sie doch englisch, so wird man Sie verstehen.«

»Englisch? Fällt mir gar nicht ein! Wenn ich mich in China befinde, so bediene ich mich der Sprache des himmlischen Reiches. Ich kann verlangen, daß man mich versteht, mich, einen Mandarin von achtzehnhundert Sapeken!«

»Sie sind noch nicht in China, sondern in England, Hongkong ist englische Besitzung.«

»Das weiß ich wohl; aber ich verlange, daß man auch hier sich meiner Sprachkenntnisse erfreue. Wissen Sie, was mir passiert ist?«

»Ja.«

»Nun, was?«

»Es hat Ihnen beliebt, in einer Portechaise Dauerlauf zu üben.«

»Beliebt? Wollen Sie mich auch noch foppen? Gezwungen hat man mich, hinterlistig gezwungen!«

»Und Sie haben sich nicht gewehrt?«

»Konnte ich mich etwa wehren?«

»Warum nicht?«

»Weil man mir den Kopf eingestoßen hätte, wenn ich nicht mitgelaufen wäre. Ich nahm vergnügt in der Sänfte Platz; da schwand der Boden unter mir, und ich geriet mit den Beinen in die Unterwelt. Das wäre noch gar nicht schlimm gewesen, denn der Boden konnte leicht wieder eingehakt werden; aber anstatt das zu thun, rannten die Kerls wie besessen von dannen, und mir blieb nichts anderes übrig, als mitzurennen.«

»Vielleicht haben die Leute gar nicht bemerkt, daß Sie aus dem oberen Stockwerke ins Parterre geraten waren?«

»Oho! Die haben es gar wohl gewußt. Ich wollte ja stehen bleiben; sie schoben aber aus Leibeskräften; ich bekam Stoß auf Stoß. Mein Kopf brummt mir noch jetzt wie eine Baßgeige; mein Rücken muß in allen Farben schillern, und in den Beinen habe ich eine Empfindung, als ob ich auf dem hohen Turmseile tanzte. Mir zittern alle achtundneunzig Glieder; es ist mir ganz schwindelig zu Mute, und der Schweiß marschiert mir in dicken Strömen und Kolonnen vom Leibe. Soll ich mir das gefallen lassen?«

»Sagen Sie mir vor allen Dingen, wo die beiden Kulis sind!«

»Wo die sind? Ja, wo sind sie denn? Ich weiß es nicht.«

»Aber gerade Sie müssen doch am besten wissen, wo sie sich befinden. Sie haben sich ja von ihnen tragen lassen.«

»Tragen lassen! Tragen lassen! Welch eine Schlechtigkeit von Ihnen! Ich sage Ihnen ja, daß ich nicht getragen, sondern gelaufen worden bin! Ich danke für dieses chinesische Reich, wo man hundert Li bezahlen muß, um Sänfte rennen zu dürfen! Das ging so atemlos rasch, daß ich gar keine Zeit fand, einen rettenden Gedanken zu fassen. Ich weiß nur noch, daß ich gebrüllt habe wie ein Tiger; aber geholfen hat es nichts, denn die Kerls verstanden kein Sterbenswort chinesisch. Und als sie endlich hier vor der Thür anhielten, so schütteten sie die Sänfte um, daß ich dick auf die Mutter Erde zu sitzen kam, und rannten von dannen. ‚Tsching leao‘ haben sie mir noch zugerufen. Was bedeutet das?«

»Es ist der chinesische Abschiedsgruß.«

»Danke für solchen Gruß! Ich bin natürlich sofort hier hereingegangen und habe nach Polizei und dem Staatsanwalt verlangt. Statt dessen aber kamen diese Blaukittels welche nichts thun, als die Mäuler aufsperren. Ist das etwa Zucht und Sitte?«

»Nein, jedenfalls geschieht es aus Bewunderung Ihrer Sprachkenntnisse.«

»Wenn das der Fall wäre, so wollte ich es mir gefallen lassen.«

»Leider scheinen diese braven Leute sich noch zu wenig mit der chinesischen Sprache beschäftigt zu haben. Man bedient sich hier vorzugsweise des Pitchenenglisch. Wollen Sie verstanden werden, so müssen Sie englisch sprechen.«

»Leider scheinen Sie da recht zu haben. Aber ist es nicht eine Schande, hier in Hongkong nicht verstanden zu werden? Freilich ist es gerade wie im Deutschen. Der Plattdeutsche kann den Hochdeutschen nicht verstehen, und weil ich nur das reinste Hochchinesisch mit eleganten Endungen spreche, so können sich diese Menschen nicht in meine Linguistik finden. Ich werde mich also des Englischen bedienen müssen, wenn ich Genugthuung haben will. Denn bestraft müssen die Halunken werden, exemplarisch bestraft. Man muß sie mir ausliefern. Ich transportiere sie auf mein Schiff und lasse sie da auspeitschen, daß sie für ewig und noch länger an mich denken sollen!«

Er hatte noch immer im zornigsten Tone gesprochen. Die Polizisten und Hotelbediensteten standen wartend da, neugierig, wie die Angelegenheit sich weiter entwickeln werde. War das Erscheinen des Kapitäns für sie ein ungewöhnliches gewesen, so doch noch viel mehr das Auftreten der drei studentisch gekleideten Personen. Sie wußten nicht, was sie aus denselben machen sollten, doch zeigten ihre respektvollen Mienen, daß sie keine geringe Meinung von ihnen hatten. Sie verstanden zwar nicht die Worte des Methusalem, aber der Ton, in welchem dieselben gesprochen wurden, und seine ernste, selbstbewußte Haltung imponierte ihnen.

Er hielt es für angezeigt, den Kapitän vor Weiterungen abzuhalten. Darum zog er ihn am Arme zur Seite und sagte zu ihm:

»Auf das Auspeitschen wollen wir doch lieber verzichten, mein lieber Freund.«

»Verzichten? Was fällt Ihnen ein! Wenn Sie mich um meine Satisfaktion bringen wollen, so brauchen Sie mich gar nicht Ihren ‚lieben Freund‘ zu nennen. Mein Freund ist nur derjenige, welcher in meinem Interesse handelt.«

»Das thue ich ja!«

»So? Inwiefern dient es denn zu meinem Wohle, wenn ich auf die Bestrafung dieser beiden Schlingels verzichte?«

»Insofern, als Sie dabei auf die Gelegenheit, sich abermals zu blamieren, verzichten.«

»Blamieren – — abermals? Habe ich mich denn schon blamiert?«

»Riesig sogar.«

»Oho, Herr Degenfeld! Wie kommen Sie mir vor! Wollen Sie mich beleidigen? Sie würden mich da zwingen, die Angelegenheit durch scharf geschliffene Säbels mit Ihnen auszumachen!«

»Das könnte für Sie nur eine schlimme Wendung nehmen, denn ich darf wohl sagen, daß man mich daheim für den besten Schläger hielt. Ihr hochgeehrtes sterbliches Gehäuse würde jedenfalls eine ebenso intime wie unliebsame Bekanntschaft mit meiner Klinge machen. Zu einem solchen Verfahren ist übrigens nicht der geringste Grund vorhanden, da ich es nicht bös, sondern herzlich gut mit Ihnen meine. Wenn Sie zweifeln, sich blamiert zu haben, so ist nur zu wünschen, daß Sie Zeuge des allgemeinen Aufsehens, welches Sie erregt haben, hätten sein können. Es sah doch gar zu absonderlich aus, Ihre Beine in so angestrengter Thätigkeit zu beobachten. Konnte doch ich selbst mich kaum des Lachens enthalten.«

»So! Also haben Sie mich gesehen?«

»Ja.«

»Und es fiel Ihnen nicht ein, mir zu helfen, mich aus dieser fatalen Lage zu befreien!«

»Natürlich hatte ich diese Absicht; aber ich konnte sie nicht ausführen, da Sie so außerordentlich schnell vorüber waren. Die Kulis haben unbedingt gewußt, daß der Boden der Sänfte offen war; es muß für sie also ein Grund vorhanden gewesen sein, sich so zu verhalten, als ob sie es nicht bemerkt hätten.«

 

»Natürlich! Die Kerls haben sich für die fünfzig Li, welche ich ihnen abzog, rächen wollen. Ich sollte nämlich hundertfünfzig bezahlen.«

»Ah! Und Sie haben nur hundert gegeben? Sie haben ihnen lumpige dreißig Pfennige abgezogen? War das eines Mandarins, der Sie doch sein wollten, würdig?«

»Etwa nicht?«

»Nein. Ein General geizt nicht mit fünfzig Li. Durch diese übel angebrachte Sparsamkeit haben Sie verraten, daß Sie weder Chinese noch Mandarin sind. Hätte man Sie für einen solchen Beamten gehalten, so hätte man es sicherlich nicht gewagt, Sie Sänfte wandeln zu lassen. Dringen Sie nun auf die Bestrafung dieser Leute, so wird das für Sie jedenfalls fatale Ereignis noch bekannter, als es jetzt ist; man wird Sie behördlicherseits auffordern, sich als Generalmajor zu legitimieren, und da Sie das nicht können, so dürften Sie in eine Lage kommen, die ich wenigstens mir nicht wünschen mag.«

Turnerstick fuhr sich mit beiden Händen hinter die Ohren, um sich da zu kratzen.

»Sapperlot!« brummte er. »Daran habe ich nicht gedacht. Soll ich etwa als Angeklagter vor diesen Tsching-Tschang-Tschongs stehen? Dazu habe ich freilich keine Lust. Lieber will ich die Halunken laufen lassen.«

»Das ist es eben, was ich Ihnen raten will. Sie meinten, es schicke sich nicht für uns, nach dem Hotel zu gehen. Sie sind dennoch nicht nur gegangen, sondern gelaufen. Sie sprachen davon, daß man mich nicht mit der nötigen Hochachtung behandeln werde. Welche Hochachtung hat man denn Ihnen erwiesen? Ich empfehle Ihnen, sich ferner lieber auf meinen Rat als auf Ihre Eingebungen zu verlassen.«

»Ja, nun können Sie wohl dicke thun! Aber es soll mir so etwas gewiß nicht wieder passieren!«

»Dasselbe sagten Sie, als Sie von dem Geldwechsler geprellt worden waren!«

»Hm, ja! Es ist kein angenehmes Tsching-tsching, mit welchem mich das Reich der Mitte begrüßt, aber ich werde den ‚Söhnen des Himmels‘ schon noch die Ehrerbietung abzwingen, auf welche ein Mann von meinen Sprachkenntnissen Anspruch hat. Als guter Diplomat will ich auf die Verfolgung der Kulis verzichten. Aber wehe dem Chinesen, dem es einfallen sollte, sich fernerhin einen ähnlichen Spaß mit mir zu erlauben! Ich würde ihn an seinem eigenen Zopfe aufhängen! Also diese Angelegenheit ist erledigt. Was thun wir jetzt?«

»Das, wozu mein Hund uns das Beispiel gibt: Wir trinken eins.«

Das Zimmer, welches auch als Speisesaal benutzt zu werden schien, war ganz nach europäischer Art mit Tischen und Stühlen möbliert. Der Neufundländer war gleich nach seinem Eintritte nach einem der Tische gegangen und auf einen Stuhl gestiegen; das Glas hatte er vor sich hingesetzt. Da saß er nun, mit dem Tornister auf dem Rücken, sah unverwandt in das leere Bierseidel und ließ dabei ein ungeduldiges Knurren hören. Er war vom »Geldbriefträger von Ninive« her gewöhnt, daß das Glas sofort gefüllt werde.

Der Methusalem erklärte den Polizisten, daß man ihrer Hilfe nicht bedürfe, worauf sie sich entfernten. Dann nahmen die vier Reisenden an dem Tische Platz, den der Hund für sie eingenommen hatte. Degenfeld erkundigte sich, ob man Bier bekommen könne, und erhielt eine bejahende Antwort.

»So bringen Sie uns vier gute Schlucke!« befahl er. »Wir haben Durst.«

Die Kellner rannten alle von dannen, um dieser Weisung Gehorsam zu leisten. Nur der Wirt blieb zurück. Er postierte sich in ehrerbietiger Entfernung und verwandte kein Auge von den vier Leuten, deren Herkommen und Lebensstellung selbst ihm ein Rätsel war.

Da trat ein neuer Gast herein, dessen Person ganz geeignet war, die Blicke der Anwesenden auf sich zu ziehen.

Der Mann war nicht hoch, aber so dick, daß er wohl seit Jahren seine eigenen Füße nicht hatte sehen können. Sein Körper war ein ungeheurer Fleischklumpen zu nennen, welcher sich nur langsam fortbewegen zu können schien. Das glatt rasierte, runde Vollmondsgesicht glänzte in dunkler Röte. Ebenso auffällig wie seine Gestalt war seine Kleidung. Er trug Hose, Weste und Jacke von feinem, weißem Linnen. Die letztere war so kurz, daß die gewaltige Halbkugel des Bauches zur vollsten Geltung kam. Die Füße steckten in niedrigen chinesischen Schuhen mit vier Zoll hohen Filzsohlen. Um den Bauch – denn Taille konnte man unmöglich sagen, und von Hüften war auch keine Rede – trug er eine rotseidene Schärpe, aus welcher der eingelegte, kostbare Griff eines malaiischen Kris hervorblickte. Der Schädel bildete eine einzige große haarlose Platte, welche kaum halb von einer kleinen, schwarz und weiß karrierten schottischen Mütze bedeckt wurde, von der zwei lange, breite, ebenso gefärbte Schleifen bis auf den Rücken herabhingen. Zwei lange Flinten, welche sich hinten und deren Riemen sich vorn über der Brust kreuzten, hingen ihm auf dem Rücken. Ueber die beiden Läufe dieser Gewehre war eine schwarze, wohlgefüllte und sorgfältig zugeschnallte Ledertasche gehängt, und in der Rechten trug er einen chinesischen Sonnenschirm von solcher Größe, daß eine ganze Familie unter demselben Platz finden konnte.

Das war eine ganz eigene Art und Weise, zumal er die Anwesenden dabei gar nicht anblickte und, ohne sie zu beachten, mit kleinen, gewichtigen Blicken auf den nächsten Tisch zusteuerte. Der Wirt schien ihn zu kennen, denn er stürzte dienstfertig herbei, schob unter mehreren tiefen Verbeugungen zwei Stühle zusammen, da der Gast auf nur einem nicht genügend Platz gefunden hätte, nahm ihm die Tasche, die beiden Flinten und den Regenschirm ab und plazierte diese Gegenstände mit zarter Sorgfalt in die Nähe des Gastes.

Ueber das Gesicht des Methusalem war beim Anblicke und bei dem Gruße dieses Mannes ein heiteres Lächeln geglitten. Er erhob sich, machte eine Verneigung und antwortete in lustigem Tone:

»Neemt plaats; maakt geene Komplimenten; doet als of gij thuis waart – setzen Sie sich; machen Sie keine Umstände; thun Sie, als ob Sie zu Hause wären!«

Jetzt erst blickte der Dicke zu den Vieren herüber. Er musterte sie einige Sekunden lang, zog dann die haarlosen Brauen zusammen und sagte zu dem höflichen Methusalem:

»Zij zijn een ongelukkige nijlpaard – Sie sind ein unglückliches Nilpferd!«

Dann krachte er seufzend auf die zwei Stühle nieder und gähnte, als ob er die halbe Atmosphäre einschlucken wolle.

»En zij zijn een dick stekelvarken – und Sie sind ein dickes Stachelschwein!« rief der Student ihm lachend zu.

»Zij schaap – Sie Schaf!« antwortete der Dicke verächtlich.

»Zij neushoorn – Sie Nashorn!« warf der Methusalem zurück.

»Zij – zij – zij papegaai – Sie Papagei!« donnerte der Dicke.

»Zij hooi-hofd – Sie Heukopf!« lachte Degenfeld.

Da stand der Dicke auf, streckte beide Fäuste vor und brüllte mit überschnappender Stimme:

»Zij dor vlammetje, zij droogen kleermaker – Sie dürres Streichhölzchen, Sie trockener Schneider. Zij – zij – zij – — – «

Er kam nicht weiter. Der Neufundländer hatte das feindselige Verhalten des Dicken bemerkt, war von seinem Stuhle gestiegen und kam langsam auf ihn zugeschritten. Bei ihm angekommen, richtete er sich auf, legte ihm die Pfoten auf die Achseln, zeigte die Zähne und knurrte ihm warnend in das rote Gesicht, als ob er sagen wolle:

»Du, nun ist‘s genug, sonst bekommst du es mit mir zu thun!«

Dem Bedrohten blieb das beabsichtigte Schimpfwort im Munde stecken. Er ließ sich auf seine Stühle niedersinken, wodurch der Hund wieder vierfüßig zu stehen kam, und rief wider alles Erwarten dem Wirte zu:

»Ik heb honger; gevt mij eene soep en kalfsvleesch – ich habe Hunger; geben Sie mir eine Suppe und Kalbfleisch!«

Das sah so komisch aus und klang so drollig, daß die vier anderen in ein lautes Gelächter ausbrachen. Der Hund zog die Oberlippe in Falten, als ob er in dieses Lachen einstimmen wolle, und kehrte schweifwedelnd zu seinem Herrn und auf seinen Stuhl zurück. Als der Dicke sich nicht mehr von dem Tiere bedrängt sah, wendete er sich um und rief in zornigem Tone:

»Mijne heeren, ik zoude mij schaamen, zoo dom de lagchen. Eet gij liefst een vleesch of en eyeren-koek; dit is buiten twijfel beter dan dit ondeugende foeikzen – meine Herren, ich würde mich schämen, so dumm zu lachen. Essen Sie lieber ein Fleischernes oder einen Eierkuchen; dies ist ohne Zweifel besser als dieses nichtsnutzige Feixen!«

Diese geharnischte Rede hatte nur ein vermehrtes Gelächter zur Folge, was den Dicken so erboste, daß er, vorher tief Atem holend, die Lachenden mit wahrer Donnerstimme anfuhr:

»Mijne heeren, gij zijt slecht, gij zijt slechter, gij zijt de allerslechtsten; gij zijt myne vyanden; gij – gij – gij zijt vier zuuren aapen – meine Herren, Sie sind schlecht, Sie sind schlechter, Sie sind die allerschlechtesten; Sie sind meine Feinde; Sie – Sie – Sie sind vier saure Affen!«

Es läßt sich denken, daß die Lacher durch diese Donnerworte nicht in eine ernstere Stimmung versetzt wurden.

»Herrlich, herrlich!« rief Gottfried von Bouillon; »dat ist jradezu kostbar; dat ist jöttlich! Sie sind der ausjezeichnetste Mijnheer, der mich jemals vorjekommen ist! Aber ich bitt Ihnen, schonen Sie Ihre fette Konstitution, sonst könnten Sie gar leicht zerplatzen. Man sieht den Leberthran Ihnen schon jetzt aus allen Poren schwitzen!«

Der Holländer wollte auf diese Beleidigung antworten; da aber brachte einer der Kellner ihm die verlangte Suppe, und er zog es vor, dieser seine Aufmerksamkeit zu widmen. Er knurrte nur noch:

»Eene soep is beter dan zoo een bedorven schaap – eine Suppe ist besser als so ein verdorbenes Schaf!«

Er warf dem Gottfried eine verächtliche Handbewegung zu, knüpfte sich die Serviette um den Hals und begann dann, seine Suppe mit so schmatzendem Wohlbehagen zu essen, daß es klang, als ob ein halbes Dutzend »Varken« (Ferkel) am Troge säßen.

Dann wurde das Kalbfleisch gebracht. Er griff mit beiden Händen nach dem Teller, roch die Portion prüfend an, gab durch ein freundliches Nicken zu erkennen, daß der Duft ihm behage, und befahl:

»Gevt mij een stuk ossevleesch met erwten en zuurkool – geben Sie mir ein Stück Ochsenfleisch mit Erbsen und Sauerkraut!«

Den vier Zuschauern war es zweifelhaft, ob man hier in China Erbsen oder gar Sauerkohl bekommen könne. Der Holländer schien aber die Leistungen der Hotelküche genau zu kennen, denn eben als er das Kalbfleisch verzehrt hatte, wurde ihm der verlangte zweite Gang gebracht. Er beroch auch diesen, nickte wieder freundlich und bestellte:

»Gevt mij een gebraden varkenvleesch met mierook en gebaken peeren – geben Sie mir Schweinebraten mit Meerrettich und gebackenen Birnen!«

Als auch dies dann gebracht wurde, verlangte er »hamelsbout met salade«, Hammelsbrust mit Salat, dann »eend met spinazie en knoflook«, Ente mit Spinat und Knoblauch, später »zeevisch met gebaken pruimen«, Seefisch mit gebackenen Pflaumen. Dann zuletzt begehrte er zum Nachtische »zeekreeften, boter, kaas en een grooten kelk brandewijn«, Seekrebse, Butter, Käse und einen großen Kelch Branntwein.

Die Portionen waren so reichlich, daß eine einzige derselben hingereicht hätte, einen gewöhnlichen Esser zu sättigen; dieser Dicke aber machte, als er fertig war, ein Gesicht, als ob er noch immer Appetit verspüre. Er legte die Hände an den Leib und betastete denselben prüfend. Und wirklich schien er eine noch leere Stelle entdeckt zu haben, denn er begehrte nach kurzem Nachdenken noch »een brood met worst en mostaard«, ein Brot mit Wurst und Senf.

Die Mahlzeit hatte ihn so in Anspruch genommen, daß seine Aufmerksamkeit nur ein einziges Mal von derselben abgewichen war. Dies geschah, als den vier anderen Gästen das verlangte Bier gebracht wurde.

Der Methusalem hatte für jeden einen guten Schluck bestellt, infolgedessen der Kellner vier ganz kleine Fläschchen brachte, welche nicht einmal ein drittel Liter faßten. Der dienstbare Geist glaubte, seine Sache gut gemacht zu haben; Degenfeld aber öffnete eines, goß den Inhalt desselben in sein Studentenglas, führte dasselbe an den Mund, leerte es in einem Zuge bis auf die Nagelprobe, setzte es ab und befahl, indem er mit der Zunge schnalzte:

»Nicht ganz übel! Das genügte aber nur zur Probe. Bringen Sie für jeden eine solche Portion! Fünf Personen.«

»Fünf?« fragte der Kellner, welcher nach nochmaliger Umschau nur vier Individuen herausbrachte.

»Ja, ich sage es doch!«

»Aber Sie sind nur vier!«

»Wir sind fünf. Dieser da hat auch seinen Durst.«

Bei diesen Worten deutete er auf den Hund. Der Kellner zog eine dumm verwunderte Grimasse und fragte, um ganz sicher zu gehen, in seinem Pitchenenglisch:

»Also zwanzig Flaschen, Sir?«

»Ja doch!«

»Aber, Sir, kennen Sie den Preis des Bieres hier in Hongkong?«

Da stieß der Methusalem sein Glas auf den Tisch, daß letzterer krachte, und wetterte den Frager an:

 

»Kerl, willst du etwa meine Moneten vorher okularinspizieren? Lauf Philister! sonst brenne ich dir zehntausend Füchse auf den Leib!«

Der Kellner rannte erschrocken fort und zwei andere hinter ihm drein, da er nicht zwanzig Flaschen allein tragen konnte. Sie brachten dieselben. Der Methusalem goß abermals viere in sein Glas, schwenkte dasselbe gegen den Kapitän und sagte:

»Ich komme Ihnen dieses Tröpfchen!«

»Wie? Was?« fragte Turnerstick. »Sie kommen? Mir? Wieso? Das nennen Sie ein Tröpfchen!«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, so hatte der Methusalem schon ausgetrunken. Dieser füllte das Glas von neuem mit vier Flaschen, schob es dem Kapitän zu und antwortete:

»Natürlich ist es nur ein Tropfen. Mir wäre es eine große Schande, ein halbes Tröpflein im Glase zu lassen, Sie kommen mir nach, und ich hoffe, daß Sie sich nicht vor uns und diesen staunenden Kulis blamieren werden!«

»Blamieren? Pah! Sind Sie schon einmal durch eine Seemannsgurgel gekrochen? Da sind Sie gewiß nicht stecken geblieben. Ihr Gläschen macht mir keine Angst. Prosit, mein lieber Freund von Bouillon!«

»Re!« nickte der Namensvetter des Eroberers von Jerusalem.

Turnerstick bewies, daß er nicht zuviel gesagt habe. Er trank das Glas aus. Gottfried nahm es ihm sofort aus der Hand, füllte es für sich und leerte es ebenso wie die beiden anderen.

Der Wirt und die Kellner standen von fern und warfen sich große Blicke zu. Solche Trinker sahen sie noch niemals. Der dicke Holländer hatte, obgleich sehr intim mit seinem »Vleesch« beschäftigt, den Vorgang dennoch bemerkt. Er war ein tüchtiger Esser; jetzt sah er Leute, welche im Trinken wenigstens ebensoviel leisteten wie er im Essen. Das imponierte ihm; das ließ seinen Groll sofort verschwinden. Er fühlte sich getrieben, ihnen seine Anerkennung auszusprechen. Darum erhob er sich von seinen zwei Stühlen, kam herbei, wischte sich mit der Serviette den Mund und sagte:

»Mijne Heeren, gij zijt braave en dappere makkers. Gij drinkt tamelijk goed. lk ben uw vriend en uw broeder; gij wordt het begrijpen. Ik bidd, gevt mij uwe handen – meine Herren, Sie sind brave und tapfere Gesellen. Sie trinken ziemlich gut. Ich bin Ihr Freund und Bruder; das werden Sie begreifen. Ich bitte, reichen Sie mir Ihre Hände!«

Er schüttelte jedem von ihnen die Hand und kehrte dann an seinen Tisch zurück, um weiter zu essen.

Was Richard Stein betrifft, so wagte er sich nicht an das volle Stammglas. Er ließ sich ein kleineres bringen und eignete sich auch nur eine Flasche an. Gottfried griff augenblicklich nach den drei übrigen, leerte sie in das Glas und trank dasselbe aus, nachdem er vorher sich selbst zugerufen hatte:

»Prosit Magen! Es ist zwar kein Wolkenbruch, doch ein angenehmes jelindes Plätscherchen.«

Dann nahm er seine weiße Mütze, welche wasserdicht gefüttert war, vom Kopfe, legte sie verkehrt, also offen auf den Tisch, gerade vor den Neufundländer hin und goß diesem die letzten vier Fläschchen nacheinander hinein. Der Hund nahm den Gerstensaft mit großem Wohlbehagen zu sich und leckte zuletzt die Mütze sehr sorgfältig aus, welche Gottfried sich wieder auf sein Haupt stülpte, um dann zu fragen:

»So! Jeprobt hätten wir. Wat aberst nun? Wollen wir uns nach so langem Entbehren noch een loyales Seidel leisten?«

»Was fällt dir ein,« entgegnete Methusalem. »Wir befinden uns hier nicht im ‚Geldbriefträger von Ninive‘, von welchem aus wir nur um die Ecke zu gehen brauchten, um heim zu steigen. Ich vor allen Dingen muß zum Konsul. Auch habe ich eine Anweisung zu präsentieren und mich mit dem unvermeidlichen Mammon zu versehen. Wartet hier, bis ich wiederkomme! Habt ihr Lust, so trinkt meinetwegen inzwischen noch eins, aber nicht mehr! Ich werde es bezahlen.«

»Halt!« fiel da der Kapitän ein. »Das Zahlen ist meine Sache. Wir befinden uns noch in der Hafenstadt, und ich muß Sie also bitten, meine Gäste zu sein.«

»Habe nichts dagegen,« lächelte der Methusalem. »Aber wird Ihnen nicht die Zeche zu hoch sein?«

»Was denken Sie! Sehen Sie doch meine Schnuren! Die reichen jedenfalls noch wochenlang.«

Der Bemooste ließ ihn bei diesem Glauben und entfernte sich, die Pfeife und auch den Hund zurücklassend, welche er unmöglich mit zum Konsul nehmen konnte. Turnerstick bestellte zu den bisherigen vierundzwanzig Flaschen noch sechs, um eine runde Dreißig zu bekommen. Gottfried rümpfte zwar die Nase dazu, sagte aber nichts, weil der Kapitän der Zahlende war und, um einer allzu schnellen Konsumtion vorzubeugen, zwei kleine Gläser kommen ließ.

Mittlerweile hatte der Holländer seine Mahlzeit vollendet. Er band die Serviette ab, trocknete sich mit derselben das von der Anstrengung des Essens schwitzende Gesicht und machte auf seinen Stühlen eine Wendung, daß er die drei anderen nun gegenüber hatte.Es war ihm anzusehen, daß er nun ein kleines Gespräch im Interesse der Verdauung für nützlich hielt. Er hatte gehört, welcher Sprache sich die anderen bedienten, und sagte daher in leidlichem Deutsch:

»lk verzoek – ich bitte, mijne Heeren, sind Sie nicht Deutsche?«

»Ja,« antwortete Gottfried.

»Dachte es mir. Auch ich bin in Deutschland gewesen, als Kommis in Köln am Rhein; damals war ich noch jünger als jetzt.«

»Wahrscheinlich!«

»Nein, wirklich! Damals zählte ich twintig Jaaren, und jetzt bin ich fast vijf en veertig. Damals war ich een ongelukkige nijlpaard, en jetzt bin ich een zwaare (schwerer) Mann mit gezouten (gesalzenen) Erfahrungen. Damals habe ich die deutsche Sprache erlernt, und das freut mich jetzt, weil ich mich mit Ihnen unterhalten kann.«

»Die Freude ist beiderseitig, Mijnheer.«

»Sehr schön! Gefalle ich Ihnen?«

»Außerordentlich!«

»Sie mir auch. Ich bin nämlich Mijnheer Willem van Aardappelenbosch und komme von Java, wo ich Pflanzungen von Ryst (Reis) und Tabak hatte. Ich habe verkauft und will nun sehen, ob ich hier in China etwas Aehnliches finde.«

»Etwas Aehnliches? Warum haben Sie dann dort verkauft?«

»Wegen dem Klima, welches mir schädlich wurde. Ich konnte niet mehr essen und niet mehr trinken; ich schwand zusammen, daß ich jetzt nur noch een Gespenst von früher bin.«

»Hallo! Dann möchte ich Sie früher gesehen haben, Mijnheer von Aardappelenbosch!«

»Jawohl!« seufzte der Dicke, indem er sich mit beiden Händen liebkosend über den Bauch strich. »Damals aß ich für twaalf Männer, jetzt aber esse ich niet mehr für eenen halfen!«

»Schrecklich!«

»Nicht wahr! Ich bin ganz sterfelyk (sterblich) geworden. Was nützt mir mein Zilver (Silber), mein Goud (Gold), mein Rykdom (Reichtum), wenn ich niet essen und niet trinken kann? Nur wer tüchtig essen und trinken kann, darf gelukkig (glücklich) und tevreden (zufrieden) sein. Darum habe ich Abschied von dem dortigen Klima genommen und bin nach China gekommen, um mich wieder dick und fett zu essen.«

»Nun, hoffentlich ist dieses Vorhaben von gutem Erfolge. Aber Ihre Haut, Mijnheer, Ihre Haut!«

»Was ist mit der Haut? Nicht wahr, sie hat ein ganz krankhaftes Aussehen?«

»Das möchte ich nicht behaupten; aber ob sie zulangen, ob sie ausreichen wird!«

»Zulangen? Ausreichen?«

»Ja. Wenn Sie noch dicker werden wollen, so muß sie unbedingt platzen.«

»Platzen? O mijn hemelsche Vader! Da hätten Sie mijne Haut früher sehen sollen! Die glänzte wie eene rosenrote Speckswarte! Wenn ich niet baldige Beterschap finde, so sterbe ich im Handumdrehen.«

»Und diese Besserung suchen Sie in China?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil mijn Geneesheer sagte, das Klima sei in Java zu südlich. Er riet mir, nach Norden zu gehen, und was liegt im Norden? Doch China! Vielleicht werde ich hier wieder gesund. Früher glich ich im Gesicht der hellen Sonne; jetzt aber bin ich nur noch die reine Maansverduisterung.«

»So müssen Sie wohl an einer abzehrenden Krankheit leiden?«

»An einer, nur einer? Dann wäre ich ganz glücklich! O nein, ich leide an twintig, dertig, veertig, an hondert verschiedenen Krankheiten.«