Kitabı oxu: «Der Zthronmische Krieg», səhifə 4

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»Der ehrenwerte ben Cyrion«, sagte er, und die KI übertrug sein Fauchen in einen süffisanten Singsang, »regt an, ich solle im Namen der Zthronmic die Verantwortung für den Vorfall übernehmen. Allein, das kann ich gar nicht. Unsere Organisationsstruktur ist dezentral. Wir haben Dutzende von Distrikten, deren Führer autark sind und in eigener Verantwortung handeln können.«

Er erhob sich, und seine Stimme wurde wieder zu markerschütterndem Gebrüll. »Wenn einer meiner Unterkommandanten jedoch zu der Auffassung gelangt sein solle, dass die Amish in seinem Gebiet eine Strafaktion verdient haben, so wird er seine Gründe dafür haben!«

Jetzt war es mit der Beherrschung der Amish vorbei. Sie versuchten, den Kordon der Wachmannschaften zu durchbrechen. Es fehlte nicht viel und sie wären mit den Zthronmic handgemein geworden. Einzig Cyrill selbst bewahrte die Ruhe und beschwor seine Landsleute, sich nicht provozieren zu lassen.

Die Schutzmänner und die ungerührt zwischen den Fraktionen umhertrippelnden Tloxi hatten ihre Mühe, die verfeindeten Delegationen voneinander fernzuhalten. Dann schrillte Laertes’ Sirene, und der Vorsitzende verkündete, er lasse den Saal räumen. Die Aussprache wurde für beendet erklärt, die weitere Debatte auf unbestimmt verschoben.

In das Durcheinander der den Saal verlassenden und dabei miteinander rangelnden Abgeordneten rief Laertes noch, man werde eine unabhängige Kommission einsetzen, die die Vorfälle über Zthronmia untersuchen werde. Jorn Rankveil, der Kommissar für Zthronmische Angelegenheiten, wurde als Vorsitzender bestimmt. Niemand protestierte, weil niemand mehr auf Laertes acht gab. Resigniert deaktivierte der Leiter des galaktischen Konvents die Protokollfunktion an seinem Pult. Sein Blick schien uns zu suchen, die wir in der Besucherbox saßen. Aber die Elastalglasscheiben war nach außen hin polarisiert, er konnte uns nicht sehen.

Während wir uns erhoben, um die Box auf einem schmalen Gang zu verlassen, der uns an den offiziellen Delegationen vorbeischleusen würde, versuchte ich, in Rogers’ Miene zu lesen, wie er den Ablauf der Debatte einschätzte. Der alte Haudegen war dem Auftritt Muqa Zthés und ben Cyrions abschließender Replik gebannt gefolgt. Er hatte sich vorgebeugt und war in das Geschehen hineingekrochen, als wohne er einem Schaukampf unter Gladiatoren bei; fehlte nur noch, dass er seinen Favoriten lautstark anfeuerte.

Aber was war nun davon zu halten? War dies der Eklat, den wir alle seit Langem hatten kommen sehen? Wir hatten ihn gefürchtet, der eine oder andere hatte ihn klammheimlich herbeigesehnt. Rogers wirkte gefasst, beinahe zufrieden. War das nun das Resultat, das er sich erhofft hatte? Der offene Ausbruch war gerade noch einmal vermieden worden. Tätlichkeiten hatten unterbunden werden können. Durch die Einsetzung einer weiteren Kommission, die Laertes über die Köpfe der auseinandergehenden Delegierten hinweg verkündet hatte, war der Schein eines regulären Ablaufs gewahrt. Im Protokoll des StabsLogs würde sich die Sache wie eine zwar temperamentvolle und widersprüchliche Debatte lesen, aber eben doch eine Debatte, der prinzipiell noch endlos viele weitere würden folgen können.

Nur uns, die wir Zeugen der Vorgänge geworden waren, kamen Zweifel, ob man auf dieser Grundlage weiterarbeiten konnte.

Wir kamen in einen der streng abgeschirmten Bereiche, die den Abgeordneten und Referenten der Union, der alten Union, zur Verfügung standen. Die Politiker und Juristen wirkten ernüchtert. Man sah betretene Gesichter. Laertes, Rankveil oder die anderen Gestalten blieben unsichtbar. Sie saßen in den Hinterzimmern der Hinterzimmer und beratschlagten mit ihren Ratgebern.

Rogers steuerte zielstrebig die kleine Bar an, die es in diesem Bereich gab, und bestellte etwas zu trinken. Ich folgte seinem Beispiel und zündete mir, während die Ordonnanz die Gläser füllte, eine Qat-Zigarette an. Nachdem ich den ersten Zug tief inhaliert hatte, musterte ich Dr. Rogers und wartete darauf, dass er das Wort ergreife.

Es dauerte eine Weile. So lange musste ich versuchen, in seinen verwitterten Zügen zu lesen. Er wirkte erleichtert, beinahe aufgeräumt. Insgesamt machte er den Eindruck eines Mannes, der lange auf etwas gewartet hat und nun froh ist, dass es eingetreten ist. Dieses Gefühl konnte unabhängig davon sein, worum es sich handelte. Auf der Akademie hatte er uns erzählt, dass im Krieg selbst das Signal zur Schlacht eine solche Erleichterung auslöste, und zwar nicht nur bei der Generalität, die sich das Ganze aus der Sicherheit ihrer Unterstände ansah, sondern auch bei den einfachen Soldaten, denen das Herumsitzen eine größere Pein zu bereiten schien, als wenn sie nun endlich ins Feuer durften.

Als er ein wenig mit der Ordonnanz geschäkert und sich am Scotch gestärkt hatte, erinnerte der Held von Persephone sich meiner Anwesenheit. Er sah mich an und setzte ein pfiffiges Gesicht auf. Offenbar verfügte er wieder einmal über Informationen, die mir vorbehalten worden waren.

»Was ben Cyrion nicht sagte«, begann er mit einer Stimme, die von Alkohol und Alter rau war, »unter den Toten dieses Morgens war auch eine seiner Töchter.«

Ich spürte, wie ich blass wurde. Cyrills statuarische Haltung war mir aufgefallen. Sie hätte als Karikatur wirken können, wenn man ihn nicht kannte. Die strenge Würde, die er ausstrahlte, war schwer mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass sein Volk dort draußen drangsaliert wurde, dass seine Glaubensgenossen litten und starben. Sie wurde unerträglich, wenn man nun noch dieses in Betracht zog.

»Eines seiner Kinder hat den Tod gefunden?«, fragte ich.

Dr. Rogers schwenkte seinen Whiskey. Für gewöhnlich hätte er jetzt einen schneidenden Zynismus angebracht. Aber er wusste um das enge Verhältnis, das wir zum Delegationsleiter der Amish hatten. Jennifer stand ihm sehr nahe. Er hatte sie zu Anfang des Kongresses daran erinnert, was ihr selbst nicht bewusst gewesen war: dass sie vor Jahren einem jungen Mädchen seines Volkes das Leben gerettet hatte. Dieses Mädchen war nun seine Frau, die Mutter seiner Kinder. Und eines dieser Kinder war in diesen Morgenstunden im Aerosolfeuer des Scytherangriffs verbrannt.

»Cyrill und Shorena haben sieben Kinder«, sagte Dr. Rogers trocken. »Vier Töchter und drei Söhne. Eine der Töchter fiel der heutigen Attacke zum Opfer …«

Ich schüttelte den Kopf.

»Schrecklich …«, war alles, was ich dazu sagen konnte.

Natürlich war diese Reaktion irrational. Wir wussten, dass an die fünfzig Menschen – überwiegend Schulkinder und Frauen – das Leben verloren hatten, und die Opferzahlen der letzten Monate gingen in die Hunderte. Dennoch erschütterte uns das eine Schicksal, weil wir zufällig den Vater des Kindes kannten.

Meine Gedanken schweiften zu Jennifer, die auf der Orbitalstation hoch über Zthronmia saß und die Beobachtermission inspizierte. Auch sie war Zeugin der Vorfälle gewesen. Kannte sie die Namen der Opfer? Wusste sie, was das zu bedeuten hatte? Und noch ein anderer furchtbarer Gedanke stieg in mir auf: Hatte ihr Angriff auf das Zthronmische Kommando, das die ENCOURAGE hatte plündern wollen, den Überfall auf Cyrills Heimatkibbuz provoziert. Der Einsatz von Aerosolbomben war eine neue Qualität. Die Zthronmic hatten ihren Terror, der seit Langem auf kleiner Flamme köchelte und die Amish in einem Klima von Angst und Schrecken leben ließ, intensiviert. Es konnte nicht anders sein: Jennifers Vergeltungsmaßnahme, die auch Rache für unsere massakrierten Kameraden gewesen war, hatte zu einer weiteren Eskalation geführt. Die Spirale der Gewalt hatte eine weitere Umdrehung beschrieben. Und wieder waren Unschuldige die Leidtragenden. Wehrlose Angehörige eines wehrlosen Volkes, das entschlossen schien, sich weder zu verteidigen noch zur Wehr zu setzen. Wie Schlachtvieh saßen sie da und sahen tatenlos zu, wie ihre Frauen und Kinder verbrannten. Ich spürte, wie eine ohnmächtige Wut in mir aufstieg, die nur eine Camouflage meiner Hilflosigkeit war. Ich hätte Cyrill am liebsten geohrfeigt. So schlimm konnten diese Scyther nicht sein. Mit zwei oder drei Feldwerfer-Batterien musste man sie in Schach halten können. Aber dazu war man zu stolz.

Doch auch diese künstliche Erregung war nur Ausfluss der Tatsache, dass ich nichts getan hatte und nichts tun konnte. Und nichts tun würde?

»Können wir das hinnehmen?«, fragte ich laut. »Selbst wenn sie selbst an ihrer absurden Gewaltlosigkeit festhalten – muss nicht die Union sie gegen solche Attacken verteidigen? Sie zwingen, sich verteidigen zu lassen? Unsere Charta ist das Pergament nicht wert, auf dem sie steht, wenn wir so etwas geschehen lassen, da hat sogar Muqa Zthé ausnahmsweise recht.«

Dr. Rogers sah mich aufmerksam an.

»Was willst du tun?«, fragte er ruhig. Er klang, als würde er augenblicklich in die Tat umsetzen, was ich ihm vorschlüge. Er war wieder der alte Vorgesetzte, der vor einem Angriff seine Unteroffiziere fragte, wie sie entscheiden würden – und der dann alles ganz anders machte.

»Ich weiß es nicht!«, rief ich grollend. »Aber wenn an unseren Garantien und an all den hehren Worten irgendetwas dran sein soll, müssen sie auch für die Amish gelten …«

Weiter kam ich nicht.

»Es geht nicht um die Amish«, sagte Dr. Rogers freundlich.

Ich hätte mich beinahe am Rauch verschluckt. Vorsichtshalber drückte ich Qat-Zigarette aus und wartete, bis sich der süßlich riechende Rauch verzogen hatte.

»Worum denn dann?«, fragte ich beherrscht.

»Jetzt guck nicht so erschrocken!« Rogers schien amüsiert. »Sagen wir: Es geht nicht nur um die Amish!«

Ich stöhnte auf.

»Worum geht es dann?«, wiederholte ich. »Und kommen Sie mir bloß nicht mit Zthrontat, Rohstoffen, übergeordneten Interessen.«

Er erwiderte nichts. Stattdessen musterte er mich aufmerksam. Verdammt, ihm gegenüber war und blieb ich auf ewig der Erfolg versprechende Kadett. Und er war immer noch der strenge, aber wohlwollende Chefausbilder, der mit wissendem Grinsen zusah, wie man in die nächste behutsam präparierte Falle tappte.

»Wenn es nur um das Zthrontat geht«, schäumte ich, »dann lass uns hingehen und es uns nehmen. Die Zthronmic bomben wir in die Steinzeit zurück. Daran kann es ja wohl nicht liegen!«

»Sondern?«, fragte der alte Schleifer lauernd.

»Offenbar geht es uns auch um etwas anderes.« Ich betonte das »Auch«, um ihn nachzuäffen und seine diplomatische Abgeklärtheit ins Lächerliche zu ziehen. »Um all die großen Worte, die Muqa Zthé schon diskreditiert hatte, allein dadurch, dass er sie in den Mund genommen hat.«

Rogers genoss den Abgang des letzten Tropfens Whiskey und leckte sich die Lippen.

»Entweder – oder«, sagte er.

»Ja!«, rief ich. Ich schrie beinahe. Und am meisten brachte es mich in Rage, dass ich wusste, dass der Alte es nur darauf abgesehen hatte.

»So einfach ist es nicht«, sagte er mild. »Die Wahrheit liegt in aller Regel irgendwo dazwischen.«

Ich schüttelte den Kopf, noch heftiger als zuvor. Dann überließ ich mich eben meiner Aufgebrachtheit.

»Realpolitik oder Werte«, führte ich trotzig aus. »Da müssen wir uns schon entscheiden. Die Wahrheit die dazwischen liegt, das ist die Wahrheit der Grauzonen, des hinhaltenden Taktierens, des Politikergeschwätzes – während dort draußen unschuldige Kinder sterben!«

Rogers legte mir die Hand auf den Unterarm und lächelte begütigend. War die Lektion beendet? Aber es war keine Lektion. Dies hier war die Realität, war harte, blutige Realität.

»Ich gebe dir recht, Frank«, sagte er rau. »Aber ich bezweifle, dass du dir die Konsequenzen verdeutlichst.«

Was sollte das nun wieder heißen?

Ich hob die Achseln, halb abwartend, halb schmollend.

»Du sagst, wir sollen die Zthronmic in die Steinzeit bombardieren …«

Ich hielt seinem Blick stand. Das immerhin hatte ich in all den Jahrzehnten gelernt.

»Ich glaube nicht«, sagte der Veteran zweier schwerer Kriege, »dass das so ein Spaziergang wird, wie du es dir vorzustellen scheinst.«

»Jennifer …«, hob ich an.

Er wischte das weg.

»Ich weiß«, knurrte er grob. »Wir stellen ihnen eine Falle. Wir sehen, wie sie sich verhalten.«

»Und?«

»Das frage ich dich«, brauste er auf. »Und dann? Was wird die Folge sein? Gesetzt, sie gehen uns in die Falle, greifen den Frachter an. Es kommt zu einem weiteren Gefecht. Ausgang ungewiss. Glaubst du, sie werden zum Dank dafür die Amish in Milch und Honig baden?«

Ich schlug die Faust auf die Theke der kleinen Diplomatenbar, dass unsere leeren Gläser einen Satz machten.

»Die Amish haben nichts damit zu tun! Es geht dann nur noch um die Zthronmic und uns!«

Rogers malte wieder dieses herablassende altersweise Grinsen auf sein schlachtenerprobtes Antlitz. Ich hasste ihn.

»Offensichtlich sieht man das in Wrathnia anders«, sagte er schlicht. »Sie halten die Amish seit Jahrzehnten als Sklaven, die die Dreckarbeit für die erledigen. Warum sollten sie sie nicht als Geiseln nehmen? Für jede unserer Maßnahmen lassen sie als Vergeltung dort unten ein paar Unschuldige über die Klinge springen.«

Wie immer, wenn er zynisch wurde, fiel einem nichts mehr ein, was man entgegnen könnte. Das machte es ja so ätzend.

»Dann dürfen wir ihnen das nicht durchgehen lassen!«, sagte ich umso betonter, als ich wusste, dass es ihn keine Sekunde überzeugen würde.

»Sondern?«, fragte er schlicht.

Unsere Blicke fraßen sich ineinander. In einem offenbar unbeschäftigten Winkel meines Hirns ging mir auf, wie absurd der ganze Dialog war. Eigentlich pflegte er die Rolle des Falken einzunehmen, der die Sache lieber mit seinen Bataillonen regelte, statt sich auf schlaue Ratschläge und abstrakte Klügeleien einzulassen. Dass er ins weiche Federkleid der Taube schlüpfte, zeigte mir an, dass er nur eines seiner vielen Spielchen spielte. Oder hatte er vor den verfluchten Zthronmic wirklich einen solchen Respekt? Wir waren mit Sina fertiggeworden. Und von diesen Wüstensöhnen sollten wir uns einschüchtern lassen?

»Was willst du tun?«, fragte er, als habe er meine Gedanken Wort für Wort von meiner Stirn gelesen. »Den Planeten besetzen? Mit Bodentruppen landen? Eine Palisadenstadt nach der anderen einnehmen, dich in Häuserkämpfe verwickeln lassen, in unzugänglichen Wüsten- und Gebirgsregionen einen Guerilla- und Partisanenkrieg führen?«

Ich zuckte die Schultern. Wie man das im Einzelnen machte, war Sache der Generalstäbler. Die wussten nicht nur alles, sie wussten es sogar besser.

Rogers presste noch einmal meinen Unterarm mit seiner schwieligen Pranke und lehnte sich dann zurück.

»Jennifer bekommt ihren Frachter«, sagte er leise. »Ich habe die Sache von Laertes absegnen lassen. Aber was dann geschieht, entzieht sich jeder Planung.«

Er sah mich offen an und seine unverhohlene Ratlosigkeit machte mir mehr Angst, als es seine cholerischen Ausbrüche je vermocht hatten.

»Wir begeben uns auf eine schiefe Ebene. Kann sein, wir holen uns eine blutige Nase. Kann sein, wir werden in etwas hineingezogen, aus dem wir so schnell nicht wieder rauskommen.«

»Kann sein«, äffte ich in purem Widerspruchsgeist, »wir geben den Zthronmic eins auf die Nase, bis sie die Lektion gelernt haben.«

Er erhob sich, quittierte die Getränke und walzte schwerfällig hinaus. Eine Entgegnung auf meinen letzten Satz hatte er nicht mehr für nötig angesehen.

Jennifer I

Die Aussicht war atemberaubend. Es war, als stünde man auf einem gewaltigen Berggipfel, auf dem höchsten Punkt eines mächtigen Massivs aus Stahl, dessen Flanken nach allen Seiten steil in die Tiefe stürzten.

Die Plattform, von einer dreh- und schwenkbaren Kanzel aus doppelt gehärtetem Elastalglas umfangen, erhob sich auf der Spitze über drei flach aufeinander zulaufenden Ebenen aus schwarzem Titan. Die einzelnen, kilometerweiten Fluchten aus Stahl waren allerdings nicht glatt, sondern von zahllosen Aufbauten und sekundären Strukturen gegliedert. Antennen und andere Sensoren streckten ihre kirchturmhohen Fühler in den Raum vor. Die komplexen Waffensysteme einer Kampfstation, die auf massive Raumgefechte ausgelegt war, starrten in die Leere. Torpedoschächte öffneten sich. Die miteinander verschalteten Katapulte von KI-Detonatoren erhoben drohend ihre Wurfarme gegen den schweigend dahinziehenden Sternenhintergrund. Die Nachführautomatiken von DeepField-Radar und dezentraler Zielerfassung narbten die schrundige Oberfläche aus mattgrauem Stahl.

Jennifer erinnerte sich an den Mount Everest, den sie während der Akademiezeit einmal bestiegen hatten, um eine neue Generation von Schutzanzügen zu testen. Auch sein Gipfel hatte einen Dreikant kilometerhoher Flanken aus Fels und Eis gekrönt. Wenn man auf dem höchsten Punkt stand, wo sich die drei Wände und die Grate vereinigten, konnte es einen schwindeln. Die Welt schien sich unter einem hindurchzudrehen, während der eigene Standpunkt losgelöst über den Dingen zu schweben schien.

So war es auch hier, am Nordpol der Ikosaeder-Kampfstation, dessen teratonnenschwerer, zwischen Würfel und Kugel die Mitte haltender Leib unter ihren Füßen um seine Rotationsachse schwang. Jede der zwanzig dunklen Seiten war über einen Quadratkilometer groß. Die Station hatte die Masse eines kleinen Asteroiden. Wie ein kompakter Mond auf einer niedrigen Bahn zog er über seinem Planeten dahin, der rohstoffreichen und lebensfeindlichen Welt von Zthronmia. Denn das vertiefte den Raumeindruck der spektakulären Aussicht noch: Anders als im Hochgebirge mündeten die Steilwände zu allen Seiten nicht in die Ebene, in die Sicherheit der Terra firma – hier stürzte der Blick noch einige Hundert Kilometer weiter hinunter und prallte über einen Abgrund hinweg, den er nicht mehr ermessen konnte, auf die zinkoxidfarbenen Wüsten des Zthrontatplaneten.

Jennifer war in den schwenkbaren gravimetrischen Sessel des Richtschützen geklettert, um die Umschau genießen zu können. Die Elastalglaskanzel bot ein Panorama von 360 Grad. Die Geschütze, die hier installiert waren, konnten fast 70 % einer gedachten Kugeloberfläche bestreichen. Lediglich nach unten schloss die Masse der Kampfstation den freien Ausblick ab. Und dann die rostroten und ockerbraunen Ebenen der Welt, die es zu schützen galt. Erstaunlich dicht und erstaunlich rasch zogen sie durch den unteren Bereich der Aussicht. Die Ikosaeder-Kampfstation befand sich auf einem niedrigen Orbit, auf dem sie den Planeten alle anderthalb Standardstunden umrundete. Ihre elliptische Bahn führte sie dabei sinusförmig zwischen den 50. Breitengraden Nord und Süd hin und her. Da die Polregionen unbewohnt und rohstoffarm waren, war die Sicherung dort nicht notwendig.

Zthronmia drehte sich unter den Sinusschleifen der Bahn von Alpha Ceti Tau hindurch, sodass die Station, bezogen auf eine gedachte Karte des Planeten, eine Schlangenlinie beschrieb, die sie, jeweils um hundert Längenkreise versetzt, die mittleren und tropischen Breiten bestreichen ließ.

»Ist die Nachführung rückgekoppelt?«, fragte Jennifer gerade. Sie ließ die Kanzel einmal um ihre Vertikalachse wirbeln und die Batterie gleichzeitig die Läufe senken und sie gegen die Drehrichtung stabilisieren.

»KI-gestützte antizipierende Vernetzung«, sagte Kommandant Borissowitsch lustlos.

Er stand zu Füßen der mächtigen Verankerung des Geschützes, einige Meter unter Jennifer, wodurch er noch kleiner und dicker wirkte, als er ohnehin war.

»Alle Batterien der Nordhalbkugel der Station werden mit dieser hier oben am Pol verknüpft. Sie beschreiben automatisch dieselbe Nachführbewegung und bleiben immer auf das gleiche Ziel fokussiert. Außer, natürlich, sie programmieren eine andere Erfassung. Die KIs können auch selbsttätig arbeiten. Dann können sie mehrere Hundert Ziele gleichzeitig unter Feuer nehmen.«

Jennifer schien nicht zuzuhören. Sie wirbelte auf dem von GraviGurten geschützten Sitz des Richtschützen herum, wobei die Feldgeneratoren vorwurfsvoll zu ächzen und zu stöhnen begannen. Die Kommandantin des ENTHYMESIS-Geschwaders ließ die Kanzel im Uhrzeigersinn rotieren, während sie ihren Sessel kopfüber rollen und die Batterie nach Art einer Möbiusschleife unter sich selbst hindurchtauchen ließ. Dabei stieß sie ein halblautes anerkennendes Pfeifen aus.

»Das kann von Vorteil sein«, setzte Borissowitsch seine Ausführungen fort, »wenn man von einer Staffel schneller Jäger angegriffen wird. Die KIs können auf bestimmte Ziele konditioniert werden, die sie dann selbsttätig bekämpfen.«

Er warf einen skeptischen Blick zu Jennifer hinauf, die einen abrupten Schwenk beschrieben hatte und gerade kopfunter über ihn hinwegsauste.

»Wissen Sie«, sagte er müde, »im Grunde ist es unnötig, hier oben tatsächlich Schützen einzusetzen. Am besten, man steuert das Ganze von der Brücke aus …«

Jennifer hatte, in den Gurten aus künstlicher Schwerkraft hängend, noch einige Salti mortali vorwärts und rückwärts absolviert, bis die tonnenschwere Batterie in den Fundamenten knirschte. Dann hatte sie ein Einsehen und fuhr die Kanzel auf die Ausgangsposition zurück, wo sie mit einem elektronischen Signal arretierte.

»So macht es aber mehr Spaß!«

Sie kannte Borissowitsch inzwischen gut genug, um einschätzen zu können, dass diese Kategorie in seiner Sicht der Dinge die geringste Bedeutung spielte.

»Es ist wesentlich gefährlicher«, brummte der Kommandant von Alpha Ceti Tau.

Er sah zu, wie die Aufpasserin, die die Union ihm vor die Nase gesetzt hatte, die fünf Meter hohe Leiter herunterkletterte, die in den Geschützturm eingelassen war. Ihre weiße Uniformhose spannte über dem knackigen Arsch. Ansonsten war sie mit weiblichen Reizen eher sparsam ausgestattet. Alles an ihr war hart und knochig. Das kurze Haar vervollständigte eine burschikose Erscheinung. Außerdem war sie einige Jahre zu alt für seinen Geschmack.

Andererseits war es auch wieder gut, dachte er grimmig, dass sie nicht gerade dem Ideal eines Pin-up-Girls entsprach. Seine Männer waren ziemlich ausgehungert. Die Zeit hier oben dehnte sich. Die Ablösung war mehrere Tage überfällig. Aber über die da würden sie nicht herfallen, solange sie sich noch beherrschen konnten.

Jennifer war am Fuß der Batterie angekommen und baute sich neben Borissowitsch auf. Mit einem missmutigen Stirnrunzeln nahm er zur Kenntnis, dass sie ihn um eine Haupteslänge überragte.

Die Offizierin ließ die Blicke durch die Kuppel aus Elastalglas schweifen. In den Geschützturm waren mächtige Feldgeneratoren eingelassen, die die blitzschnelle Nachführung der Maserkanonen steuerten. Diese empfingen ihre Energie aus einem eigenen Reaktor, der aus Sicherheitsgründen einige Hundert Stockwerke tief in das komplexe Innenleben der Kampfstation eingelassen war. Der Fuß der Batterie war vom Umfang eines alten Urwaldriesen. In fünf Metern Höhe kragte die Kanzel des Richtschützen aus, von deren Beweglichkeit und Rollfähigkeit sie sich soeben überzeugt hatte. Darüber ragten die Zwillingsläufe der Kanone in den schwarzen Sternenhimmel. Zehn Meter lange Geschützrohre aus gezogenem Titanstahl, die Energiepakete aus harter Strahlung in den Raum pumpten, tödliche Massierungen von Röntgenwellen, die jede Panzerung und jedes Kraftfeld durchdrangen und die geeignet waren, jedes feindliche Schiff in Scheiben zu schneiden. Über Sina hatte sie sich ein Bild von der furchtbaren Effizienz dieser Waffensysteme machen können.

»Und sie schießt durch die Elastalglaskuppel?!«, fragte sie ungläubig.

Borissowitsch zuckte schwerfällig die runden Achseln.

»Die Polarisierung ist an die Nachführung gekoppelt«, erklärte er. »Das Feld, durch das gerade geschossen wird, hebt automatisch die Polarisierung im entsprechenden Wellenbereich auf.«

Jennifer schob anerkennend die Unterlippe vor.

»Ist doch viel praktischer«, bemerkte Borissowitsch noch. »Bei der hohen Beweglichkeit! Andernfalls müssten sie mit Raumanzug in die Kanzel – wenn die ganze Vorrichtung ohne die Kuppel auskommen müsste.«

Jennifer nickte.

»Und die Abschirmung?«, fragte sie. »Sie sagten, auf der Brücke sei es sicherer?«

Borissowitsch ließ einen mitleidigen Blick durch sie hindurchgleiten.

»Selbstverständlich, Ma’am«, sagte er träge. »Die Brücke ist der sicherste Bereich der ganzen Kampfstation, vom Reaktorbereich in ihrem Zentrum einmal abgesehen. Aber wenn dort was schief läuft, können Sie sowieso das ganze Ding vergessen.«

Er musterte sie mürrisch.

»Sämtliche Schutzschilde, Kraftfelder, Katapulte und selbsttätig nachführenden Geschütze sind auf die Sicherung der Brücke ausgerichtet. Hier oben …«

Er wiegte skeptisch den Kopf, statt seinen Satz zu Ende zu führen.

»Was heißt das?« Jennifer ließ ihn nicht aus den Augen. Ihre Stimme war hart und zupackend, wie in einem Messerkampf immer bereit, in einer unvorhersehbaren Ausfallbewegung zuzustechen.

Borissowitsch registrierte, dass sie im letzten Augenblick den Reflex unterdrückt hatte, seinen vielsagend abgerissenen Halbsatz nachzuäffen.

»Das Schutzfeld der Station ist wie das Magnetfeld eines Planeten strukturiert«, nahm er zu trockenen Auskünften seine Zuflucht. »Am Äquator ist es am stärksten. Mehrere Schichten liegen übereinander. Sie sind gegeneinander polarisiert. Da ist praktisch kein Durchkommen. Hier oben treten die Feldlinien aus und krümmen sich dann um den Leib des Ikosaeders.«

Er vollführte eine komplizierte Bewegung mit beiden Händen. Etwas wie das Aufblühen eines Blumenstraußes, der dann in Zeitlupe verwelkte und nach allen Seiten auseinanderblätterte.

»Bei seitlichen Angriffen sind Sie geschützt«, fuhr er fort. »Aber wenn sie einen senkrechten Treffer erhalten, genau in der Fortsetzung der Rotationsachse, ist es, als wenn sie ungesichert im Freien stünden.«

Er sah sie herausfordernd an, als wolle er in ihrer Miene forschen, ob sie nun mit seinen Auskünften zufrieden sei.

»Verstehe«, sagte Jennifer knapp. In ihre Augenwinkel nistete sich ein pfiffiges Lächeln ein. »Warum gibt es diese Kanzel dann überhaupt?«

Borissowitsch sah sie an, als sei sie nicht mehr ganz bei Trost. Als sie seinen Blick unverwandt erwiderte, verdrehte er die Augen. Kam hierher und stellte die absonderlichsten Fragen! Auf diese Art von Vorwitz hatte er keine Lust. Bald würde er Schulklassen durch die Station führen und irgendwelchen Rotznasen erklären müssen, wie ein Feldgenerator funktionierte oder was geschah, wenn man einen thermischen Sprengkopf aufs Dach bekam!

Aber im Augenblick musste er das Spielchen mitspielen. Also tief Luft holen und ganz fest an die Pension denken, die nicht mehr allzu weit entfernt war. Wenn nicht, dachte er im Stillen, die ganze Kriegsspielerei hier einen Strich durch seine Rechnung machte.

»Die Sineser nahmen es mit eigenen Verlusten nicht so genau«, sagte er so gleichgültig wie möglich. »Wie Sie ja wissen, handelt es sich hier ursprünglich um eine Einrichtung des Sinesischen Imperiums.«

»Ist mir bewusst, Kommandant«, flötete Jennifer. »Fahren Sie fort.«

»Darüber hinaus gibt es Situationen, in denen die Anwesenheit menschlicher Richtschützen geboten sein kann. Bei sehr komplexen Gefechtssituationen zum Beispiel.«

Er wollte sich auf den Rückweg machen, aber Jennifer rührte sich nicht von der Stelle. Hatte sie denn immer noch nicht genug?

»Gerade weil sie sehr viel schneller reagieren und zahlreiche Vorgänge gleichzeitig verarbeiten können, sind KIs im konkreten Geschehen oft seltsam …« Er überlegte. »Überfordert. Wenn mehrere gleichrangige Gegner anfliegen, wird ein Mensch nicht lange überlegen, sondern anfangen, den ersten besten davon unter Feuer zu nehmen. Eine KI wird aufwendige Analysen durchführen. Sie ist darauf programmiert, eine Entscheidung zu treffen, auch wo es objektiv gar keine begründbare Entscheidung gibt.«

Jennifer schien überzeugt.

»Hinzu kommt«, sagte sie, »dass ein Mensch Angst vor dem Tod hat. Da lässt man schneller fünf gerade sein.«

Sie sah den Kommandanten schief an, als forsche sie in seinem aufgedunsenen Gesicht nach ähnlichen Erfahrungen.

»Die KIs haben eine programmierte Selbsterhaltungsroutine«, sagte Borissowitsch. »Sie dürfen sich nicht vorschnell aufgeben und opfern.« Er grinste sie schwächlich an und deutete mit dem Arm zum Elevatorschacht, um sie endlich zum Gehen zu bewegen. Zu seinem Erstaunen folgte sie diesmal der Aufforderung. »Aber natürlich ist das nicht dasselbe«, sagte er, um sich versöhnlich zu zeigen. Außerdem hatte er in ihren Augen gelesen, dass die Befragung früher oder später auch persönlich werden würde. Und Auskunft darüber zu geben, was er während des Sinesischen Krieges getrieben hatte, verspürte er nicht die geringste Lust.

Sie betraten das bläulich undulierende Kraftfeld des Elevatorschachtes, das sich mit sanftem Andruck um sie schloss und sie mehrere Hundert Stockwerke in die Tiefe katapultierte. Sie landeten in der Reaktorkammer, die sie zuvor ausgiebig inspiziert hatten. Das Fusionskraftwerk, das die Kampfstation mit Energie versorgte, lief reibungslos. Allerdings wurde der Treibstoff knapp. Die Vorräte an hochverdichtetem Plasma waren auf zehn Prozent der Sollmenge gesunken. Der Frachter war nicht von ungefähr abgefordert worden.

Ein Stollen brachte sie an die Oberfläche des Ikosaeders. Sie kamen in der Nähe der Brücke heraus, die sie zu Fuß in einem kurzen Slalom erreichten. Jennifer war aufgefallen, dass Borissowitsch seine Männer in der Zwischenzeit angewiesen hatte, in dem Bereich für Ordnung zu sorgen. Überall waren Leute mit Kompressionssäcken unterwegs, die Müll und Essensreste einsammelten. Ioan und einer seiner Kameraden waren damit beschäftigt, die in den Angeln hängende gravimetrische Tür zu reparieren. Man musste etliche Tonnen Abfall aus der Schleuse katapultiert und die Atmosphärentauscher hochgedreht haben. Jedenfalls ließ sich die Luft an Bord der Kampfstation schon beinahe wieder atmen. Und Borissowitschs Leute erschienen neuerdings gewaschen und rasiert, mit ordnungsgemäß sitzenden Uniformen!

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23 dekabr 2023
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9783957770417
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