1918

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1 UHR

Heeresgruppenkommando Udine: Am Piave, so weiß man, muss alles getan werden, um eine weitere Konsolidierung der Brückenköpfe des Feindes zu verhindern. Tatkräftige Gegenmaßnahmen sind unerlässlich. Da braucht man auch die Unterstützung der Flieger: Feldmarschall Boroević lässt in dieser „langen Nacht“ alle verfügbaren österreichisch-ungarischen Fliegerkompanien Angriffe auf die Brücken des Feindes über den Piave fliegen. Der Nachschub von frischen Truppen und Kriegsmaterial in die Brückenköpfe soll so weit wie möglich unterbunden werden. Unterstützung finden die verwegenen Piloten durch die Artillerie, die auf die Übergänge des Feindes ein heftiges Geschützfeuer unterhält. Ein Volltreffer ist zu verzeichnen: Die Brücke bei Pederobba, auf der die Stoßbataillone der 12. Armee der Alliierten über den Fluss gegangen sind, wird zerstört.

Aufgrund der drückenden Überlegenheit der alliierten Luftwaffe ist jeder Feindflug ein Todeskommando, dennoch scheuen sich die k. u. k. Feldpiloten nicht den ungleichen Kampf aufzunehmen: Oberleutnant Steiner von der Fliegerkompanie 60 vollbringt auf einem dieser wagemutigen Schlachtflüge eine besondere Heldentat: Innerhalb der feindlichen Linien abgeschossen, rettet er seinen schwer verwundeten Piloten, Zugsführer Pawlowski, dessen Kleider brennen, durch Untertauchen in das Wasser des Piave. Dann schleppt er seinen halbtoten Kameraden zurück bis in die eigenen Stellungen. Beim gleichen Angriff auf die Piave-Brücken wird Zugsführer Fachs von der Fliegerkompanie 69 durch einen Schuss ins Gesicht, abgegeben von einem feindlichen Jagdflieger, schwer verwundet. Dennoch gelingt es ihm, das Flugzeug zusammen mit seinem Beobachter heil auf dem Flugfeld zu landen.

1 UHR 30

Prag, die Goldene Stadt, caput regni Bohemiae, das Lebenszentrum der Tschechen und ihre innig verehrte Hauptstadt, „jenes erträumte Wesen, jene heilige Stätte, jenes Götzenbild“, wie der Dichter Vilem Mrstik in seinem Roman Santa Lucia schreibt, „das jeder zu erblicken sich sehnt und von dem jeder träumt, wie einst die weißhaarigen Großmütter von ihm träumten und erzählten. Prag mit dem Vyšehrader Felsen, den Königsburgen, den Palästen, den Ufern auf der Kleinseite, Prag, errichtet über Jahrhunderte, geheiligt seit Urväter Zeiten.“ Dieses Prag, durchflossen von der Moldau, der Herzschlagader des böhmischen Landes, ist in dieser Nacht im Oktober 1918 noch immer eine Stadt Österreich-Ungarns, überwacht von einem k. u. k. Militärkommandanten, verwaltet von einem k. u. k. Statthalter. Eine Stadt auch, in der in dieser Nacht trügerisch-gespannte Ruhe herrscht, in der die maßgeblichen Männer unter den tschechischen Patrioten auf den großen Augenblick warten …

In der Wohnung von Dr. Alois Rašín, Mitglied des tschechischen Nationalausschusses (Národní vybor), in der Zítna 10 brennt noch Licht. Zusammen mit seiner Frau Karla bespricht der 51-jährige Abgeordnete die Vorbereitungen für den „Umsturz“ – beide sind von innerer Erregung ergriffen und davon überzeugt, dass bereits der kommende Tag die entscheidende Wende im Ringen mit Österreich-Ungarn bringen wird. Mit Bleistift notiert Rašín erste Formulierungen für ein Gesetz, das der Nationalausschuss sofort nach der „Machtübernahme“ erlassen wird.

Alois Rašín, geboren 1867 in Nechanice bei Königgrätz (Hradec Králové) nur ein halbes Jahr nach der Katastrophe der österreichischen Armeen gegen die Preußen in unmittelbarer Umgebung seines Heimatortes, hat allen Grund, um aufgewühlt zu sein: Sein jahrzehntelanger Kampf für die Freiheit der tschechischen Nation scheint nun einem letzten Höhepunkt zuzusteuern. Schon während des Jurastudiums an der Prager Karlsuniversität hatte er sich als radikaler Verfechter der tschechischen Unabhängigkeit hervorgetan, 1893 war er nach einem öffentlichen Auftritt als Redner das erste Mal verhaftet und im so genannten Omladina-Prozess zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, im November 1895 jedoch begnadigt worden: Rašín, von tiefem Hass gegen die Österreicher verzehrt, lehnte zum Erstaunen der Gefängnisbeamten den Gnadenerweis jedoch ab – beinahe mit Gewalt musste er aus seiner Zelle geschleppt werden.

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte Rašín in Prag eine Anwaltskanzlei eröffnet, daneben aber auch Beiträge für die nationaltschechische Zeitung Národní listy geschrieben und sich weiterhin politisch engagiert; 1911 war er zum Abgeordneten im Reichsrat gewählt worden. Mit Beginn des Krieges hatte dann sein Aufstieg zu einem der führenden Männer des antihabsburgischen tschechischen Widerstandes begonnen, nun war er auch in Kontakt mit Tomáš Garrigue Masaryk, dem Haupt des tschechischen Exils, getreten. Insbesondere die Abwehrabteilung des Armeeoberkommandos, die vor allem negative Auswirkungen auf die Kampfkraft tschechischer Truppen befürchtete, wollte seinem Treiben jedoch nicht lange zusehen: Bereits am 12. Jänner 1915 wird er verhaftet, am 6. Dezember 1915 beginnt vor einem Militärgericht in Wien die Hauptverhandlung gegen ihn und den Reichsratsabgeordneten Dr. Karel Kramář, den Führer der tschechischen Sozialdemokraten. Der Staatsanwalt wirft beiden angeklagten Tschechen Hochverrat vor; zwei weitere Mitstreiter, der Redakteur Vincenz Červinka von den Národní listy und der Buchhalter Joseph Zamazal, sitzen wegen „Ausspähung“, d. h. Spionagetätigkeit, auf der Anklagebank.

Nach sechsmonatigen Verhandlungen, geleitet von dem berüchtigten Militärrichter Oberleutnant-Auditor Hofrat Dr. Peutlschmid, der mit großer Gründlichkeit in alle Winkel der Tschechenfrage von ihrem Anbeginn her hineinleuchtet, folgt das Urteil: Tod durch den Strang für alle vier Angeklagten. Die Urteilsbegründung bleibt geheim und wird nicht publiziert – Ministerpräsident Stürgkh will die Tschechen nicht „kränken“, obwohl das Armeeoberkommando und Böhmens Statthalter Max Graf Coudenhove für eine Veröffentlichung sind, um jeder Legendenbildung entgegenzuwirken. Eine Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Landwehrgerichtshof bleibt ergebnislos.

Während Rašín in der Todeszelle auf seine Hinrichtung wartet, stirbt Kaiser Franz Joseph I. – der Tod des alten Mannes bedeutet für ihn Leben. Die Todesstrafe wird im Jänner 1917 in eine 10-jährige Haftstrafe umgewandelt; am 2. Juli 1917 folgt – gegen den Rat von Generalmajor Max Ronge, dem Chef der Nachrichtenabteilung im Generalstab – die Amnestie durch Kaiser Karl, Rašín und seine drei Landsleute sind wieder freie Männer.

Die Aufenthalte in österreichischen Gefängnissen haben Alois Rašín nicht mutlos gemacht – im Gegenteil: Er ist agiler denn je, tatkräftig und kompromisslos, kümmert sich wenig um Freund und Feind und hat nur ein Ziel: Österreich-Ungarn muss untergehen!

Der Grund für die Zuversicht des Ehepaars Rašín, das schlaflos dem Morgen entgegenfiebert, sind die letzten Nachrichten, die man am Vorabend aus Wien erhalten hat. Um 20 Uhr hatte sich Vlastimil Tusar, der Verbindungsmann des Nationalausschusses und Vertreter des Vereins der tschechischen Reichratsabgeordneten, telefonisch gemeldet und Bericht über die letzten Ereignisse erstattet: Bereits zu Mittag habe der neue Innenminister Gayer ihn, Tusar, zu einer kurzen Unterredung ins Ministerium gerufen. Der Generalstab beim Armeeoberkommando in Baden wolle mit ihm sprechen, es handle sich um die Unruhen unter den Truppen an der Front. Man wünsche sich die Unterstützung von Abgeordneten der einzelnen Nationalitäten, die zu den Soldaten sprechen sollten. Er habe aber abgelehnt – nach Baden fahre er auf keinen Fall, zu Verhandlungen in Wien sei er jedoch bereit.

Am Abend sei dann noch Generalmajor Max Ronge zu ihm ins Hotel gekommen. Man müsse, so der Chef der k. u. k. Abwehr, bei der Armee bolschewistische Ausbrüche befürchten, tschechische Abgeordnete sollten deshalb an die Front gehen und die tschechischen Regimenter zum Ausharren bewegen. Ronge habe die kritische Lage des österreichisch-ungarischen Heeres geschildert, die Verzweiflung der Verantwortlichen wiedergegeben.

Rašín, der nun die Stunde der Revanche für all das, was er an Verfolgung und Schikanen von Seiten der österreichischen Behörden zu erleiden hatte, gekommen sah, hatte Tusar auf diesen Bericht hin entsprechend hart und triumphierend Bescheid gegeben: „Wir können keine Abgeordneten an die Front schicken, solange nicht Österreich-Ungarn einen Waffenstillstand ohne jede Bedingung unterzeichnet!“

Dass Ronge, der Tschechenhasser, der Mann, der als fragwürdiger „militärwissenschaftlicher Sachverständiger“ während des Prozesses alles getan hatte, um ihn und Kramář an den Galgen zu liefern, nun so zu Kreuze gekrochen kam, überzeugte Rašín insgeheim in der Auffassung, dass der Zusammenbruch der k. u. k. Armeen unmittelbar bevorstehen müsse. Nach außen hin blieb er jedoch gelassen und ließ Ronge durch Tusar ausrichten, dass er mit dem Nationalrat über diese Sache verhandeln werde, mit einer Antwort sei für den kommenden Morgen zu rechnen. Tusar reichte diese Antwort des Prager Abgeordneten sofort an das Wiener Sekretariat der Südslawen weiter, das seinerseits den südslawischen Nationalrat in Agram informierte.

Wegen „Hochverrats“ von einem österreichischen Militärgericht zum Tode am Galgen verurteilt und von Kaiser Karl begnadigt: Dr. Alois Rašín, führendes Mitglied des tschechischen Nationalausschusses.

Nach dem Gespräch mit Tusar hatte Rasín sofort mit Dr. Josef Scheiner, dem Starosten der tschechischen Sokolbewegung, telefoniert – man müsse sofort alle Vorbereitungen für den Umsturz treffen, bereits in wenigen Stunden könne es so weit sein. Scheiner versprach, sofort alles Notwendige zu veranlassen.

 

Um 23 Uhr hatte sich dann Tusar noch einmal am Telefon gemeldet, diesmal aber nichts Neues zu berichten gewusst. Rašín gab seinem Wiener Verbindungsmann zu verstehen, dass er fest mit dem „Umsturz“ für den kommenden Tag rechne …

2 UHR

An der Piavefront bei Nervesa. Die Alliierten versuchen einen neuen Brückenkopf zu bilden: Truppen des VIII. italienischen Korps gehen über den Fluss und versuchen am linken Ufer Fuß zu fassen; der 51. Honvédinfanteriedivision gelingt es jedoch im Gegenstoß den Feind zu vertreiben.

Ein Missgeschick trifft die von Lord Cavan kommandierte 10. Armee der Alliierten bei der Papadopoli-Insel: Da der Wasserstand des Piave fällt, ändert sich auch die Hauptströmung des Flusses, die nun nicht mehr senkrecht auf die lebenswichtige, über 450 Meter lange Brücke bei Salettuol trifft, sondern in einem Winkel. Der am 26. Oktober von britischen Pionieren fertig gestellte Übergang, auf dem am 27. die Stoßtruppen der 23. britischen Infanteriedivision erfolgreich über den Fluss gingen, ist zur Hälfte eine so genannte „Bockbrücke“, zur anderen eine Pontonbrücke, was nun zum Nachteil wird: Durch die veränderte Strömung werden die „Bockfüße“ unterwaschen und die „Bockschwellen“ leicht ineinander verzwängt, das Wasser beginnt die Brücke zu überströmen, schließlich reißen sich zwei Pontons aus ihrer Verankerung los – die Brücke ist damit unpassierbar für den Nachschub und die am rechten Piaveufer wartenden Reserven; mehrere verzweifelte Versuche zur Reparatur der Brücke scheitern: Ständig gestört von österreichischem Geschützfeuer, gelingt es in der Dunkelheit nicht, neue Pontons so auf die Brücke zuzusteuern, dass sie genau in die Lücken treffen. Als ein Ponton kentert und ein britischer Pionier ertrinkt, gibt man auf. Erst mit Hilfe italienischer pontonieri kann die Brücke wieder instand gesetzt werden. Um der dringend notwendig gewordenen Versorgung der Truppen am linken Piaveufer eine sichere Basis zu geben, entschließt man sich einen zweiten Übergang bei der Papadopoli-Insel zu errichten.

2 UHR 30

Auswärtiges Amt, Berlin. Blitzschnell, noch vor Veröffentlichung der Note Andrássys mit der Bitte um einen Separatfrieden, reagiert die deutsche Regierung auf die neue Situation: In einem Telegramm des Auswärtigen Amtes an Staatssekretär von Hintze bei der Obersten Heeresleitung wird angeregt, nunmehr verstärkt den Kontakt mit der Provisorischen Nationalversammlung „Deutschösterreichs“ zu suchen. Die Nationalversammlung solle Kundgebungen zugunsten des Waffenbündnisses mit dem Deutschen Reich veranstalten und dadurch Druck auf die Regierung Lammasch ausüben – immer klarer zeigt sich, dass Berlin bereits mit dem Entstehen eines neuen Staates an der Donau spekuliert und dieses Szenarium auch konsequent weiterdenkt: Der Gedanke eines „Anschlusses“ Deutschösterreichs an das Deutsche Reich nach Kriegsende wird als konkrete Möglichkeit ins Auge gefasst, Botschafter Graf Botho von Wedel in Wien dazu angehalten, den deutschösterreichischen Abgeordneten diese Lösung – von der viele träumen – als „Belohnung“ für ihre Loyalität in Aussicht zu stellen. Wedel, seit 1916 Vertreter des Deutschen Reichs in Wien, nimmt sich vor, noch an diesem Tag Dr. Victor Adler, den für außenpolitische Fragen zuständigen Mann im Vollzugsausschuss der Provisorischen Nationalversammlung, entsprechend zu instruieren.

Der Gedanke, dass man die deutschsprachigen „Landsleute“ in Österreich-Ungarn nach dem Zusammenbruch der habsburgischen Herrschaft vielleicht schützen werden müsse, geht natürlich einher mit ersten Überlegungen, deutsche Truppen in Österreich einmarschieren zu lassen. Immerhin versucht das Auswärtige Amt sofort die notwendigen Finanzmittel bereitzustellen: Zehn Millionen Mark für Geheimunternehmungen in Österreich-Ungarn werden vom Finanzministerium beantragt …

Die Deutschen fühlen sich verraten und hintergangen: Über die Absicht Andrássys und Kaiser Karls, bei der Entente mit der Bitte um einen Separatfrieden einzukommen, werden Botschafter Wedel und General August von Cramon, der bevollmächtigte deutsche General beim k. u. k. Armeeoberkommando, bereits Sonntag früh von Major Fleck vom AOK aus Baden telefonisch verständigt. Fleck beruft sich auf eine Mitteilung von Generalstabsmajor Edmund Glaise von Horstenau, der als Informant den Deutschen schon oft hervorragend gute Dienste geleistet hat. Als überzeugter Anhänger des Bündnisses mit Deutschland sehe dieser nun keinen anderen Ausweg, als die deutsche Militärmission über die Pläne der österreichisch-ungarischen Führung zu informieren. Graf Wedel begibt sich auf diese Nachricht hin ins Außenministerium und verlangt Aufklärung, Andrássy beruhigt den Botschafter und legt ihm den Entwurf zur beabsichtigten Note vor – der Text scheint Wedel unbedenklich, Glaise von Horstenau, so meint er, hätte diesmal übereilt gewarnt. Was er allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Karls Außenminister hat ihm nur die halbe Wahrheit mitgeteilt, dem Entwurf fehlt der entscheidende letzte Satz, in dem die Wiener Regierung sich bereit erklärt, in Friedensverhandlungen einzutreten, „ohne das Ergebnis anderer Verhandlungen abzuwarten“ – in den Augen der Deutschen offener Verrat am Bündnis, ein Treubruch, der letztlich Österreichs Untergang nicht verzögern werde.

Verwundert müssen die Deutschen feststellen, dass selbst Generalstabschef Arz nicht in die Beratungen über die Textierung der Note miteinbezogen, ja, erst am späten Abend des 27. durch einen Telefonanruf des Kaisers über deren Existenz informiert worden ist und ihren genauen Inhalt mühsam im Außenministerium erfragen musste.

Während man in Berlin bereits darüber nachdenkt, wie man aus dem Zerfall Österreich-Ungarns noch rasch Kapital für sich selbst schlagen könnte, beginnt es sich auf den dunklen Straßen der Haupt- und Residenzstadt Wien, in denen ansonsten nur der Marschtritt der allgegenwärtigen Militärpatrouillen zu hören ist, zu regen: Die ersten Menschen treffen vor Bäckereien und Brotgeschäften ein, um im Wettlauf um ein bisschen Brot eine günstige „Warteposition“ zu ergattern. Ab halb drei Uhr, so hat die Wiener Polizeidirektion verfügt, ist es gestattet sich anzustellen. In Viererreihen, fest vermummt gegen die durchdringende Nachtkälte, warten die Unentwegten im fahlen Licht der Bogenlampen – wer jetzt einen Platz besetzt in der Reihe der grauen Gestalten, hat die Aussicht in über vier Stunden, etwa um 6 Uhr 45, zum ersehnten Brot zu kommen. Erfahrene „Schlangensteher“ haben vorgesorgt und ihr „Feldstockerl“ mitgebracht, auf dem sie im Sitzen vor sich hindösen.

Gegen 6 Uhr 15 werden sich endlich die Türen öffen. Zu viert, so wie sie angestellt sind, werden sie auch eingelassen. In einer knappen Stunde werden die Vorräte weg sein, und an der Tür wird der ominöse Zettel Ausverkauft erscheinen. Aber zahlreiche Menschen werden noch dastehen und haben weder Brot noch Mehl bekommen – für sie gilt es auszuharren, auf die nächste Nacht und den nächsten Morgen zu hoffen, auf die nächste Warteschlange …

Freilich gibt es auch viele Menschen in Wien, die sich ihr Brot nicht selbst „organisieren“ müssen, die auch ohne „Brotkarte“ kaum Mangel leiden. Der Krieg lässt nun die Gegensätze zwischen Notleidenden und Wohlhabenden immer deutlicher hervortreten, er lässt Neid und Missgunst wachsen, den Hass auf jene, denen es besser geht oder von denen man glaubt, dass es ihnen besser geht …

3 UHR

Monte Pertica im Grappa-Massiv. Nach drei schlaflosen Nächten haben die Überlebenden des Kärntner Infanterieregiments Graf von Khevenhüller Nr. 7 endlich etwas Ruhe gefunden. Der Wahnsinns-Angriff zur Rückeroberung des verlorenen Gipfels, eines der am heftigsten umkämpften im Umfeld des Monte Grappa, hat am 27. Oktober in einem Blutbad geendet: 862 Mann und 35 Offiziere sind tot, nur etwa 400 haben das Gemetzel überlebt. Da im so genannten „Südlager“ alle Kavernen besetzt sind, bleibt dem letzten Häuflein getreuer Khevenhüller nichts anderes übrig, als sich aufzuteilen und bei den Kameraden von anderen Einheiten Unterschlupf zu suchen. Ein Ausharren in ungeschützter Stellung wäre tödlich: Vor allem die eigene Artillerie ist es, die immer wieder Opfer fordert. Vergeblich bemüht sich Hauptmann Dr. Norbert Assam dies zu ändern – das Abschießen grüner Leuchtraketen hilft ebenso wenig wie das Toben am Telephon. Vierzehn Verwundete werden an diesem Tag zu beklagen sein, am 29. jedoch 70 Tote: Das verlustreiche Kurzfeuer der Vortage steigerte sich zeitweise geradezu zum Trommelfeuer. Mit gellendem Krachen barsten schwere, tempierte Granaten über dem Südlager, haushoch stieg die Erde empor beim Einschlagen schwerer Geschosse. Maschinengewehre gingen in Trümmer, die restlichen Infanteriegeschütze wurden zerschlagen, wachsbleich mit zerspellter Stirn lagen Tote überall umher und vermehrten die Anzahl derer, die längs des Weges zum Nordlager in langen Reihen geschlichtet lagen wie Brennholz …

Schuss um Schuss auf die feindlichen Linien: österreichische Geschützstellung in einer Kaverne.

3 UHR 50

Bes, Südtirol, Regimentskommando des 4. bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiments. Die seit dem 23. Oktober auftretenden Gehorsamsverweigerungen bei der bosniakischen Elitetruppe in der Südtiroler Etappe lassen sich nicht mehr, wie vom Heeresgruppenkommando in Belluno gewünscht, intensivst disziplinieren. Die Männer mit dem Fez, deren außergewöhnliche Tapferkeit im Kampf sprichwörtlich ist, sind seit der Verlautbarung des kaiserlichen „Völkermanifests“ vom 16. Oktober wie ausgewechselt. Sie klagen darüber, dass der Kaiser sie mit dieser Erklärung an die Ungarn ausgeliefert habe, allen anderen Völkern der Monarchie sei ihr Recht geworden, nur den Bosniern nicht. Ihre Zukunft sei damit völlig ungewiss, dazu komme, dass die Unterhaltsbeiträge an ihre Familien nur schleppend ausbezahlt würden, auf ihren Höfen werde alles requiriert, was nur irgendwie verwertbar sei; ohne Männer würden die Felder verkommen. Nicht zuletzt sei auch die Verpflegung bei weitem unzureichend, ihre Uniformen zerrissen und zerfetzt. Sollten sie nun an der Front fallen, so wären ihre Familien dem sicheren Untergang geweiht.

Hauptmann Gyebic trifft beim Regimentskommando in Bes zur vereinbarten Situationsmeldung ein und berichtet, dass es weiterhin unmöglich sei, die Meuterer, die zwischen Cugnach und Carmegn versammelt seien, zur Einsicht zu bewegen. Sie seien entschlossen nicht mehr in Stellung zu gehen und sie würden auch nicht zulassen, dass einzelne Einheiten des Regiments zum Straßenbau abgetrennt würden. In ein bis zwei Tagen, so ihre klare Forderung, möchte man in die Heimat abtransportiert werden. Oberst Leo Kuchynka, der Kommandant der Truppe, ist ratlos. Er glaubt, dass die Rebellion von langer Hand vorbereitet ist. Da die Meuterer, an ihrer Spitze das 1. Bataillon, sehr geschickt als geschlossenes Kollektiv vorgehen und sich keine Rädelsführer ausmachen lassen, ist es ihm jedoch unmöglich, gegen einzelne Personen vorzugehen. An eine Entwaffnung der Bosniaken ist nicht zu denken, es bleibt dem Obersten nichts anderes übrig, als das Heeresgruppenkommando in Belluno um Hilfe zu bitten – so genannte „Assistenztruppen“ werden angefordert, womöglich auch Artillerie …